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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Journalistische Maßstäbe muss man hier nicht setzen

Oliver Fritsch | Mittwoch, 2. Juli 2008 Kommentare deaktiviert für Journalistische Maßstäbe muss man hier nicht setzen

ARD und ZDF kriegen von der Presse ihr Fett weg / Gastgeber Schweiz und Österreich, bescheiden und fein

allesaussersport zieht den steuergemästeten ARD und ZDF die Ohren lang: „Wie man gemerkt hat, bin ich bei den Fußballspielen zu den britischen Sendern geflüchtet. Dass ich und viele andere die Vorberichterstattung nicht prall fanden, dürfte hinlänglich bekannt sein. Ich bin ein großer Verfechter des Öffentlich-Rechtlichen Systems und eines starken Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks und habe immer wieder Partei für die Öffentlich-Rechtlichen ergriffen. Aber ganz ehrlich: Mir fehlt langsam die Kraft dazu, und inzwischen reift bei mir die Überzeugung, dass man die Läden vielleicht doch in die Luft sprengen sollte. Bei den Diskussionen rund um den Rundfunkstaatsvertrag oder der Implementierung der ARD-Mediathek habe ich noch nie einen derartigen Haufen distanzloser Scheiße in den ‚ÖRs’ gesehen und gehört, wie in den letzten Wochen, Stichwort Zapp oder Thomas Leif. Aktueller Anlass: die in Buchstaben geflossene Onanie des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender über die ZDF Seebühne in Bregenz: ‚Die Zuschauer haben uns für dieses Engagement belohnt. Rekordzahlen bei den Einschaltquoten, viel Lob und Anerkennung für Moderatoren, Reporter, Experten und Kommentatoren und eine Bildschirmpräsentation auf hohem Niveau zeichnen die Euro 2008 im ZDF aus (…) Das große Auge aus der Opernkulisse der Tosca-Aufführung ist zum Symbol für journalistische Qualität und die Leichtigkeit bester Fernsehunterhaltung geworden.’ Wenn Führungspersonal eines Senders abseits jedes Geschmäcklerischen so tief und ohne Not in die Propagandakiste greifen, ist jegliche ernsthafte Auseinandersetzung sinnlos. Das Maß der Verblendung macht deutlich, dass hier nur noch aus einer autistischen Binnensicht heraus argumentiert wird. Es hat schlichtweg keinen Sinn, hier noch journalistische Maßstäbe anzusetzen. Hier hat sich etwas verselbständigt, und es wäre Kraftvergeudung zu versuchen, es vor seinem Tod durch Implosion zu ändern.“

taz: Waldemar Hartmann ist mit seinem anbiedernden Interviewstil eine aussterbende Spezies, trotzdem schauen seinen Fußball-Talk regelmäßig rund vier Millionen Zuschauer

Bewegt, bewegter, am bewegtesten

Benjamin Henrichs (SZ) schätzt offenbar das Nichtsagende an Monica Lierhaus: „Das Lierhaus-Interview ist ein wunderliches Ding: Man muss nicht unbedingt immer zuhören, aber man schaut stets frohgemut zu. Denn Frau Lierhaus stellt zwar niemals eine originelle Frage, aber auch niemals eine peinliche. Sie hat keine starken Tage und keine schwachen – nur gute. Selbst wenn der Himmel wolkenverhangen ist und ein Unwetter droht, spricht sie darüber mit einem Jauchzen. Und wenn sie einmal, wie nach dem verkorksten Kroatien-Spiel, streng zu ihren Fußballern sein möchte, ist sie schon nach drei Sätzen wieder beim Tröstlichen und Hoffnungsvollen angelangt. Als Freund der Klassiker könnte man sagen: Ihr Anblick gibt den Bengeln Stärke – aber das wäre ein Witz, und auch Witze macht Frau Lierhaus nie, schon gar keine blöden. Kein Zweifel, sie liebt diese seltsame Männerwelt des Fußballs und ihre eigene, besondere Rolle darin – aber sie verteidigt doch immer eine kleine, unüberwindlich freundliche Distanz.“

Christian Eichler (FAZ) hingegen verdreht die Augen: „An Monica Lierhaus: Bitte einmal, nur ein einziges Mal, ein Interview ohne eine Frage aus dem Wortbaukasten ‚Wie groß ist jetzt die Enttäuschung/Erleichterung/Freude?’ Ja, wie groß nur? So groß wie Philipp Lahm? Wie Per Mertesacker? Liebe Frau Lierhaus, diese Emotionsrauskitzel-Trickfragen funktionieren bei Fußballern schon seit gefühlten hundert Jahren Nationalteam nicht mehr. Außerdem ist es immer peinlich zu sehen, dass die, die als neutrale Beobachter bezahlt werden, bewegter scheinen als die Beteiligten. Wie nach dem Sieg gegen Österreich: ‚Das 1:0 ausgerechnet durch Michael Ballack, ausgerechnet durch einen Freistoß. Wie wichtig war dieses Tor, wie wichtig war, dass es durch den Kapitän gefallen ist?’ Antwort Joachim Löw: ‚Es war wichtig, dass es überhaupt gefallen ist.’“

Bitte einweisen

Jürgen Roth (FR) muss würgen: „Ein Béla Réthy ist ein Béla Réthy und bleibt ein Béla Réthy. Er hat die Rolle erfunden, von der er ständig ist: die des wahrlich allerschlimmsten Ignoranten und Krachschnablers, der es tatsächlich zuwege brachte, die irrsinnige, mitreißende Partie zwischen Holland und Russland konsequent madig zu machen (‚Es muss ein besseres Spiel werden’), bis er in der 70. Minute endgültig durchdrehte und grunzte: ‚Schöner Fußball sieht anders aus.’ Dazu fällt mir nur mehr ein: Bitte einweisen.“

Das große Sommer-Open-Air mit Marianne, Michael & Katrin

Ralf Wiegand (SZ) erblickt Katrin Müller-Hohenstein im schwarz-rot-goldenen Dirndl und läuft schreiend davon: „Es ist nicht so, dass es keine guten Sportjournalisten mehr im Fernsehen gäbe. Sogar das ZDF hat welche, es sind die Pflänzchen, die im Verborgenen blühen. Boris Büchler etwa, der nach Schlusspfiff seine Fragen an die Spieler stellt, oft im Keller eines Stadions. Kenntnisreich ist es, das Kellerkind Büchler, und der Respekt der Fußballer vor dem Sachverstand ist zu spüren. Nils Kaben ist so einer, den kann man heute zum Skifahren in die Alpen und morgen zum Jojo in die Wüste schicken. Er weiß immer, was er zu tun hat. Es sind die Uneitlen ihrer Branche, zu denen auch Bela Rethy gehört. Er hat eine Stärke, das Live-Spiel, und die pflegt er. Er ist sich da genug. Es gibt sie in der ARD wie beim ZDF, die Abteilungen Eitelkeit und Sachverstand. Thomas Bartels ist wohldosiert am Mikrofon, und Sven Kaulbars (beide ARD) rettet das Sportfeuilleton ins Fernsehen mit seinen kuntsvollen Einspiel-Filmchen. Wer braucht Pocher? Der Fisch stinkt halt auch hier vom Kopf, und am Kopf, da sind die Moderatoren. Die EM hat vollendet, was lange schon zu beobachten war. Nicht die gelungene Moderation ist das Markenzeichen für einen Sender, sondern jeder Moderator ist seine eigene Marke. Sie alle müssen eine Rolle besetzen: der Schwiegersohntyp Kerner, der Rock’n’Roller Beckmann, der Dauerläufer Poschmann, der Fußball-Soziolge Steinbrecher und der brave Delling. Als das ZDF mal keinen Typen mehr fand, erfand es Christine Reinhardt: Die Schauspielerin bekam ein Engagement als Moderatorin des journalistischen Formats Sportstudio. Als würde Veronica Ferres die Tagesschau lesen, als würde Günter Jauch Bundespräsident werden, was ja die meisten Deutschen wollen. Und jetzt Katrin Müller-Hohenstein. Dass sich das Auge in der Kulisse der Bregenzer Seebühne nicht schamvoll schloss oder wenigstens tränte! Es war gerade so, als sei ‚Das große Sommer-Open-Air mit Marianne & Michael’ einfach ins Sportstudio übergegangen, als hätte sich Marianne bloß umgezogen.“

29 Minuten Dauerwerbung

Wiegand protestiert auch gegen die Ausstrahlung von Pressekonferenzen im Live-Fernsehen: „Nicht, dass man behaupten müsste, jede Frage, die ein schreibender Journalist in einer Pressekonferenz stellt, sei geistiger Höhenflug – geistiges Eigentum aber ist sie schon. Pressekonferenzen sind das Rohmaterial des Journalisten, das er noch formen muss. Manchmal fragt man einfach so und weiß noch nicht, wohin es führen soll, manchmal plaudert man miteinander. Erst später wird dann eine Geschichte daraus. Seitdem das Fernsehen die ‚PK’ überträgt, wird aber jede Frage, jeder Gedanke sofort versendet, wirkt bisweilen dämlich, banal, gar dumm, weil der Zweck, den der Journalist damit verfolgte, dem Zuschauer vor dem Fernseher nicht geläufig ist. Es ist, als würde man jemandem einen Klumpen Ton verkaufen statt einer Vase. Wer von diesem Diebstahl geistigen Eigentums etwas hat? Wie immer nur der Dieb und seine Komplizen. In diesem Fall kann der DFB seine Sponsoren streicheln – und danach melken. Denn deren Firmen-Logos sind im Pressezentrum von keiner Kamera zu verfehlen. Eingerahmt von einem riesigen Adidas-Ball und einem tollen Mercedes-Modell sitzen Löw und Co. vor Sponsorenwänden, bepinselt mit den Schriftzügen von Postbank, Bitburger, McDonald’s, Lufthansa, Kinder/Ferrero, T-Home und LG. 29 Minuten Dauerwerbung im ZDF mit der schreibenden Presse als Staffage – noch Fragen?“

Auf die Knie! Auf die Knie!

Und über Fan-Reporter schreibt er mitfühlend: „Antonia Rados würde längst daheim gebraucht für den embedded EM-journalism nach dem Spiel. Was haben diese bedauernswerten Kollegen in ihren Redaktionen wohl ausgefressen, die – nur bewaffnet mit einem puscheligen Mikrofon – sich auf dem Ku’damm oder der Leopoldstraße der Gefahr für Leib und Leben aussetzen müssen? ‚Wir schalten jetzt zu Susanne Gelhard nach Berlin’, hieß es neulich im Zweiten, und dann sah man Susanne Gelhard in Berlin, wie ihr jemand (ein ‚Fan’) im Gesicht herumfuchtelte. Zu fürchten war, dass sie im nächsten Moment entweder von einem Golf-II-Cabrio mit zwölf Insassen überfahren, von einem Leuchtraketenwerfer abgeschossen oder von einer Acht-mal-Acht-Meter-Fahne erstickt würde. Bei einer anderen Live-Übertragung aus dem Auge eines Fanzyklons sah man einen Reporter, um den herum eine Meute ständig brüllte: ‚Auf die Knie! Auf die Knie!’ Antonia, können Sie uns hören?“

Next Stop: Aphasie

Spreeblick sammelt Beweise gegen Delling und Netzer: „In der Pause die Gelegenheit, einen der viel zu selten zu hörenden echten Dellings zu genießen. Delling deutet auf einen Bildschirm, der das Gewitter über dem Stadion zeigt, beschreibt, was er sieht, was wir alle sehen und sagt dann: ‚So hochspannend soll es weitergehen, deswegen blitzschnell zu den Kollegen aus Hamburg.’ Delling ist nicht zu karikieren. Kürzlich habe ich versehentlich entdeckt, dass er eine Personality/Talk/Reality/Dramedy-Show veranstaltet. Der Mann kann alles. Kann man eigentlich Fehler machen, wenn man einmal einen Moderatoren-Posten bei den Öffentlich-Rechtlichen ergattert hat? Denken Intendanten dort überhaupt in der Dimension unterhaltsam? Eloquent? Geistreich? Ahnung vom Fußball? Ahnung vom Denken? Sein ihm geistig nicht nachstehender Mitmoderator Netzer, der Bewunderern als große alte Dame des Fußballs gilt, durfte auch noch einmal sein Bestes geben: ‚Das ist Torres natürlich, der immer wieder gefährlich ist natürlich, besonders wenn er Platz hat, Torres ist ein Strafraumspieler.’ Next Stop: Aphasie. Einen hat er noch: ‚Sie werden ihr Spiel jetzt in der zweiten Halbzeit entwickeln, vielleicht auch erst in der Verlängerung.’ Vielleicht auch jetzt oder nie oder was interessiert mich mein Scheiß von vor 5 Sek…, ja, für mich auch noch einen, Sie alter Dummschwätzer, immer her mit dem, auf einem Bein kann man nicht, das wissen Sie doch am besten.“

Da bläst er

Ulrich Knapp (Berliner Zeitung) staunt über die Medien- und Sozialkompetenz Reiner Calmunds, dem Video-Blogger von calli-tv: „Der Informationsgehalt der Clips hält sich zwar in Grenzen, aber man wundert sich doch, wen Calmund alles kennt und duzt. Waldemar Hartmann wäre sicher neidisch. Auf jeden Fall beweist der Geschäftsmann mit seinem Blog, dass er neue Medien für sich einzusetzen weiß. Bereits im vergangenen Jahr erschuf sich Calmund mit ‚Calli Island’ als erster deutscher Prominenter eine Existenz in der virtuellen Welt der Internetplattform Second Life. Dass auch Reiner Calmund der Versuchung der übertriebenen Selbstdarstellung erliegt, die das Internet bietet, zeigt ein ziemlich privates Urlaubsvideo aus Thailand. Doch selbstironisch kommentiert er auch diesen Clip, wenn man ihn im Wasser planschen sieht und er sagt: ‚Abends wage ich mich als weißer Wal ins Meer.’“

Locker

Was außer Kuckucksuhren? Christian Eichlers (FAZ) Kommentar über den Gastgeber Schweiz endet mit einem interessanten Zwischenton über die Deutschen: „Es scheint, als könnte das Land, das der Welt das Rote Kreuz bescherte, nicht anders, als auch im Fußball ein selbstloser Helfer für andere zu sein. Aus der Schweiz kam der Gründer des FC Barcelona, kamen die Mitbegründer von Inter Mailand. Die Schweiz beherbergt die Zentralen des Weltfußballs und des europäischen Fußballs. Und die Schweiz ist ein Gegner und ein Gastgeber, bei dem Deutschland fast nie etwas falsch machen konnte. Dafür und für eine tadellos ausgerichtete EM hätten die Schweizer mehr verdient, als ihre Mannschaft erreicht hat. Aber, vom Sportlichen abgesehen, sind sie alles andere als leer ausgegangen. Die EM hat ihnen neue Sympathien und Geschäftsfelder beschert, mehr noch: Sie hat die Schweiz verändert – wenn man der veröffentlichten Meinung im Lande glaubt und ein wenig auch den eigenen Eindrücken in Bern und Basel. Dort, wo das Leben tobte, in Gestalt einer hunderttausendköpfigen Oranje-Party. Und wo viele Schweizer plötzlich so locker wirkten, wie sich die Deutschen bei der WM vor zwei Jahren gern sahen.“

Das Detail macht die Stimmung

Holger Gertz (SZ/Seite 3) streicht im 06/08-Stimmungsvergleich das Liebenswerte an Österreich heraus: „Vor zwei Jahren war es genau umgekehrt. Anfang Juni musste man noch im Wollpullover losziehen, um die Biervorräte aufzufüllen, aber mit Beginn der WM, als Franz Beckenbauer ein geheimes Zeichen gegeben hatte, lösten sich die Wolken auf und gaben den Himmel frei. Es war unnatürlich warm bei der WM in Deutschland, es war so warm, dass die Spieler aus Togo und Angola zu Hause anriefen und sagten, wie warm es sei. Die Sonne erst war es, die das Sommermärchen auf Betriebstemperatur brachte, und in den Fankurven zogen Frauen und Männer sich halbwegs aus, bei denen man sich gewünscht hätte, sie täten es nicht. Die EM in der Schweiz und in Österreich ist keine Kopie der WM geworden, weil die Gastgeber-Teams zu früh rausgeflogen sind. Und es hat ja dauernd geregnet. Andererseits waren die Stadien trotzdem immer voll, und in der U-Bahn-Linie 2 ruckelten Fans aus Österreich gemeinsam mit denen aus Polen vor dem Spiel Richtung Stadion, Türken quetschten sich an Kroaten, Spanier atmeten Russen an. Die Frauen aus all diesen Ländern schauten während der Fahrt ins Fensterglas, um sich darin zu spiegeln und zu prüfen, ob die Gesichtsbemalung sitzt. Die Männer aus all diesen Ländern trugen hohe Hüte in den Nationalfarben, Hüte aus billigem Plüsch, und als sie von der U-Bahn ausgespuckt wurden, an der Endstation ‚Stadion’, waren alle perfekt geschminkt, die Hüte wackelten auf den Köpfen, ein zugleich lächerlicher wie rührender Anblick. Die Österreicher hatten vor der EM befürchtet, Horden von Hooligans würden die Mauern des Stephansdoms vollpinkeln oder die Fiaker-Pferde am Schwanz ziehen oder Schlimmeres tun. Aber es ist im Großen und Ganzen ruhig geblieben, Wien hat die EM unbeschadet überstanden. Wenn die Bedingung für ein Sommermärchen ist, dass die Fanmeilen überfüllt sind, war es keins. Die Österreicher wollten sich nicht von einer modernen Besatzungsmacht namens Uefa vorschreiben lassen, wo sie welches Bier zu welchem Preis trinken, man hätte vorher darauf kommen können. Die Österreicher sind sperrig und stolz, während die Deutschen immer noch beweisen müssen, dass sie richtig feiern können. Bei den Deutschen misst sich die Qualität einer Party an der Zahl der Gäste, 500.000 Menschen auf der Fanmeile am Brandenburger Tor. Bei den Österreichern macht das Detail die Stimmung.“

Angstmacherei

Der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag, die sich mit der Fremdenfrucht der Klagenfurter befasst, sei empfohlen, Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider nach den Ursachen zu fragen: „Die rührende Aufforderung des Klagenfurter Bürgermeisters an die Kärntner Bevölkerung, doch bitte die eigene Hauptstadt während der Euro nicht im Stich zu lassen, sagt alles. An keinem anderen Ort ist die vor Sportereignissen seit Jahren übliche Angstmacherei auf so fruchtbaren Boden gefallen wie in Kärnten. Und als die Einheimischen merkten, dass die in Aussicht gestellten Exzesse (Hooligans, Wucher, Vergewaltigungen) im Großen und Ganzen ausblieben, war’s zu spät. Da war Klagenfurt schon kein Austragungsort mehr. Und die Euro-Gäste, die sich in der ersten Juni-Hälfte ganz unter sich in ‚Österreichs erster Fußgängerzone’ (erbaut 1961) getummelt hatten, waren wieder nach Deutschland, Kroatien, Polen heimgereist. So wird nach dem Final nichts mehr daran erinnern, dass hier mal ‚etwas’ war.“

NZZaS: Der Fan in der EM-Hauptrolle – wenn sich Fußballanhänger zum Handlanger des Sponsors machen

Streichelt und schmust

Else Buschheuer (SZ) kann keine Ruhe finden (also sie tut nur so oder sie tut so, als ob sie nur so täte), solange sie nicht weiß, wer denn jetzt schwul ist: „Vielleicht wird es ja einer mit W. Viele Schwule fangen mit W an: Wowereit, Westerwelle, Walz, Wer-Weiß? Aber mir fällt kein Fußballer mit W ein. Nur Fritz Walter, und der ist schon tot. Und einer mit B. Beckham. Der ist zwar nicht schwul, aber er hat sich für ein Schwulenmagazin als Pin-up ablichten lassen. Kommerz, Solidarität, Gipfel der Coolness? Das Spiel mit dem Schwulsein ist ein Spiel mit dem Feuer. Ballack fängt auch mit B an. Und hat er nicht neulich in Moskau geweint? Und leckt er sich nicht dauernd die Lippen? Und trägt er nicht rote Fußballschuhe? Hitzlsperger hat keine Freundin. Verdächtig? Schweini bleicht sich die Haare. Macht das ein richtiger Kerl? Und Lahm. So viel Gel. Und Frings mit Brustpanzer. Aus Latex? Und welche Sehnsucht versteckt Metzelder hinter seinem Vollbart? Und was machen die eigentlich in der Pause? Zweites deutsches Tor im Halbfinale. Schweini schmatzt auf Kloses Hals. Fußball ist atemberaubend körperlich. Jeder Kopfball ist ein verzauberter Kuss, jedes Foul hat was Frivoles. Gökhan haut Klose den Ellenbogen vors Ohr. Aber Gökhan entschuldigt sich, streichelt Klose, schmust. Und jetzt! Lahm schießt das 3:2. Alle Jungs hüpfen auf einen Haufen. Sie sind einander so nah.“

Zug weg, Banditen weg, Damn!

Licht aus im Halbfinale – das Streiflicht (SZ) ist im falschen Film: „Ist es der Zufall, der ausgerechnet bei einem Halbfinalspiel zuschlägt, wo er doch bei ‚Verbotene Liebe’, beim ‚Traumschiff’ oder bei ‚Siska’ mit seinen Stromausfällen wüten könnte, ohne dass ein Hahn danach krähte? Oder ist es eine höhere Macht, die uns genau in solchen Augenblicken an die Nichtigkeit unseres Seins und Tuns und unserer Spiele erinnert, den Fußball eingeschlossen, der ja, bei aller Achtung vor Schweinsteigers glückhaftem Außenrist, Kloses herausragender Birne und Lahms Gespür für den linken Torwinkel, letztlich auch nichts anderes ist als ein vergebliches Rumpeln und Strampeln. Andererseits: Wieso sollte sich, wenn das alles so vergeblich ist, die Vorsehung dazwischenklemmen und uns das bisschen Gaudi durch Bild- und Tonausfälle vermiesen? Wahrscheinlich war es, ob aus Zufall oder höherem Walten, nichts anderes als ein die Spannung steigernder dramaturgischer Kniff, vergleichbar den endlos langen Güterzügen, die in amerikanischen Filmen just dann durchs Bild fahren, wenn der Sheriff die Banditen fast erreicht hat. Ist der Zug dann durch, sind auch die Banditen weg, und der Sheriff sagt: ‚Damn!’“

taz-Autoren resümieren die EM: „Fußball auf gehobenem Uefa-Pokal-Niveau meets postmodern-ironisch-gebrochenen Chauvinismus.“ (Raphael Honigstein)
welt.de: Fünfzig magische EM-Momente

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