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Ball und Buchstabe

Fußballweisheiten wie in Butter gemeißelt

Oliver Fritsch | Donnerstag, 11. September 2008 Kommentare deaktiviert für Fußballweisheiten wie in Butter gemeißelt

Biederes Kahn-Debüt im ZDF / Joachim Löw hätte Johannes Kerner beinahe eine gescheuert / Erste Reaktionen auf das 3:3 der deutschen Elf in Finnland / Blamage für Ottmar Hitzfeld: 1:2 gegen Luxemburg

Mit Spannung war Oliver Kahns Einstieg als TV-Experte erwartet worden. Na ja, Spannung ist zu viel gesagt, doch zumindest haben sich die Fachmänner genau angeschaut, was er da gestern so getrieben hat. Gesamtnote: bestenfalls nicht schlecht. Wolfgang Hettfleisch (FR) vernimmt einen Kontrast im Vergleich zu Kahns Vorgänger Jürgen Klopp, den Hettfleisch gar nicht mal vermisst: „Lächelt der Titan a. D., sieht es immer ein bisschen so aus, als käme er gerade vom Zahnarzt und die Spritze wirkte noch nach. Das muss im Flimmerkasten, in dem er jetzt steht, nicht unbedingt ein Nachteil sein. Klopps Studenten-Charme nutzte sich gegen Ende seiner Fernsehkarriere doch merklich ab. Vielleicht dachten sich das ja auch die ZDF-Bosse, als sie sich entschieden, Kahn die Nachfolge anzutragen. Als Anti-Klopp.“

Überraschendes habe der „altkluge Fußballexperte von altem Schrot und Korn“ nicht zu bieten gehabt: „Ruhig und sachlich in Tonlage wie Oberbekleidung lieferte Kahn aufs Kernersche Stichwort Fußballweisheiten wie in Butter gemeißelt: ‚Der Konkurrenzkampf im Tor ist voll eröffnet’ oder ‚Ein Michael Ballack ist aus der Nationalmannschaft nicht wegzudenken’. So hat er es einst schon als Torwart gehalten, wenn ihn der Rückpass eines Mitspielers in Schwierigkeiten brachte: schnörkellos weg mit dem Ball. Hoch und weit.“ Hettfleischs Fazit: „Ein ganz klein bisschen Klopp-Wehmut stellt sich dann doch ein.“

Jochen Hieber (faz.net) nimmt den Wechsel als Rückschritt wahr: „Mit Oliver Kahn kehrt das Fußball-Expertentum im Fernsehen wieder zu den Graswurzeln dieses Sports zurück. Keine intelligenten, gar intellektuellen Analysen einzelner Spielzüge, Formationen und Zuordnungen mehr – was Jürgen Klopp dem ZDF und dessen Zuschauern mehrere Jahre lang mit seinen Kringeln und Pfeilen auf dem touch screen bescherte, ist Kahns Sache ganz und gar nicht.“

Das Glück musst du dir im Gespräch mit dem Trainer erarbeiten

Friedhard Teuffel (Tagesspiegel) lässt Kahn sogar gegen Kerner verlieren: „Das Analyse-Board, mit dem Kahn den Einzelfall hätte vorführen können, ruhte wie eine Staffelei vor jemandem, der in der Schule Kunst abgewählt hat. Das schneidige Einziehen der Luft durch die Zähne wird Kahn als neues Markenzeichen nicht reichen. Mal kitzelte Kerner ihn, mal flankte er ihn an, mal erklärte Kerner einfach. So hatte dieses Spiel mit Johannes B. Kerner am Ende doch noch einen Gewinner.“ Ausgerechnet Kerner, dem Joachim Löw gestern fast eine gescheuert hätte (wenn mein Eindruck nicht täuscht, siehe auch Live-Blog, inklusive Kommentar).

Der Sprechtrainer Michael Rossié (stern.de) urteilt vorsichtig: „Kahn bekommt den Punktsieg für die souveräne Wirkung und den lockeren Auftritt, so genau untersuchen darf man das, was er sagt, nicht in jedem Falle.“ Bei Rossiés Analyse der K-Töne entsteht eine nette Sammlung von Sachen wie: „Das Glück musst du dir im Gespräch mit dem Trainer erarbeiten.“

Am stärksten beim Schönreden

Erste Reaktionen auf das 3:3 der deutschen Elf in Finnland (morgen lesen Sie hier die ausführliche Analyse) – Matti Lieske (Berliner Zeitung) blickt hinein in Miroslav Klose: „Drei Tore in einem Spiel, das sollte eigentlich genügen, die Krise eines Stürmers zu beenden. Ganz so einfach ist es aber vermutlich nicht, auch wenn der Teil der Misere, der mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun hatte, gewiss behoben ist.“ Lieske hat auch nicht übersehen, dass Klose bei seinem zweiten Tor schon im ersten Versuch hätte treffen sollen.

Im Vorspann auf Spiegel Online liest man: „Haarsträubende Abwehrfehler, Schlafmützigkeiten gegen einen überraschend starken Gegner: Das deutsche Unentschieden in Finnland war höchstens für die Zuschauer ein Vergnügen, da unterhaltsam und spannend. Die allerstärkste Leistung zeigte die Mannschaft nach dem Spiel – beim Schönreden.“

Blamabel

Ein dickes Ding, dass Ottmar Hitzfelds Schweiz in Zürich gegen Luxemburg 1:2 verliert, wobei der Name Jeff Strasser in jedem Spielbericht auftaucht, nicht zuletzt, weil er ein Tor geschossen und eins auf den Weg gebracht hat. Peter B. Birrer (Neue Zürcher Zeitung) holt seine Landsleute auf den Boden zurück: „Nach der 1:2-Niederlage gegen die Amateure aus dem Herzogtum ist der mit Hitzfeld zunächst entfachte Schwung fürs Erste verpufft. Die Realität ist für die Schweizer Auswahl nicht die automatische Teilnahme an Endrunden, wie dies die letzten Jahre vorgaukeln, sondern der enge Kampf um die Teilnahme, der bis in die letzte Runde (und darüber hinaus) dauern kann. Wenn überhaupt.“ Hitzfeld sah er „mit versteinerter Miene, aber routiniert Auskunft gebend“.

Flurin Clalüna (Neue Zürcher Zeitung) fühlt sich an die Schweizer 0:1-Niederlage in Aserbaidschan erinnert: „Baku 1996, Zürich 2008“, lautet die Schlagzeile – wobei er nicht zu erwähnen vergisst, dass sich der damalige Trainer Rolf Fringer nie von dieser Niederlage erholt habe. Große Enttäuschung über das Ergebnis und Hitzfelds Einstand empfindet auch er: „Man sollte sich im schnelllebigen Fußballgeschäft mit überharten Urteilen zurückhalten. Aber wie und dass die Schweizer dieses Spiel verloren haben, war blamabel, nicht mehr und nicht weniger. Dass dies ausgerechnet unter dem Erfolgstrainer Hitzfeld geschah, hatten viele schlechterdings für unmöglich gehalten. Er selber vielleicht auch.“

Und seinen Ärger über die gemeinen Spielverderber aus Luxemburg kann Clalüna gerade noch im Zaum halten: „Die Luxemburger verbarrikadierten sich, sie schlugen die Bälle fort, als wären es gefährliche Sprengkörper, die man besser nicht zu lange am Fuß führt. Ja, am liebsten hätten sie wohl den Mannschaftsbus vor den eigenen Torpfosten parkiert, um die Schweizer am Toreschießen zu hindern. Es war angesichts der Papierform ihr gutes Recht, das Spiel auf diese Weise zu boykottieren, wie eine menschgewordene Solidaritätskette verteidigten sie. Sie löste sich erst ganz am Schluss auf – als sie im Jubel auseinanderbrach.“

Beim Boulevardblatt Blick ist schon von möglichen Rücktrittsforderungen an Hitzfeld die Rede, auch wenn man sie noch ausschließt.

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