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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Konsensstil steht auf der Probe

Oliver Fritsch | Mittwoch, 20. August 2008 Kommentare deaktiviert für Konsensstil steht auf der Probe

Joachim Löw versucht ab heute, im Spiel gegen Belgien, verlorenen Kredit wiederzuerlangen und seine Kritiker davon zu überzeugen, dass er den Mut hat, sich auch mit etablierten Kräften wie Michael Ballack und Torsten Frings anzulegen / Mario Gomez spricht über Österreich, Serdar Tasci vor dem Debüt / Belgiens Fußball hat Vergangenheit und Zukunft, aber keine Gegenwart (FAZ)

Joachim Löw muss sich neu bewähren – das belegen die Kommentare in der Presse, die dem Bundestrainer vorwirft, zu weich gehandelt zu haben. Im Hinterkopf ist natürlich die spielerisch mittelmäßige Europameisterschaft der deutschen Elf, auch von internen Konflikten ist die Rede. So liest man in der SZ, dass das Geplänkel zwischen Michael Ballack und Oliver Bierhoff nach dem Finale tiefer liegende Ursachen habe und Ballack bis heute darauf verzichte zu beschwichtigen. „Die Beteiligten werden keine Freunde mehr werden“, mutmaßt Philipp Selldorf und merkt zudem an, dass Ballacks Status im Team gesunken sei: „Ballack ist nicht mehr unumstritten, sein Führungsstil wurde von Teamkollegen als despotisch empfunden. Vor allem erfahrene Mitspieler bemängeln, dass er sich während der EM nicht solidarisch verhalten habe, und dass er seine Sonderstellung, die ihm als Star und Kapitän zugestanden wird, nicht durch besondere Leistungen bestätigt habe.“

Auch die FR befasst sich mit Ballack: „Einige Spieler waren bei der WM und in der EM-Qualifikation sehr stark“, gibt sie Löw wieder, „aber es drängen junge Spieler nach, und es zählt die Leistung jetzt.“ Jan C. Müller stellt klar: „Übersetzt heißt das erstens: Ballack und Frings, beide bald 32 Jahre alt, waren bei der EM selber nicht sehr stark. Und zweitens: Das Leistungsprinzip, das Löw in Einzelfällen durch das Prinzip Erfahrung aufgeweicht hatte, wird wieder konsequenter angewandt.“

Michael Neudecker (Berliner Zeitung) stimmt ein: „Frings und Ballack, einst als Kraftzentrum des deutschen Spiels international gerühmt, sind nicht mehr unanfechtbar.“ Auch Roland Zorn (FAZ) wittert Umwälzungen: „Es tut sich was in einer Mannschaft, die bei der EM noch stark bestimmt war von jenen Profis, die seit Jahren das Profil des Teams geprägt haben.“

„Form und Fitness kommen vor Namen“, gibt Löw vor. In den Redaktionen gibt es aber Zweifel an seinem Mut, Änderungen durchzusetzen. „Jetzt gibt es einen neuen Abschnitt, und der läuft nach dem Leistungsprinzip“, zitiert Zorn den Coach, doch fragt er zugleich: „Galt das etwa nicht für den Abschnitt davor?“ Und die SZ spricht von Löws „Konsensstil“, der zur Probe stehe.

Die FAZ bringt den braven Thomas Hitzlsperger als Herausforderer ins Spiel, den man folgend zitiert: „Ballack und Frings sind zwei starke Spieler, die es zu verdrängen gilt. Ich habe von beiden viel gelernt, aber ich möchte sie eines Tages ablösen.“ „Zeit der Kampfansagen“, titelt die FAZ etwas grell. In der FR liest man: „Löw wird verdächtigt, die Wortwahl zuvor mit Hitzlsperger und Simon Rolfes zumindest in Teilen abgesprochen zu haben.“

Perplex

Mario Gomez lässt in der Stuttgarter Zeitung seinen großen Auftritt aus dem Österreich-Spiel Paroli laufen: „Eine verrückte Szene, die ich leider noch ein paar Mal im Fernsehen gesehen habe. Es kann in so einer Situation passieren, dass man den Ball nicht richtig trifft. Was nicht passieren darf, ist, dass man nicht nachsetzt und zum Kopfball hochgeht. Da war ich zu perplex und habe gedacht: jetzt treff ich das Tor schon wieder nicht. Ich war verunsichert.“

Kampf um Talente

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) nimmt das bevorstehende Debüt Serdar Tascis zum Anlass, über Integration im Fußball zu recherchieren: „Das türkische Element im deutschen Fußball ist immer noch überschaubar. Anders als umgekehrt. Als die Türken 2002 Dritter der Weltmeisterschaft wurden, waren die so genannten Almancilar, die Deutschländer Bastürk, Davala und Mansiz, entscheidend an diesem Erfolg beteiligt. Den Kampf um die Talente gibt es immer noch – aber er wird nicht mehr so erbittert geführt. Beim DFB heißt es, man akzeptiere, wenn sich Jugendliche für die Türkei entschieden. Der Verband kann sich das leisten. In Deutschland gebe es wieder so viele gut ausgebildete Talente, dass gar nicht alle für Deutschland spielen könnten.“

Die Neue Zürcher Zeitung staunt im Vorspann: „Unglaublich, aber wahr: Deutschland hat ein Torhüterproblem“, kann die Brisanz, die hier angedeutet wird, im Text jedoch nicht vermitteln. Hier passt die Verpackung nicht zum Inhalt.

Mit Vergangenheit und Zukunft, aber ohne Gegenwart

Christian Eichler (FAZ) widmet sich dem Gegner: Der belgische Fußball habe eine Vergangenheit (EM-Zweiter 1980 und WM-Vierter 1986) und eine Zukunft, aber keine Gegenwart: „Dass der Verband als Nachfolger des gescheiterten Trainers René Vandereycken niemanden anders als wieder Vandereycken fand, der eine ‚neue Chance’ erhielt, sah nicht wie ein Neuanfang aus. Vandereycken gilt als Mann von gestern, er pflegt einen eher defensiven, langsamen Fußball, der immer öfter auch von den Spielern selbst kritisiert wird.“

Fußballbelgiens Zukunft, das Olympia-Team, wird übrigens nach einer 1:4-Niederlage gegen Nigeria am Freitag gegen Brasilien um Bronze spielen. Bezeichnend, dass das belgische Fernsehen das Spiel offenbar nicht live überträgt – nicht gerade eine Ehrerbietung für den deutschen Fußball.

FR-Kleinportrait Daniel van Buyten

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