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Champions League

Wer wird siegen: Kontrolle oder das Spektakel?

Oliver Fritsch | Mittwoch, 21. Mai 2008 Kommentare deaktiviert für Wer wird siegen: Kontrolle oder das Spektakel?

Vor dem Finale zwischen Chelsea und Manchester United – beide Teams sind hochinteressante Ensembles (SZ) / Michael Ballack wird in England sehr geschätzt / Paul Scholes und Ryan Giggs, zwei Konstanten Manchesters

Christian Zaschke (SZ) blickt mit großer Vorfreude auf das Finale und stellt begeistert die verschiedenen Stile der beiden Teams vor: „Endlich stehen nun wirklich einmal die beiden besten Mannschaften des Jahres im Finale. Geld hin oder her: Beide Teams sind hochinteressante Ensembles. Manchester stellt die jüngere Auswahl, die unberechenbare. Manchmal bricht der Fußball einfach aus ihr heraus, sie kann dann nicht anders, als sich ihrer eruptiven Kraft hinzugeben. Selten glich Fußball so sehr einer Explosion wie in den besten Momenten dieser Elf um den klassischen Solisten Cristiano Ronaldo und den Punkrocker Wayne Rooney. Chelsea ist zuerst eine Zusammenstellung von begnadeten Individualisten, die gemeinsam arbeiten, weil Fußball nun einmal Mannschaftssport ist. Das Team spielt einen erstickenden Stil, der Gegner hat auf dem Platz weniger Raum als in einer Einzelzelle. Im vergangenen Jahr gelang es dem AC Mailand mit seiner kühlen, fließenden Spielweise, Manchester im Halbfinale zu besiegen; wenn man will: das Feuer Uniteds zu kontrollieren und schließlich zu löschen. Der FC Chelsea wird es ähnlich versuchen, nicht ganz so kühl und fließend, dafür mit immensem Druck, der die Flamme kleinhalten soll. Es sind zwei englische Mannschaften, die entgegen allem Gerede mit nicht wenigen englischen Spielern besetzt sind – und doch sind es zwei Prinzipien, die einander gegenüberstehen. Ob die Kontrolle oder das Spektakel siegen wird, ist das große Thema dieses Endspiels.“

Führungsspieler

Ein paar feine Seitenhiebe auf den FC Bayern und den deutschen Fußballstammtisch – Peter Hess (FAZ) unterstreicht, welchen Anerkennung Michael Ballack in Chelsea zuteil wird und vergleicht sie mit der Geringschätzung, mit der er hierzulande zum Teil leben musste: „Der Deutsche machte sich unentbehrlich. Wie bei den Bayern auf die für viele Zuschauer unauffällige, für die Mitspieler aber äußerst dankbare Art: als Anspielstation hinter den Spitzen, der einfach da ist, wenn andere Wege verlegt sind, der den Ball schnell und präzise weiterspielt, so dass der Kollege auch etwas mit ihm anfangen kann, der bei gegnerischem Ballbesitz sofort eine defensive Haltung einnimmt, stört, bremst, den Gegner zumindest zu Umwegen zwingt. Es sieht manchmal etwas seltsam aus, wenn Ballack mit dem schaukelnden Laufstil eines Seemanns auf Landurlaub über das Feld trabt, während die dynamischeren Kollegen wie Essien oder Malaouda oder Drogba um ihn herumpfeilen. Aber Ballack gleicht die mangelnde Schnelligkeit durch seine Antizipationsfähigkeit weitgehend aus. Der deutschen Sehnsucht nach einem neuen Netzer und Overath wollte und konnte Ballack nie gerecht werden, dazu ist er und fühlt er sich viel zu sehr als Mannschaftsspieler. Die Engländer nehmen den Deutschen einfach, wie er ist, und mögen ihn dafür. Während er in Deutschland lange gegen das Vorurteil ankämpfen musste, in wichtigen Spielen unterzutauchen, gilt er in England als Prototyp des Profis, der am besten ist, wenn es wirklich gilt. Günter Netzers einstige Lieblingstheorie, Ballack tauge nicht zum Führungsspieler, weil er in der früheren DDR sozialisiert worden sei und deshalb zu wenig initiativ und zu wenig egoistisch denke, würde in England für Gelächter sorgen.“

Raphael Honigstein (FR) ergänzt: „Seine vermeintlich teutonisch-titanische Siegermentalität hat es den im Verlieren geübten Insulanern besonders angetan. Er sieht sich in seinem Wechsel bestätigt und die Kritiker in der Heimat belehrt. Bayern versage seinetwegen in der Königsklasse, hieß es immer. Es war wahrscheinlich doch eher andersrum. Was fehlt, ist der letzte, große Schritt. Gewinnt aber United, werden ihm viele wieder das Etikett des ‚ewigen Zweiten’ anhängen wollen. Schon nach der knapp verpassten Meisterschaft erlebte man diesen absurden Reflex.“

Sein Wert bleibt

Christian Eichler (FAZ) teilt die Würdigung vieler Spieler für Paul Scholes: „Stoisch und stumm, so verrichtet Scholes seit vierzehn Jahren seinen Dienst im Mittelfeld. Ein Spieler ohne Agent, ohne Klubwechsel, ohne Transfersummen, ohne Vertragspoker, ohne TV-Auftritte, ohne Werbeverträge, ohne Tricks, ohne Show. Scholes ist nicht der Fußballer der Medien oder der Fans, er ist der Fußballer der Fußballer. Er muss gar nicht über sich reden, andere tun es. Der ehemalige Kollege Beckham beschrieb die Bewunderung der ‚Galacticos’ von Real Madrid für Scholes. Die Arsenal-Stars Henry und Fabregas schwärmten für ihn und gaben ihm ihre Stimme bei der Wahl zum ‚Fußballer des Jahres’. Der Weltmeistertrainer Marcello Lippi preist sein Talent, Technik, Beweglichkeit, Schusskraft und Charakter. Die United-Ikone Bobby Charlton lobt ‚sein Köpfchen und seine Killerpässe’. Er nennt ihn seinen Lieblingsspieler unter allen, die je für United spielten. Mit 33 Jahren hat Scholes nicht mehr ganz die Laufstärke, um das ganze Mittelfeld abzudecken und bis in den Strafraum zu dringen wie ein Extra-Stürmer. Er nimmt eine zurückgezogenere Rolle ein, als Meister des präzisen Passes, der Gliederung des Spielaufbaus. Die Tore schießen heute meist andere, sein Wert bleibt.“

Meistdekorierter Spieler im englischen Fußball

Hanspeter Künzler (Neue Zürcher Zeitung): „Aufgewachsen in Wales, litt Ryan Giggs in der Schule an rassistischen Pöbeleien (seine Mutter war Waliserin, sein Großvater väterlicherseits stammte aus Sierra Leone). Er begründet seine Zurückhaltung im Umgang mit den Medien noch heute mit den Erlebnissen von damals. An seinem vierzehnten Geburtstag 1987 unterschrieb er seinen ersten Vertrag mit Manchester United. Alex Ferguson, der ein Jahr vorher hier angekommen war, hatte ihn daheim besucht und von seinem Vorhaben abgebracht, bei Manchester City zu unterschreiben. Die Europameisterschaft 1996, die Fußball plötzlich auch im englischen Mittelstand salonfähig machte, David Beckham und damit das Phänomen ‚Fußballer-Popstar’ standen noch in weiter Ferne. Stars aus dem Ausland, die den kampfbetonten englischen Fußball mit Flair verschönerten, waren damals noch äußerst selten. (…) Heute ist er der meistdekorierte Spieler im englischen Fußball.“

NZZ: Stimmungsbericht aus Moskau

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