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Bundesliga

Stillfragen begleiten die Sieger

Oliver Fritsch | Montag, 10. November 2008 Kommentare deaktiviert für Stillfragen begleiten die Sieger

12. Spieltag: Martin Jol und Jürgen Klinsmann ist die Abgrenzung von Huub Stevens und Ottmar Hitzfeld noch nicht gelungen, aber sie gewinnen / Hoffenheim und Leverkusen, die Schönheiten der Liga, diesmal mit echten und gefühlten Niederlagen / Bremen empfindet ein 0:0 in Bochum als Fortschritt / Ethikdebatte: Respekt für den Schiedsrichter!

Die Ergebnisse sprechen für Hamburgs Trainer Martin Jol, der Stil immer weniger. Das 2:1 gegen Dortmund habe ausgesehen, als wäre Huub Stevens dafür verantwortlich gewesen, schreibt Rainer Schäfer (Berliner Zeitung): „Der HSV gewinnt zwar und hält sich in der Spitzengruppe, aber zu seinem Stil hat er noch nicht gefunden. Er spielt nicht so wie sein Trainer es will – und gewinnt trotzdem. Der HSV bleibt ein kurioses Feldexperiment. (…) Martin Jol nähert sich dem System seines Vorgängers.“

Was Jol damit meint, dass er von seiner „jungen“ Mannschaft spricht, obwohl er kaum junge Spieler eingesetzt hat, übersetzt Frank Heike (FAZ): „Jol will sagen, dass er beim HSV ganz viel Arbeit hat, um aus den Defensivkünstlern der Stevens-Ära eine mutig nach vorn spielende Mannschaft zu machen. Mag das Team also kaum jung an Jahren sein, so ist es doch unerfahren, was mutigen Vorwärtsfußball betrifft.“

Was für Hamburg und Jol gilt, trifft auch auf München und Klinsmann zu: gewinnen, aber entgegen den Verkündungen mit verteidigenden Mitteln. Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) legt nach dem 2:1 der Bayern in Schalke die Parallele frei: „Eigentlich steht der Name Jürgen Klinsmann für eine bestimmte Art von Fußball. Für Dominanz, Offensive und vielleicht auch für das eine oder andere Gegentor, das sein Team aus Leichtfertigkeit hinnehmen muss. In Schalke zeigte Bayern eine andere Seite: Es war ein Sieg mit den Mitteln des guten alten Hitzfeld-Fußballs.“

Die FAZ ergänzt: „Die Bayern zeichnen sich durch die Effektivität früherer Zeiten aus. Drei Chancen reichten ihnen, um ein Tor mehr zu schießen als der Gegner, der einen immensen Aufwand betrieben hat.“ Doch lesen wir in der Berliner Zeitung auch: „Über weite Strecken war es trotz des eher nach Sicherheit strebenden Münchner Spielansatzes ein hoch attraktives Fußballspiel.“

Neuer Zuschauermagnet

Hoffenheim verliert in Berlin, doch Andreas Burkert (sueddeutsche.de) bestaunt die Vorfreude der Berliner auf den Tabellenführer vom Dorf: „Das Hoffenheimer Spektakel war ausgeblieben, und dennoch: Wenn noch ein paar solcher Abende hinzukommen, noch ein paar ausverkaufte Arenen, noch ein paar schon vorab elektrisierte Metropolen, dann müssen sich die Dorfkicker aus dem Kraichgau in nicht allzu ferner Zukunft wohl bloß noch für ihre stillosen orangenen Auswärtstrikots beschimpfen lassen. Aber nicht mehr für einen Mangel an Tradition.“

So unbeliebt scheinen die Hoffenheimer also nicht zu sein, wenn sie fast 60.000 Zuschauer ins Berliner Olympiastadion anziehen (wo sich üblicherweise die Hälfte langweilt). Die FAZ erlebt dies als Überraschungseffekt: „Damit war noch weniger zu rechnen als mit herrlichem Offensivfußball: Hoffenheim als Zuschauermagnet der Bundesliga.“ Den Berliner 1:0-Sieg habe auch eine Portion Zufall verursacht: „Es war ein Tag, an dem die Hertha für ihre Fehler einfach nicht bestraft und Hoffenheim für seine Mühen nicht belohnt wurde.“

Fehlt Leverkusen noch immer das Sieger-Gen?

Holt Bayer Leverkusen die Vergangenheit ein? Eine 3:0-Führung hat das Team in Karlsruhe aus der Hand gegeben, was unweigerlich „Schlagzeilen von gestern“ (SZ) ins Gedächtnis ruft. Stichwort Vizekusen, ein Etikett, das sich Bayer vor Jahren durch schönen Fußball verdiente, der in letzter Sekunde am Erfolg scheiterte.

Katrin Weber-Klüver (Financial Times Deutschland) fasst das Leverkusener Trauma in Worte: „Spielkultur, die keinen Erfolg hat, ist ein Problem. Das ist kein Geheimnis, das ist die Lebenswirklichkeit von Bayer Leverkusen. Nicht gerade seit 1899 wie der tollste Bundesligaverein aller Zeiten, aber doch seit vielen Jahren schafft es Leverkusen fast immer, schön zu spielen. Und nie Meister zu werden. Am Samstag, mitten in ihrem zwölften Ligaspiel konnte man kurz mal denken, vielleicht sei es jetzt so weit, dass Bayer mal nicht nicht Meister wird. Dann fing das Schreckgespenst Erfolg an herumzuspuken.“

Die FAZ fragt: „Fehlt das Sieger-Gen? Nach dem 3:3 von Karlsruhe muss die neue Leverkusener Mannschaft die alten Debatten ertragen.“ Und schiebt eine Diagnose nach: „Das Gift der Nachlässigkeit schlich sich zusehends ein ins Bayer-Spiel.“

Antreten zum Abtakeln

Anders ergeht es Werder Bremen, das sich über ein Remis in Bochum freut, und die FAZ zum Stirnrunzeln bringt: „Werder verkauft Stillstand als Fortschritt. Taugt ein 0:0 in Bochum als Anfang?“ Frank Hellmann (taz) beschwört die alten Bremer Geister: „Kein Standort ist so krisenresistent wie Bremen, kein Gebilde so krisenfest wie die Werder Bremen GmbH & Co KGaA. Und Geschäftsführer wie Manfred Müller oder Klaus-Dieter Fischer erinnern gerne an eine Begebenheit vor mehr als zwanzig Jahren. Da lockte ein Fotograf Otto Rehhagel und seine Mannschaft fürs gemeinsame Motiv auf das Schulschiff Deutschland, um damit eine Titelstory unter dem Leitsatz ‚Antreten zum Abtakeln’ aufzumachen. Rehhagel fuhr aus der Haut, versammelte die Seinen fortan wie in einer Trutzburg um sich. Die Folge? Ein kollektiver Kraftakt zur Meisterschaft 1988.“

Dreist statt demütig

Peter Heß (FAZ) fordert im Bundesliga-Kommentar am Montag mehr Respekt für die Schiedsrichter. Anlass dafür ist der Sturm Jürgen Klopps aufs Feld zu Schiedsrichter Jochen Drees, der die Rote Karte für Robert Kovac eingeleitet habe. „Ob Kovac ohne Klopps Verhalten ruhiger geblieben wäre, ist unbewiesen. Aber auf jeden Fall untergrub der Trainer die Autorität der Schiedsrichter, gab ein Beispiel, das Auswirkungen hat bis in die unteren Klassen.“

Jörg Marwedel (SZ) fügt hinzu: „Man könnte sagen, dass der Fußballlehrer Klopp einen Teil der Schuld an dieser Affäre trägt. Bei den Schiedsrichtern gilt er längst als jemand, der während eines Spiels fortwährend redet.“ Jan Christian Müller (FR) stört sich an den „dummdreisten“ Attacken etwa von Jiri Stajner und Mesut Özil und vor allem daran, dass sie in Schutz genommen werden: „Bedauerlicherweise wurde von ihren Verbündeten hinterher gar noch Schiedsrichterschelte betrieben, statt demütig Dämlichkeit einzuräumen und so das DFB-Sportgericht vielleicht etwas gnädiger zu stimmen.“

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