indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ascheplatz

Klinsmann denkt in vielen Dingen ähnlich wie ich

Oliver Fritsch | Dienstag, 2. September 2008 Kommentare deaktiviert für Klinsmann denkt in vielen Dingen ähnlich wie ich

Oliver Kahn trifft vor seinem Abschiedsspiel heute ungewohnte, versöhnliche und souveräne Töne / Kritik am ZDF, das zu viel Geld für ein sportlich bedeutungsloses Spiel hinblättere

Oliver Kahn ist lockerer geworden. Um nicht zu sagen: Oliver Kahn ist ein anderer geworden. Wie angenehm lesen sich seine Aussagen in den Zeitungen dieser Tage – gerade im Kontrast mit früher. Deutlich wird das gerade, wenn man sich am letzten Sonntag auf 3sat nochmals das Kahn-Portrait von 2006 zu Gemüte geführt hat. Dort spricht ein aufgeblasener Egomane, der sich allen Ernstes mit der Hauptfigur in „Papillon“ vergleicht, einem Häftling auf Französisch-Guayana, dem nach zwölf Jahren endlich die Flucht aus dem Gefangenenlager gelingt. Sich gegen größte Widerstände durchsetzen – in dieser Rolle hat sich der Ex-Kapitän der Nationalelf damals gesehen, gerade angesichts der Degradierung durch Jürgen Klinsmann (wobei der Film im Januar aufgezeichnet wurde, also noch vor der Versetzung Kahns auf die Bank im April). Dabei hätte man einwenden können, dass Kahn zeit seiner Karriere keineswegs Hürden zu überwinden hatte, sondern im Gegenteil immer auf die Unterstützung mächtiger Freunde zählen konnte. Stichwort, Immunität gegen Rote Karten. Aber diese Geschichte ist längst erzählt.

Wenden wir uns also der Gegenwart zu! Heute nimmt Kahn im Interview mit der SZ seinem Verhältnis zu Klinsmann jede Brisanz: „Das ist so ein typischer Medien-Trugschluss. Alle denken: Klinsmann, Kahn, WM 2006, das kann nicht funktionieren. Das ist völlig falsch. Erstens sind zwei Jahre vergangen, und zweitens denkt Klinsmann in vielen Dingen ähnlich wie ich. Er hat ja viele intelligente Dinge gemacht. Es ist völlig richtig, nicht irgendwo hinzugehen und zu sagen: Hallo, ich bin jetzt hier der Trainer und mach in eurem System mal ein bisschen mit. Jürgen Klinsmann baut sich sein eigenes System, er bringt seine eigenen Leute mit, umgibt sich mit Vertrauten. Aber auch was seine Trainingslehre und seinen Umgang mit Psychologie anbelangt, sind wir uns sehr nah. Klinsmann wollte damals sein System eben komplett installieren, dazu gehörte offenbar auch die Torwartposition. Wenn man das einmal verstanden hat, dann erscheint das, was er mit mir gemacht hat, zumindest aus seiner Sicht folgerichtig. Das war nichts Persönliches.“

Na, das nenn ich mal Größe. Es sei für ihn übrigens „alles andere als ausgeschlossen“, mit Klinsmann in Zukunft zusammenzuarbeiten. Und über zwischenzeitliche Spannungen zwischen ihm und den Bayern-Offiziellen gibt er sich ebenso generös: „Natürlich gibt’s in vierzehn Jahren immer wieder mal Reibereien, aber ich muss ehrlicherweise sagen, dass es ja auch eine Zeit gab, in der ich selbst ein paar seltsame Verhaltensweisen an den Tag gelegt habe. Da kann man nicht immer die anderen verantwortlich machen.“

Drei Millionen für ein Spiel ohne Bedeutung

In der FR gibt er sogar nachträglich manchem Kritiker recht (vielleicht auch, weil er bald selbst Kritiker wird): „Ich schaue jetzt aus einer anderen Perspektive auf den Fußball. Da nimmt man Aussagen eines Spielers etwas anders wahr. Und ich muss sagen, der eine oder andere Experte hat doch nicht so ganz Unrecht gehabt in der einen oder anderen kritischen Analyse. Aber das möchte man als Spieler natürlich überhaupt nicht wahr haben.“ Und angesichts der Tatsache, dass er heute unter Klinsmann spielen wird, erlaubt er sich gar einen Flachs: „Mal schauen, wie er meine Trainingsleistung bewertet. Vielleicht spiele ich ja gar nicht.“

Sein Abschiedsspiel heute sei ihm persönlich zwar gegönnt, dennoch ist daran zu erinnern, dass der DFB Abschiedsspiele vor Jahren abgeschafft hat. Fragt sich, wie sich ein solches Privileg begründen lässt – und wie man das künftig handhaben wird. Gerade, wenn man bedenkt, dass es hier nicht nur um eine Ehrerweisung an einen verdienten Spieler geht, sondern ums Geschäft. In der FAZ vom Montag und vom Sonntag liest man Kritik am ZDF, weil der öffentlich-rechtliche Sender (zu) viel Geld für das Spiel bezahlt habe. Peer Schader (FAS) frotzelt: „Drei Millionen Euro sollen die Mainzer an den FC Bayern für die Ausstrahlungsrechte bezahlt haben, für ein Spiel, dessen fußballerische Bedeutung ungefähr so hoch ist wie die von Lothar Matthäus für die aktuelle Bundesliga-Saison.“ Und warum will Kahn heute nur für die Bayern spielen und nicht für die Nationalelf?

Verbindet Sie etwas? Wir sind beide Torhüter

Robert Enke übrigens distanziert sich im Interview mit der Sonntag-FAZ ungewöhnlich offen, wenn auch die diplomatische Note wahrend, von Kahn, also dem alten Kahn: „Ich war nicht mit allem einverstanden, was er auf dem Platz gemacht hat. Da bin ich ein anderer Typ. Was mich in den letzten Jahren beeindruckt hat, war, dass er durch seine Einstellung zum Spiel maßgeblich an den Erfolgen der Bayern beteiligt war.“

Folgende Frage-Antwort-Passage liest sich extrem kühl: „Verbindet Sie etwas?“ „Wir sind beide Torhüter.“ Der Eindruck, den die gedruckte Fassung vermittelt, kann aber auch täuschen. Wohltuend auch Enkes Medienkritik: „Es hat mich sehr gestört, als damals in der Tagesschau die erste Meldung war, dass Lehmann die Nummer 1 ist und am selben Tag – wie viele Menschen auch immer – auf der Welt ihr Leben verlieren. Zu dieser Zeit haben sich die Werte verschoben. Das darf nicht passieren.“

Und aus dem nächsten Einwand spricht die Genugtuung, dass die Zeiten von Lobbyismus in Torwart- und anderen Fragen vorbei sind: „Kann man ohne Hausmacht die deutsche Nummer 1 sein?“ Enkes Erwiderung gleicht einem Lob für den Journalisten: „Das ist eine gute Frage.“ Und gleichzeitig zieht Enke aus der aktuellen Situation Zuversicht: „Bei der sportlichen Leitung, die im Moment das Sagen hat, glaube ich das auf jeden Fall.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

110 queries. 0,498 seconds.