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Bundesliga

Meisterwerk Hoffenheim

Oliver Fritsch | Montag, 8. Dezember 2008 Kommentare deaktiviert für Meisterwerk Hoffenheim

Bayern München und die TSG Hoffenheim dürfen heute den Hymnen der Fußballpresse lauschen, die sie sich mit ihrem epochalen Auftritt am Freitag verdient haben; besonders dem Verlierer Hoffenheim singen Experten süße Melodien / Im Schatten der Giganten wirken alle anderen mickrig

„1:2 gewonnen“, zieht die FR eine nur scheinbar widersprüchliche Bilanz für Hoffenheim; die SZ empfiehlt den „Modellcharakter“; die FAS preist das „Meisterwerk aus dem Kraichgau“.

Peter Penders (FAS) hat den „neuen deutschen Fußball“ gesehen: „Seit Freitag muss niemand mehr den Kopf einziehen, wenn über modernen Fußball geredet wird.“ Die beiden Vereine seien „der normalen Bundesliga-Konkurrenz entwachsen“, denn „so intensiv können in Deutschland derzeit nur zwei Teams spielen, die sich offenbar gegenseitig anspornen“.

Wunschbild für Attraktivität ist seit längerem die Premier League, deren Fußball der Bundesliga um einige Jahre und Stundenkilometer voraus ist. Nun scheint der Rückstand verkürzt, Michael Neudecker (Berliner Zeitung) stützt diesen Befund: „Die zwei Mannschaften haben bewiesen, dass in der Bundesliga möglich ist, was in der Premier League längst Alltag darstellt: rasanter, mitreißender Fußball. Mutiger Fußball, kompromissloser Fußball. Fußball ohne Angst. Dass der Marktführer FC Bayern aufgrund der individuellen Klasse im Kader solchen Fußball kann, das hat man schon gewusst. Es brauchte allerdings einen Aufsteiger aus einem kleinen Dorf, um die Bayern dazu zu zwingen, diesen Fußball 93 Minuten lang durchzuziehen. Einen Aufsteiger, der in der Lage ist, so zu spielen, dass sogar das eher zurückhaltende Publikum in München heiser wird vor Ekstase. Einen Aufsteiger, wie man nie zuvor einen gesehen hat.“

Temporeichstes Spiel der Bundesligageschichte

Klaus Hoeltzenbein (SZ) rät Schalke, Stuttgart, Hertha, Wolfsburg und Co, bei Hoffenheim genau hinzusehen: „Nicht nur die Bayern haben die Folie einer sportlichen Zukunft gesehen, wie sie sie gerne hätten. Mehr noch: An der sich alle Bundesligisten orientieren können, wenn sie abseits ihrer deutschen Partyliga auch in Europa wieder etwas darstellen wollen.“

Jan Christian Müller (FR) deutet das Spiel als historische Wegmarke im deutschen Fußball: „Die Hoffenheimer sind als sportlicher Verlierer vom Feld getrottet. Aber natürlich haben sie in diesem wohl temporeichsten Spiel der Bundesligageschichte viel mehr gewonnen: noch mehr Respekt in der Branche und bei den Bayern, die längst nicht mehr nur ahnen, dass Hoffenheim das Know-How und das Kapital besitzt, um die jahrzehntelange bayerische Herrschaft nachhaltiger zu attackieren, als dies Klubs wie Bremen, Hamburg, Stuttgart und Schalke vergönnt ist.“

Altbackener Kontrast zu Hoffenheim

Auch die beiden Trainer, die im konservativen deutschen Establishment immer wieder auf Vorbehalte stoßen, erfahren die Würdigung der sport-„liberalen“ Presse. Penders schätzt deren Zielstrebigkeit und Fleiß: „Jürgen Klinsmann und Ralf Rangnick eint, dass sie auch gegen größte Widerstände nicht bereit sind, ihre Prinzipien aufzugeben.“ Der von ihnen erhöhter Trainingsumfang sei mit ausschlaggebend für die neue Qualität: „Mit intensivem Training kann man also tatsächlich auch im Fußball viel erreichen, dass es gleich so viel wird, überraschte aber doch: Bayern und Hoffenheim spielten jenen mitreißenden Fußball, den uns die Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft versprochen hatte.“ Zudem rät Penders den Bayern-Fans, Klinsmann die nötige Wertschätzung entgegenzubringen: „Ob die Bayern mit ihrem erfolgreichen, aber etwas angestaubten Stil unter Ottmar Hitzfeld in der Lage gewesen wären, diese Hoffenheimer in Schach zu halten, darf bezweifelt werden.“

Hoeltzenbein jedoch hält den Stil der Bayern für „altbacken im Kontrast zum Hoffenheimer Kombinationsfluss“. Nüchtern schreibt er von einer „weitgehend simplen Spielanlage: Jeder Ball soll irgendwie zu Ribéry, und wenn nicht dorthin, so wenigstens im praktischen Hoch-weit-Verfahren auf den Kopf von Toni.“

Endlich wieder ein Gegner

Bayern-Manager Uli Hoeneß hat erneut kräftig ausgeteilt. Am Fernsehstammtisch Doppelpass (DSF) bellte er zwei Tage nach dem Spiel seinen Übermut heraus: Rangnick sei ein „Besserwisser“, um den er sich Sorgen mache. Zudem sei bekannt, dass Rangnick im ersten Jahr immer erfolgreich gewesen sei, bevor er im nächsten entlassen werde. Auch schön aus Hoeneß’ Mund: der Anflug einer Antikapitalismusdebatte („Der FC Bayern spielt gegen einen Milliardär.“) Anja Schramm (Welt) genießt dieses Theater: „Wer ihn so reden hörte, der wurde das Gefühl nicht los, dass Hoeneß wieder einen gefunden hat, mit dem er sich in Zukunft manche Privatfehde liefern wird. Was früher Christoph Daum oder Willi Lemke für ihn waren, könnte nun Ralf Rangnick werden. Uli Hoeneß hat endlich wieder einen Gegner.“ Die FR stellt fest: „So spricht nur einer, der sich fürchtet.“ Rangnick ist übrigens im dritten Jahr in Hoffenheim, in den vergangenen beiden ist er aufgestiegen. Das sonderliche ist ja nicht, dass Hoeneß solche Sachen sagt. Das sonderliche ist, dass die Zuschauer dafür applaudieren.

faz.net würdigt, nicht zu unrecht, Schiedsrichter Florian Meyer. Roland Zorn (FAZ) will Kontroversen vermeiden: „Um Trugschlüssen vorzubeugen: In Deutschland gibt es noch andere gute Mannschaften.“

Grubenarbeiterfußball

Tobias Schächter (Berliner Zeitung) nimmt das 0:1 in Karlsruhe als weiteren Beleg für den Bremer Sinkflug: „Werder ist nicht der einzige Verein, der nach dem Erstarken des VfL Wolfsburg und dem Aufstieg der TSG 1899 Hoffenheim um die alten Pfründe bangt. Ein Trost ist das nicht, aber die Zeiten, in denen Werder wie gesetzt an der Champions League teilnimmt, scheinen vorbei zu sein.“ Die FAZ urteilt: „Die Bremer Krise ist eine Krise der Führungsspieler.“

Bei Schalkes 1:0 gegen Hertha BSC bemerkt die FAZ die „Abwesenheit jeglicher Brillanz“, die SZ spottet über„Grubenarbeiterfußball“. Fazit: „Schalke bleibt eine Großbaustelle“ (FAZ).

Glück erarbeitet

Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) bescheinigt dem VfB Stuttgart unter Markus Babbel einige Schritte zur Besserung: „Es ist nicht so, dass der VfB unter Babbel plötzlich überragenden Fußball spielen würde. Noch immer hakt es häufig im Spiel nach vorne, noch immer lässt die Mannschaft in der Abwehr zu viele Chancen zu. Was sich jedoch entscheidend geändert hat, ist die Einstellung – die Leidenschaft und die Mentalität, ein Spiel gewinnen zu wollen. Der VfB erarbeitet sich mittlerweile das Glück, das ihm in den vergangenen beiden Partien zur Seite stand, gegen Schalke ebenso wie in Cottbus. Beides waren Spiele, die der VfB vor ein paar Wochen wohl noch verloren hätte. Jetzt wehrt er sich in solchen Drangphasen und schlägt in den entscheidenden Momenten zu. Nicht mehr die Angst vorm Versagen prägt das Stuttgarter Spiel, sondern der Glaube an die eigene Stärke.“

Mit Rückschlägen umgehen

Daniel Theweleit (FR) stellt nicht erst beim 1:3 gegen Leverkusen große Mängel im Gladbacher Kader fest: „Die Transfers der Winterpause werden wohl über den Verbleib der Borussia in der Liga entscheiden. Denn mit der derzeitigen Mannschaft wird die Borussia wohl selbst das Schneckenrennen am Tabellenende verlieren.“

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) versucht, unseren seit Freitag verwöhnten Blick auf Leverkusen zu lenken: „Schnell, direkt und offensiv spielt Bayer immer noch, hinzugekommen ist eine Reife, die das Team in der vorigen Saison noch nicht hatte: Sie kann mit Rückschlägen umgehen. Der ungerechten Niederlage gegen Hertha folgten vier Siege, dem 0:2 gegen die Bayern jetzt der Erfolg in Mönchengladbach. Man darf dahinter durchaus den Einfluss des neuen Trainers vermuten. Bruno Labbadia war schon als Spieler ein Kämpfer. Und er weiß, wie man Meister wird. Nicht nur mit den Bayern hat er das geschafft, auch mit Kaiserslautern. Einem Außenseiter wie Leverkusen.“

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