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Deutsche Elf

Unruhige Zeiten stehen bevor

Oliver Fritsch | Mittwoch, 22. Oktober 2008 Kommentare deaktiviert für Unruhige Zeiten stehen bevor

Ausschließlich harsche Kritik an Michael Ballack, sein Rauswurf sei keine unwahrscheinliche Variante / Einheit Nationalmannschaft zerbrochen (FAZ) / Theo Zwanziger steht an der Seite Joachim Löws

Die Sportredaktionen Deutschlands scheinen mehrheitlich damit zu rechnen, dass Joachim Löw Michael Ballack rauswerfen wird. So zumindest deuten sie Löws Aussagen über Ballacks öffentliche Kritik: als ernstzunehmende Drohung, der sich Ballack unterwerfen sollte. Markus Völker (taz) schreibt: „Der nette Herr Löw kann auch anders. Je größer der innerbetriebliche Druck auf ihn wird und je mehr die Gruppendynamik aus dem Ruder zu laufen droht, desto autoritärer scheint er zu werden. In seinen Äußerungen steckt ein klare Drohung: Kommen wir nicht überein, dann ist die Nationalmannschaftskarriere für Ballack zu Ende.“

„Ballack riskiert seine DFB-Karriere“, heißt es von Philipp Selldorf (SZ), der baff über dessen Meinung urteilt: „Wie Ballack in Löws simplem Kurswechsel eine Verschwörung erkennen kann, ist ein Rätsel. Er wird es Löw schlüssig erklären müssen, sonst wird es vielleicht ihr letztes Gespräch miteinander sein.“ Auch die FR hat ein Machtwort des Bundestrainers herausgehört: „Löw droht Ballack mit Rauswurf“.

In einem zweiten Text veranschaulicht Selldorf die Schwere des Delikts: „Kritik am Trainer und/oder an Mitspielern planvoll in Interviews publizieren zu lassen – wie es Ballack in der Manier eines Politikers getan hat –, das ist ein Vergehen, das eigentlich nur noch von absichtlichen Schienbeinbrüchen im Training übertroffen werden kann.“

Immer-IchIchIch-AGs

Unter dem Titel „Eine Einheit ist zerbrochen“ betont Michael Horeni (FAZ) den Kontext, denn Ballack ist nicht der einzige, der aus der Linie ausgeschert hat. Und er tut das auch nicht zum ersten Mal. Stichworte Ballack/Bierhoff, Kuranyi, Frings. Horeni spürt, sich nicht nur auf Ballack fokussierend, ein „Reizklima, wie es die meisten Spieler noch nie erlebt haben“. Von wegen „Identität“ und „gemeinsames Ziel, das über Einzelinteressen und Eitelkeiten gestellt ist“. Das sei eine „Fiktion“. Horenis Fazit streicht die möglichen Langzeitfolgen heraus: „Ballack und der Nationalmannschaft stehen unruhige Zeiten bevor.“

Markus Lotter (Berliner Zeitung) erkennt die Tendenz zur Dekadenz: „Die Immer-IchIchIch-AGs im Kreis der Nationalmannschaft sind immer mächtiger und vorlauter geworden, gemanagt von der ersten Ich-AG des deutschen Fußballs, wie Karl-Heinz Rummenigge Oliver Bierhoff getauft hat. Ein Biotop für altkluge Neureiche ist hier scheinbar entstanden, mit finanziell unabhängigen und sorgenfreien Egomanen, bei denen der Sinn fürs Ganze abhanden gekommen ist, bei denen Kritik nur die Eitelkeit, nicht den Ehrgeiz provoziert. Wie das mit den Neureichen eben oftmals so ist, reich, verwöhnt, aber keineswegs vermögend.“ Ich glaube, einwenden zu dürfen: Eitelkeit und Ichbezogenheit hängen nicht stark mit Reichtum oder Armut zusammen – zumindest nicht im Fußball. Schnell beleidigt ist man auch in der Kreisklasse.

Rollenspiele gegen die Autorität des Bundestrainers

Hat die Sport Bild am Ende doch recht gehabt mit ihrer steilen These von der geschwundenen Akzeptanz Ballacks im Team? Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) blickt zurück auf die Zeit seit Juni und meint, eine Konstanz in Ballacks Handeln und Reden festzustellen: „In bisher ungekannter Schärfe tobt der Machtkampf, der seit Monaten unter der Oberfläche geschwelt hat. Seit der EM gilt Ballack intern als nicht mehr unumstritten. Viele Mitspieler nehmen ihm übel, dass er Interna aus dem Mannschaftsquartier über seinen Berater öffentlich gemacht und gleichzeitig den Eindruck erweckt haben soll, dass der Kapitän und nicht der Bundestrainer für den Wechsel des Spielsystems vor dem Viertelfinale gegen Portugal verantwortlich gewesen sei.“

Theo Zwanziger stellt sich in der FR unmissverständlich an die Seite des Trainers: „Es ist eine schwierige und komplizierte Situation, die Michael Ballack verursacht hat. Ich verstehe ihn überhaupt nicht und bin von seinem Stil arg enttäuscht. (…) Wer sich als Spieler profilieren will, soll das tun, indem er Leistung bringt, konstruktive Kritik übt und anderen in der Mannschaft gute Ratschläge gibt, aber nicht dadurch, dass er gegen die Autorität des Bundestrainers solche Rollenspiele veranstaltet.“ Fast wortgleich sagt er einen Satz, der gestern auf fr-online gestanden hat: „Er hat in massiver Weise gegen einen Verhaltenskodex verstoßen, der bei der Nationalmannschaft ganz oben in der Liste steht.“

Ein klassischer Zwanziger-Satz muss noch erwähnt werden: „Wir sind es den vielen Millionen Menschen in Deutschland schuldig, dass wir keine Nebenkriegsschauplätze eröffnen.“ Immer dieses Verantwortungsgehabe der Sportfunktionäre. Ich glaube, nicht wenige der vielen Millionen fühlen sich von der aktuellen DFB-Soap mehr unterhalten als betroffen. Und wie viele Millionen sind eigentlich gemeint? Zweiundachtzig?

Hier ist mein Senf auf Zeit Online.

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