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Bundesliga

Die besten Nebendarsteller der Liga

Oliver Fritsch | Montag, 16. Februar 2009 Kommentare deaktiviert für Die besten Nebendarsteller der Liga

20. Spieltag: Das Kollektiv Hertha BSC Berlin fährt Lob ein / Die Zweifel an Jürgen Klinsmanns Eignung als Trainer wachsen / Schalke ist nicht mal so beliebt wie Hartmut Mehdorn – und erfolgsärmer (StZ) / Die Erdung Hoffenheims

Hertha BSC ist Tabellenführer, und Markus Völker (taz) kann sich keinen Reim darauf machen: „Was läuft da in Charlottenburg für ein merkwürdiges Experiment? Wie kommt es, dass Berlin aus zwei Torschüssen zwei Tore macht und zum x-ten Mal mit einem Tor Unterschied als Sieger vom Platz geht? Wie, verdammt noch mal, ist das möglich, obwohl wichtige Leute fehlen? Und wieso ist die Abwehr so stabil, obgleich ein Spieler von Beginn an aufläuft, Rodnei, der noch keine einzige Minute gespielt hat? Kruzifix, es ist ein Rätsel.“

Beim 2:1 gegen Bayern erforscht Katrin Weber-Klüver (Financial Times Deutschland) Herthas nüchternen, effektiven Stil: „Hertha BSC ist das Phänomen einer Mannschaft, die selten Aufsehen erregend, oft glanzlos spielt – und meistens gewinnt. Bei neun von zwölf Siegen machte nur ein Tor den Unterschied. Sie ist nach wie vor keine Schönheit auf den ersten Blick, kein berauschendes Ereignis, sie spielt nie drückend überlegen. Auch gegen Bayern nicht: 38 Prozent Ballkontakte, 45 Prozent gewonnene Zweikämpfe, im Verhältnis der Torschüsse 8:18, bei den Ecken 2:6. Aber Hertha, die alte Dame, hat die Ruhe weg. Und imponiert auf den zweiten Blick. Sie ist eine Funktionseinheit, ihr Baumeister heißt Lucien Favre. Der Trainer bastelt an einem sich unaufgeregt entfaltenden, möglichst starfreien Gruppenwerk.“

Michael Horeni (FAZ) schlägt „das unscheinbare Hertha-Ensemble für den Goldenen Bären der Fußball-Berlinale“ vor. „Die Kategorie versteht sich von selbst: die besten Nebendarsteller der Liga.“

Hochnäsige Zuversicht Klinsmanns

Matti Lieske (Berliner Zeitung) stellt klar: „Manches deutet darauf hin, dass nicht spektakuläre Offensivleistungen und große Momente belohnt werden, wie sie vor allem Hoffenheim oder Leverkusen liefern, erst recht nicht überholte Erfolgsrezepte à la Bremen, Schalke oder Stuttgart. Weit eher ist bei aller Torrausch-Euphorie disziplinierter Ergebnisfußball mit Schwerpunkt auf Defensive das Rezept der Stunde.“

Zudem weist er den Bayern-Trainer in die Schranken, für den es bloß eine Frage der Zeit sei, auf Platz 1 vorzurücken: „Woher Jürgen Klinsmann seine hochnäsige Zuversicht bezieht, war nicht zu sehen. Ein einfallsloses Mittelfeld, ein harmloser Angriff und eine Viererkette, für die sich San Marino schämen würde – so stellt man sich gewiss keine Mannschaft vor, deren Anspruch normalerweise absolute Dominanz ist.“

Kein Plan B

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) kann keine Klinsmann-Spuren auf dem Spielfeld entdecken: „Schafft Klinsmann die Bayern? Oder schaffen die Bayern Klinsmann, der angetreten ist, um den Verein in die fußballerische Moderne zu führen? Dem Spiel des Meisters liegt kein System zugrunde, noch immer verlässt sich die Mannschaft viel zu sehr auf ihre individuellen Fähigkeiten.“

allesaussersport nimmt die Bayern auseinander und misst Klinsmann an seiner Arbeit beim DFB: „Die Bayern-Mannschaft ist in ihrer Anlage eine ziemlich berechenbare, weil überraschungsfreie Mannschaft. Impulse kommen allenfalls durch individuelle Geistesblitze und wenn die ausbleiben, weil Ribéry grad kein Bock hat, Schweinsteiger sich eine Auszeit nimmt und Klose wenig brauchbare Anspiele bekommt, die er an Toni weiterreichen kann, dann reicht es nicht mehr, einen schwierigeren Gegner aus dem Weg zu räumen. Das dürfen sich auch Uli Hoeneß und Jürgen Klinsmann ans Revers heften, die keine Tiefe im Kader aufgebaut haben. So verwundert es nicht, dass die Einwechslungen von Klinsmann meistens schon einer Viertelstunde vorher durchtelegraphiert werden können. Einer der Faktoren, weswegen ich die Bayern Jahr für Jahr als Meister tippe, ist der Kader, mit dem sie Verletzungen und Leistungsschwankungen kompensieren können. Nun schaue ich aber auf die Bank und habe das Gefühl, dass es sich dabei nicht um taktische Alternativen handelt, sondern um verbrannte Spieler, die nicht das Zeug zur Startelf haben. Bei allen schlechten Leistungen, die er in dieser Saison gebracht hat – das Fehlen von Podolski scheint den Bayern eine Reihe von Optionen zu rauben. Das ist nicht der Klinsmann, den man (zusammen mit Löw) aus Nationalmannschaftszeiten kannte, wo es mit Jokern wie Neuville oder Odonkor auch einen Plan B gab.“ Eine kontroverse Debatte schließt sich dort an.

Auch Klaus Hoeltzenbeins (SZ) Analyse liest sich wie eine Kritik am Trainer: „Zweifelsfrei haben die Bayern die höchste individuelle Klasse in der Liga, aber auch in Berlin sah man, dass andere in der Gruppe kompakter arbeiten. Zumal dann, wenn die Münchner mittels Flüchtigkeitsfehlern das 0:1 erlauben und sich extrem unter Handlungsdruck setzen, was in den fünf letzten Ligaspielen stets der Fall war.“

Überfordert

Nach der 1:2-Niederlage in Bochum zählt Jan Christian Müller (FR) die Tage der sportlichen Führung Schalkes: „Beim Hamburger SV sind sie inzwischen gottfroh, entgegen der ursprünglichen Planung von Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer lieber Martin Jol als Fred Rutten verpflichtet zu haben. Der geschwächte Trainer Rutten bräuchte in diesen schweren Tagen einen starken Manager an seiner Seite, einen, der mit breitem Kreuz hilft. So, wie es der auch in der Krise souveräne Klaus Allofs in Bremen tut. Stattdessen wechselt Andreas Müller seine Handynummer und verlässt die Stätte des Misserfolgs fluchtartig. Souverän sieht anders aus. Völlig anders. Schwer vorstellbar, dass der rechtschaffene Müller und der überforderte Rutten eine Zukunft in Gelsenkirchen haben.“

Vorreiter des Manchester-Kapitalismus

Daniel Theweleit (taz) glaubt, dass Schalke so bald nicht mehr nach Oben kommen wird: „Die Gier, schnell weiter aufzusteigen, hat die Schalker Klubführung von einer Fehlentscheidung in die nächste getrieben. Wobei diese Kopflosigkeit von vielen Fans, den Beratern, die den Klub umgeben, und vielen Journalisten vor Ort forciert wurde. Wie einst Ikarus sind die Schalker ohne Flügel aufgeschlagen. Im Winter mussten sie sich von Spielern trennen, um nicht in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, eine Entwicklung, die im Sommer wohl fortgesetzt wird. Schalke wird wieder schlanker und länger kein Schwergewicht mehr sein. Der Klub, er ist richtig tief gestürzt.“

Tobias Schall (Stuttgarter Zeitung) stellt einen drastischen Imageverlust fest: „Schalke ist Ligaspitze in Sachen Antipathie und hat die Bayern vielerorts als Feindbild abgelöst. Der Jubel in den Stadien, wenn während der Spiele Gegentore für Schalke eingeblendet werden, ist ein gutes Indiz für das Stimmungsbarometer im Fußball. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Im Vergleich zu Schalke erreicht Hartmut Mehdorn Sympathiewerte von putzigen Robbenbabys. Nach 2001 kam das Geld in den Pott, und es ging die Sympathie. Das alte Schalke war Geschichte, Schalke 2.0 war geboren. Scampis statt Maloche. Das neue Stadion, der blaue Planet, Gasprom, viele Euro aus dubiosen Quellen, einige Spieler mit schwierigem Charakter, manch unglückliches Auftreten. Der Arbeiterverein ist binnen kurzer Zeit zu einem Vorreiter des Manchester-Kapitalismus im deutschen Fußball geworden.“

Peter Heß (FAZ) ordnet das 1:4 gegen Leverkusen und Tabellenrang 2 der Hoffenheimer ein: „Es gibt viele Bundesligateams, die schon an ihren guten Tagen froh wären, so viel spielerische Klasse abrufen zu können wie die Hoffenheimer an ihrem schwarzen Freitag. Sowenig ein Niedergang zu befürchten ist, so wenig steht ein weiterer Durchmarsch bevor.“

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