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Ascheplatz

Die Welt kommt von sich aus nach England

Oliver Fritsch | Mittwoch, 3. September 2008 Kommentare deaktiviert für Die Welt kommt von sich aus nach England

Eine ölreiche Familie aus Abu Dhabi kauft Manchester City und schnappt dem Chelsea-Boss Roman Abramowitsch Robinho vor der Nase weg – die Presse mutmaßt über eine beginnende Ära, wird City bald zu den Großen Englands, Europas und der Welt gehören? / Real Madrid durch den Verlust Robinhos endgültig blamiert / Fortuna Köln auf den Spuren Ebbsfleets

Thema des Tages ist die Übernahme Manchester Citys durch die Abu Dhabi United Group (Adug), die Investorengruppe der abudhabischen Herrscherfamilie Al Nayhan – und damit einhergehend der spektakuläre, weil sensationelle Kauf Robinhos, um den auch „Big Gun“ Abramowitsch warb. Der Chef Sulaiman Al-Fahim, der in diesen Tagen auch für Mario Gomez geboten haben soll, verspricht den City-Anhängern nicht weniger als den Gewinn der Champions League in absehbarer Zeit. Teile der deutschen Presse weisen diesem Ereignis den Charakter einer fußballhistorischen Wegmarke zu.

Raphael Honigstein versorgt heute einige Zeitungen mit Stoff, in der FR betont er die Signalwirkung des Wechsels auf England und die Welt: „Der Robinho-Transfer ist geeignet, Manchester City als Marke im Wachstumsmarkt Asien zu etablieren, aber er verströmt auch Symbolkraft nach innen: Seit Roman Abramowitsch vor fünf Jahren Chelsea übernahm, wurde er auf dem Spielermarkt erstmals überboten. Neben dem märchenhaften Vermögen der Al-Nahyan-Familie verblassen die Mittel des russischen Rohstoff-Oligarchen. Die Verhältnisse in der Premier League und in Europa werden nun neu geordnet. Und die englische Öffentlichkeit steht dem Engagement von Adug erstaunlich positiv gegenüber: Die Dominanz der großen vier hat viele gelangweilt. Allein die Tatsache, dass die Araber die Liga spannender machen dürften, erfreut die neutralen Beobachter.“

Auf Seite 1 der SZ befasst er sich mit der Spekulation, dass der Deal Nachahmer finden könnte und Englands Fußball weitere Geldströme zuteil werden: „Der City-Deal mit Abu Dhabi wird wohl das benachbarte Emirat Dubai auf den Plan rufen. Die beiden Golfstaaten konkurrieren seit Jahren um internationales Prestige und glanzvolle Investments. Man wird sich nicht wundern müssen, wenn das bedeutendste Derby der Emirate demnächst im Nordwesten Englands veranstaltet wird: Dubais Staatsfonds liebäugelt schon mit dem Kauf des FC Liverpool.“ Honigstein führt das Interesse ausländischer Kaufleute auf die Attraktivität der Premier League zurück: „Die Welt kommt von sich aus nach England.“

Im sportmedienblog lacht man auf Kosten Chelseas: „Der Treppenwitz an der ganzen Robinho-Geschichte: Chelsea war sich so sicher, den Spieler zu bekommen, dass man schon Trikots mit seinem Namen verkauft hat und: Shaun Wright-Philips an Man City abgegeben hat. Weil dieser mit Robinho in der Mannschaft gar keine Perspektive mehr hatte. Und nun kommt Robinho auch zu City …“

Javier Cacéres (SZ) blickt nach Madrid: „Real hat sich mit diesem Transfer endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben. Den ganzen Sommer über kokettierte der Klub mit dem stets ‚nahezu sicheren’ Transfer-Coup Cristiano Ronaldo und prahlte, dass 100 Millionen Euro in der Kasse seien.“ Die Rede ist auch vom gesunkenen Status Bernd Schusters, seiner gestörten Beziehung zu Manager Predrag Mijatovic und zu einigen Vorstandsmitgliedern. „Den kann nicht mal Gott ausstehen“, greift die SZ das Zitat eines anonymen Präsidiumsmitglieds auf, das in Spaniens Presse kursiert.

Die Fußballwelt als Wille und Vorstellung

Zudem hört man von der Deutung, dass Real Robinho an City verkauft habe, um den FC Chelsea eins auszuwischen, mit dem sich die Real-Führung überworfen habe. Oder bekam City den Zuschlag, um Robinho bloßzustellen – nämlich dass er wegen des Gelds einen Vereinswechsel angestrebt hat und nicht aus Ehrgeiz? City spielt nicht mal Uefa-Pokal.

Thomas Kilchenstein (FR) lässt seiner Befindlichkeit freien Lauf: „Wie viele Menschen wären mit der knappen Milliarde Euro, die die Scheichs für ihr Spielzeug haben springen lassen, wohl vor dem Verhungern zu retten?“ Fehlt noch der Vers: Geld allein macht nicht glücklich.

Christian Eichler (FAZ) hat die letzten Stunden des „Deadline Day“ verfolgt, des Tags, an dem (nicht nur) in England der Transfermarkt schließt. Und eine besondere Rolle spielten die www-User, die von den Redaktionen und Agenturen zum Tratschen aufgefordert werden: „Deadline Day oder: Die Fußballwelt als Wille und Vorstellung. Ein Gemisch von Gerücht und Geschäft, Geschwätzigkeit und Geheimniskrämerei, von freier Erfindung und, gezielter Desinformation – wie es für das Internet typisch ist und für den Fußball auch.“ Und hier noch mehr zu diesem Thema, vom selben Autor: über die neuen Eigner Manchester Citys und die neue Liquidität des Klubs und wie er den Lokalrivalen United zu einem höheren Preis für Dimitar Berbatow trieb.

Bella figura

Blicken wir mit der SZ nach Italien! Birgit Schönau spottet über den allgemein lässigen Umgang mit Soll und Haben: „Keiner dieser Klubs besitzt ein Stadion. Aber hinter allen stehen ehrgeizige, geltungssüchtige Unternehmer. Sie machen in Spielzeug (FC Genua), Krokodillederschuhen (AC Florenz) oder Flughäfen (AS Rom). Mit Abramowitsch können es zwar nur Berlusconi und Inters Petrolmagnat Massimo Moratti aufnehmen, doch die ungleich ärmere Konkurrenz möchte trotzdem nicht zurückstehen. Wer sich John F. Kennedys Boot gekauft hat, nur um damit standesgemäß von Neapel die paar Seemeilen nach Capri zu schippern, wie Fiorentina-Besitzer Diego Della Valle, der möchte endlich auch in der Champions League bella figura machen. Koste es, was es wolle.“

So weit ist es gekommen mit Deutschlands ehemals größtem Torwarttalent

Die NZZ referiert den Saisonstart in der Serie A, bei dem die Favoriten nicht gewinnen konnten, und auch, dass José Mourinho von Fußballitalien mit Argwohn begrüßt worden sei. Der ehemalige U21-Trainer Marco Tardelli soll gesagt haben: „Mourinho konnte in England erfolgreichen Fußball spielen lassen, weil es dort viele schlechte Verteidiger gibt. Hier in Italien sind alle exzellent ausgebildet und verstehen es, die taktischen Anweisungen der Trainer gut umzusetzen.“

Tardellis wichtigstes Tor (mein Gott, sahen die deutschen Abwehrspieler alt aus!)

Barca und Real hat’s ebenso erwischt, die NZZ kramt im Archiv: „Zuletzt hatten beide Topklubs in der Saison 1939/40 ihre Eröffnungsspiele verloren.“ Auch in Holland ging’s den Großen an den Kragen, etwa Marco van Basten mit Ajax Amsterdam (NZZ).

Dem unglücklichen Timo Hildebrand, Valencias drittem Torwart, widmet sich die Berliner Zeitung. Angeblich habe ihn sein Berater in Hoffenheim angeboten – wo er eine Ablehnung erhalten habe. „So weit ist es gekommen mit Deutschlands ehemals größtem Torwarttalent.“

Enttäuscht

Wolfgang Hettfleisch (FR) berichtet über die ersten Resultate bei Fortuna Köln, der nun ein Online-Community-Verein ist. Aus Ebbsfleet, dem englischen Pionier dieses Modells, hört man bereits nach kurzer Zeit nicht viel Gutes über das Mitbestimmungsprojekt: „MyFC findet fast überall in Europa Nachahmer“, schreibt Hettfleisch. „Zuhause auf der Insel ist das Echo nicht mehr ungeteilt positiv. Einige derer, die glaubten, mit der Zahlung von 35 Pfund ein Mitspracherecht am sportlichen Kurs von Ebbsfleet United erworben zu haben, sind inzwischen bitter enttäuscht.“

Bluff eines nackten Mannes

TV-Verhandlung – allesaussersport zieht die DFL am Ohr: „Die Drohung, gegen ein etwaiges Einschreiten des Kartellamts gegen die erfolgte Vergabe der TV-Rechte juristisch vorzugehen, bleibt weiterhin der Bluff eines nackten Mannes. Das hat sich die DFL selbst eingebrockt, weil sie dank der Sirius-Geschichte, inklusive Konzeption, Einholen der Bankbürgschaften und ähnliches Tütelüt knapp elf Monate verbrannt hat, ohne essenziell weiter zu sein.“ Mehr, auch Links zu anderen Zeitungen, finden Sie hier.

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