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Am Grünen Tisch

Das Zauberwort heißt Selbstregulierung

Oliver Fritsch | Samstag, 29. November 2008 Kommentare deaktiviert für Das Zauberwort heißt Selbstregulierung

Soll die Politik stärker in den Fußball eingreifen? Nicolas Sarkozy würde gerne, doch eine Vereinheitlichung des europäischen Vereinsfußballs stößt schnell an Grenzen / Pleitewelle in den unteren Profiligen Italiens / ISL-Urteil veröffentlicht, Fifa schwer belastet

Die SZ meldete vorige Woche einen Vorstoß Nicolas Sarkozys, der anregt, Europas Vereinsfußball stärker zu regulieren. In einer Erklärung des französischen Präsidenten heißt es: „Viele Klubs gehen hohe Defizite ein, um Spitzenspieler zu kaufen, die sie sich bei soliden Finanzen nicht leisten könnten. Es gibt starke finanzielle Ungleichgewichte zwischen den Vereinen in Europa, und solide wirtschaftende Klubs dürfen nicht benachteiligt werden.“

Die Rede ist auch von einer einheitlichen Lizenzierung, die SZ schreibt: „Angesichts der derzeit großen finanziellen Unterschiede würden von einer solchen Regelung nicht nur französische Klubs profitieren, sondern auch deutsche. Weshalb beispielsweise der FC Bayern München von den Vorschlägen durchaus angetan ist.“ Allerdings stünden einige politische Hürden im Weg, fügt die SZ an: „Bisher haben es Spitzenvereine wie Real Madrid oder Manchester United durch intensives Lobbying aber stets vermocht, Ideen zu stoppen. Fußballfan Sarkozy hat einen langen Weg vor sich.“

Ein Treffen der Sportminister Europas in Biarritz in dieser Woche ist bislang ohne Ergebnis geblieben. Christian Eichler (FAZ) verweist auf komplexe und gegensätzliche Interessen: „Die Uefa rief die EU selbst auf den Plan, um Profiligen und große Klubs mehr an die Leine zu nehmen. Geschickt spielt sie nun die Rolle dessen, der den Sport vor der Politik schützen müsse. Das Schreckensbild einer EU-Fußballbürokratie lässt eine gestärkte Uefa als fast schon verlockend erscheinen, mindestens als das kleinere Übel. Das Zauberwort heißt ‚Selbstregulierung’. Das ist schlau, und es ist kein Foul, es dient einer guten Sache: dem Wettbewerb. Der Fußball braucht ihn.“

Konkurrenz der Konzerne

Josef Kelnberger (SZ) entschlüsselt die Schwierigkeiten einer Vereinheitlichung des europäischen Vereinsfußballs: „Es gibt gute Gründe, den französischen Traum von einer Superfinanzpolizei für einen bürokratischen Albtraum zu halten. Es ist schwer vorstellbar, wie gerade die von Platini geförderten osteuropäischen Klubs den Anschluss an die europäische Spitze herstellen sollen, wenn sie nur auf ‚natürliche Ressourcen’ bauen und kein Geld von Großinvestoren annehmen dürfen. Abgesehen davon ist es wohl nur ein politischer Traum, russische Oligarchen würden einem von der EU installierten Organ ihre Klubetats offen legen. Jede Liga hat ihre eigene Art, sich zu organisieren, und ihre Wettbewerbsfähigkeit hängt von vielen Faktoren ab, nicht nur vom Grad der Verschuldung. Spanische Spitzenklubs profitieren von der Möglichkeit, sich selbst zu vermarkten. Frankreichs Fußball wiederum wird nachhaltig vom Staat gefördert, der Nachwuchsakademien bezuschusst, den Profis einzigartige Steuervorteile gewährt und bislang alle Stadien zur Verfügung stellte. Gerade darüber mokieren sich nun die britischen Klubs, die sich eigene, moderne Arenen bauten: Ist nicht gerade der französische Staat der Totengräber des französischen Fußballs?“

Philipp Selldorf (SZ) ruft in Erinnerung, dass die Champions League Hierarchien zementiert: „Die Europaliga der Uefa ist zwar keine geschlossene Gesellschaft, aber sie nähert sich diesem Zustand. Wie im wahren Wirtschaftleben stellt sich die Champions League als Konkurrenz der Konzerne dar.“ Eichler stimmt ein: „Die Champions League war schon mal spannender. Dreizehn der sechzehn Plätze der K.-o.-Runde sind bereits vergeben, meist an die üblichen Verdächtigen aus England, Spanien, Italien.“

Pleitewelle

Dirk Schümer (FAZ) hält uns auf dem Laufenden über die schwierige Lage in Italiens Fußball: „Was die Organisation und wirtschaftliche Basis des Fußballs angeht, kann Italien Deutschland nicht das Wasser reichen. Noch sind die seismischen Wellen des Schiedsrichterskandals spürbar. (…) Während Italiens Spitzenklubs, die ihrerseits vor vier Jahren durch ein Steuergesetz Berlusconis Geld vom Staat erlassen bekamen, kurzfristig noch Stars aus aller Welt, derzeit vor allem aus Südamerika, anlocken, droht an der Basis der Kollaps.“

Bei der Gelegenheit: Birgit Schönau, die immer so schöne Texte über Italiens Fußball schreibt, hat jetzt einen Blog: opera buffa – Fußball, Arien und Alltag in Italien. Willkommen im Club! Bitte bookmarken! Dort liest man: „Es gibt eine neue Fußball-Pleitewelle in Italien, aber diesmal sind nicht die großen Klubs betroffen (wie vor ein paar Jahren der AC Florenz, der SSC Neapel und der AC Parma), sondern Drittligisten wie Pescara und Legnano, Klubs mit einer langen Tradition und einer starken Verwurzelung in ihrer Region. Bei Pescara Calcio hat das Desinteresse der Besitzer – die Schweizer Firma Eurocat – den Klub ins Abseits gestellt. Seit August haben die Spieler kein Gehalt bekommen, deswegen drohen sie immer wieder mit Streik. Und spielen dann doch. Gewinnen sogar, wie zuletzt vergangenen Sonntag.“

Sporthistorisches Dokument

Für die Neue Zürcher Zeitung hat Jens Weinreich (schon mal gehört?) den nun veröffentlichten Spruch des Zuger Gerichts im ISL-Prozess gelesen: „Das Urteil ist ein sporthistorisches Dokument, das belegt, wie über Firmen, Stiftungen und Schwarzkonten des ISL-Konglomerats 138 Millionen Franken Schmiergeld an hohe Funktionäre des Weltsports gezahlt wurden. (…) Die Vorwürfe gegen die Fifa werden konkretisiert.“

Zwei von vielen weiteren Artikeln in der Causa Zwanziger: Stuttgarter Zeitung („Demagogen-Gate“) und SZ.

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