indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Von Zierpudeln und Fackelträgern

Oliver Fritsch | Dienstag, 5. August 2008 Kommentare deaktiviert für Von Zierpudeln und Fackelträgern

Ein sid-Redakteur wird wegen übertriebener Nähe nicht mehr über das IOC berichten – ein in der Branche typischer Hintergrund mit einer untypisch konsequenten Folge

Nachdem Jens Weinreich den Sportjournalisten Dieter Hennig (sid) als Fackelträger enttarnt hat und dessen IOC-freundlichen Kommentar zur Zensurfrage („Niemand hat die Absicht, Websites zu sperren“ oder so) als gefärbt, entscheidet sich der sid nun dafür, Redaktionsleiter Henning nicht mehr über das IOC und chinesische Politik berichten zu lassen. Eine erstaunlich konsequente Entscheidung. Die ARD protegiert ihre Sünderlein viel ausdauernder und, nun ja, loyaler. Weinreich schreibt: „Dem Vernehmen nach hat es in der sid-Redaktion härtere Auseinandersetzungen um die Berichterstattung und den Kurs von Hennig gegeben.“

Stefan Niggemeier greift Weinreichs Recherche auf und stellt pointiert klar: „Der sid-Geschäftsführer fügte hinzu, ‚anders als unterstellt wurde’ habe es ‚keinen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung des sid und dem Fackellauf von Dieter Hennig gegeben’. Hennig vertrete seine Linie seit Jahrzehnten. Ich habe keinen Zweifel, dass das stimmt. Ich habe nie vermutet, dass Hennig vergangene Woche so IOC-freundlich (und falsch) berichtet hat, weil er für den Fackellauf nominiert wurde. Meine Vermutung ist, dass er für den Fackellauf nominiert wurde, weil er seit Jahrzehnten so IOC-freundlich berichtet hat.“

Propaganda

Holger Gertz (SZ) sieht das ähnlich: „Ein technischer Fehler sei zwar mitverantwortlich gewesen, teilte der sid mit; die Agentur habe einen privilegierten Netzzugang, aber als Entschuldigung reichte das nicht mehr. Wer über die Jahre die Texte von Hennig gelesen hatte, wäre manchmal froh gewesen, alles hätte sich mit einem technischen Fehler erklären lassen. Ihn als unkritisch gegenüber dem IOC und nicht zuletzt Thomas Bach zu bezeichnen hieße, die Wahrheit sanft zu ummanteln. Was er schrieb, las sich wie Propaganda.“ Folgendes Zitat Hennigs überliefert uns die SZ: „Das Olympische Feuer wird rund um die Welt die Menschen in seinen Bann ziehen.“

Gertz fügt diesem Medienthema einen weiteren Aspekt hinzu: „Interessant ist, dass die verqueren Berichte Hennigs von den Bloggern Stefan Niggemeier und Jens Weinreich aufgegriffen und zum Thema erst gemacht wurden, über das dann wieder Printmedien berichteten. So ist dem sid-Mann das Internet irgendwie in doppeltem Sinne zum Verhängnis geworden.“

Diese Beobachtung ist deswegen so bemerkenswert, weil sie in der SZ steht, die das Internet auch schon mal als Heimat der Denunzianten bezeichnet. Doch geben wir (Internet-Fuzzys) es zu: Weinreich und Niggemeier sind zwar Blogger, aber nicht dem Internet entwachsen. Es sind Leute, die ihr Rüstzeug in der Zeitung mitbekommen haben.

Besondere Spezies

Nach der Lektüre von Christian Zaschkes ausführlichen schamhaften Selbstreflexion in der SZ am Wochenende müssen wir lachen – aber auch ein bisschen weinen: „Heißt Peking die besten, die kritischsten, die aufrechtesten Berichterstatter der Welt willkommen, die sich ungestört umsehen dürfen? Nein. Wer da kommt, das ist eine besondere Spezies: Peking erwartet den Einmarsch der Sportjournalisten. Mit Freude. Denn seien wir ehrlich: Sportreporter sind im Berufsstand der Journalisten das, was die Zierpudel unter den Hunden sind. Ich bin einer von ihnen.“

Neulich in der SZ-Redaktionssitzung

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

111 queries. 0,534 seconds.