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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Wissenschaftsfeindlicher Geschwätzigkeitsbetrieb Bundesliga

Oliver Fritsch | Mittwoch, 25. März 2009 17 Kommentare

Mit seinen Fitness-Tests stößt Joachim Löw immer auf Widerstand der Bundesliga, die Presse nimmt ihn in Schutz

Ein altes leidiges Thema ist wieder aufgetaucht: die Fitnesstests der Nationalmannschaft. Jürgen Klinsmann hat sie gegen großen Widerstand von Udo Lattek und seiner Bande eingeführt. Joachim Löw hat sie übernommen, im EM-Jahr aber vernachlässigt. Nun scheint er sie wieder zu forcieren, und tatsächlich – Thomas Schaaf, Rudi Völler, Uli Hoeneß motzen. Claudio Catuogno (SZ) stöhnt mit dem Bundestrainer: „Wenn Löw einen Fitnesstest anberaumt, wird das im Geschwätzigkeitsbetrieb Bundesliga stets als Politikum verstanden und wenn nicht als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Klubs, dann mindestens als fragwürdiger Kontrollfetischismus interpretiert.“ Und ruft 2008 in Erinnerung: „Bis heute hat die sportliche Leitung keine abschließende Erklärung für die schwankenden Leistungen bei der EM gefunden.“ Was so viel heißt wie: mangelnde, weil ungeprüfte Fitness dürfte eine große Rolle gespielt haben.

Die Welt stellt sich auf Löws Seite und schreibt der Bundesliga ins Hausaufgabenheft: „Dennoch müssen der Bundestrainer und sein Stab immer noch Lobbyarbeit für solche Tests leisten. In den führenden Nationen, in England, Spanien oder Italien, sind solche Prüfungen Normalität. Löws Mahnungen fußen auf Zahlen, die die Defizite des deutschen Fußballs offen legen. In der englischen Liga beispielsweise laufen die Stürmer 700 bis 800 Meter mehr pro Spiel, Flügelspieler im Mittelfeld 400 bis 500 Meter. Und Angreifer absolvieren bis zu 15 Spurts mehr.“

Michael Horeni (FAZ) ergänzt: „Die latente Wissenschaftsfeindlichkeit im deutschen Fußball ist ein Gegner, der nicht zu unterschätzen ist.“ Im Hockey, wo (nach allem, was man hört) ein paar Euro weniger im Spiel sind, teste das Nationalteam viel häufiger. Und DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer wundere sich über die Aufregung, da der Test nicht mal die Belastungsreize einer normalen Trainingseinheit setze. Horenis Schluss schützt Löw: „Von unzumutbaren Härten kurz vor dem Saisonfinale lässt sich selbst beim besten Willen zur Skandalisierung nicht reden.“

Ein FR-Bericht (mit einem lustigen Foto) über das Verhältnis der beiden wichtigsten CDU-Mitglieder beim DFB – oder die Frage, warum Jürgen Klinsmann nicht gut auf Theo Zwanziger zu sprechen ist.

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Kommentare

17 Kommentare zu “Wissenschaftsfeindlicher Geschwätzigkeitsbetrieb Bundesliga”

  1. franzferdl
    Mittwoch, 25. März 2009 um 14:18

    wie wäre es denn statt überflüssiger fitnesstests (mitten in der saison sollte man annehmen können, dass die meisten fit sind) mit techniktests? ballschulung? beweglichkeitsübungen? etc. pp.

  2. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 25. März 2009 um 14:59

    Genau. Allerdings sind die Kriterien da weicher. Auch glaube ich nicht, dass alle fit sind. Es sind ja schließlich Fußballer.

    Die Beweglichkeitsübungen von Klinsmann sind, so weit ich mich erinnere, auf dem Bpulevard durchgefallen.

  3. franzferdl
    Mittwoch, 25. März 2009 um 17:31

    vor mir aus sollen sie sich dann halt auf ball- und technikübungen beschränken & die beweglichkeitsübung darin, vom boulevard unbemerkt, auflösen. der ball scheint ja eh immer noch das größte anzunehmende problem vieler nationalspieler darzustellen…

    ach ja, man könnte sich auch mal über eine gewisse wissenschaftshörigkeit unterhalten, z.b. deutschsprachiger sportjournalisten oder amerikanisierter coaches. immerhin sind ja die cyborgs aus dem „milan-lab“ gegen die transfergenies aus der norddeutschen tiefebene ausgeschieden…

  4. Sebastian
    Mittwoch, 25. März 2009 um 17:47

    Ich stelle mich da ganz und gar auf die Seite des Bundestrainers. Ich bin der Meinung, dass wir gerade im Bereich der Leistungsdiagnostik ziemlich weit hinterher sind. Was ist denn an diesen Tests so schlimm? Herr Löw wird wohl kaum den einen oder anderen Trainer abwatschen, wenn ein Spieler nicht fit ist. Im Gegenteil er wird ihm einige spezifische Trainingseinheiten verpassen und der Spieler kommt fitter zu seinem Verein zurück.

  5. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 25. März 2009 um 18:16

    Ich weiß ja auch nicht, was gegen Fitnesstests einzuwenden ist. Die hab ich (Spielertrainer) sogar in der A-Liga gemacht und machen lassen.

    Es soll übrigens Nationalspieler gegeben haben, die bei den Tests zu Klinsmanns Zeiten keinen Klimmzug hinbekommen haben.

  6. Harald
    Mittwoch, 25. März 2009 um 20:35

    Klimmzüge? Nunja, sie brauchen ja auch keine Oberarme wie Fabian Hambüchen 😉 Trotzdem würde mich natürlich interessieren, wer bei dieser Übung gefloppt hat.

  7. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 25. März 2009 um 20:38

    Ist ja nur ein Gerücht, daher kann ichs nicht verraten.

  8. Peenemünde
    Mittwoch, 25. März 2009 um 20:38

    Ist es wieder soweit für Sportjournalisten die alte „konservative, veralterte, wissenschaftsfeindliche und unprofessionelle“ Bundesliga vs. „progressive, moderne, wissenschaftsumarmende und professionelle“ Nationalmannschaft Rhetorik auszupacken?

    Ich würde mir wünschen dass sich die Journalisten erst mal selber schulen und dann das Training der Bundesligisten und deren Spiele beobachten and fachkundig bewerten lernen. Im Falle von Hertha musste auch erst eine Analysefirma erzählen wie schnell Hertha doch ihr Passspiel betreibt, wie viel sie läuft und wie schnell sie nach Ballverlust wieder ihre Ordnung findet, bis die Presse von ihrer „unerklärbar“ Schiene abgewichen ist und dazu gemerkt hat, dass auch solch ein „unansehnlicher“ Fussball in die Schiene topmodern gehören kann.

    Wenn schon die Bundesliga inkompetent in diesen Sachen ist, dann hat sie aber auch eine Presse die der Bundesliga in diesem Aspekt in nichts nachsteht, eher schlimmer. Nur will letztere sich trotzdem gerne als Verfechter der Moderne positioniert wissen. Für mich kommen die meisten da aber leider eher wie billige Groupies daher, die mit jedem Schlafen, der erzählt er möchte modernen Fussball spielen und mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten.

    „„Bis heute hat die sportliche Leitung keine abschließende Erklärung für die schwankenden Leistungen bei der EM gefunden.“ Was so viel heißt wie: mangelnde, weil ungeprüfte Fitness dürfte eine große Rolle gespielt haben.“

    Kann man so sehen. Man könnte der Nationalmannschaft aber auch mangelnde Selbstkritik vorwerfen. Ich würde für die nächste Trainertagung vorschlagen die Themen „Kaderauswahl, Spielermanagement, Teambuilding, Taktik und Auswechslungen“ auf die Agenda zu setzen, schließlich sollte es auch Pflicht sein Missstände in der Nationalmannschaft anzusprechen.

  9. Harald
    Mittwoch, 25. März 2009 um 21:13

    Schade eigentlich. Die Klimmzugflopper hätten mich schon interessiert. Aber zurück zum Thema. Es ist doch geradezu grotesk, dass es im Leistungssport Profifussball in Gestalt der Vereine Protagonisten gibt, die ein Problem mit der Überprüfung des Fitnesszustandes ihrer Topakteure durch die Nationalmannschaft haben. Womit haben die da eigentlich ein Problem? Gekränkte Eitelkeiten? Sie sollten doch dankbar sein, dass ihnen Löw und seine Stab kostenfrei zusätzliche Informationen über den Fitnesszustand ihrer Spieler liefert.

    Davon abgesehen würde aber auch ich mich freuen, in Zukunft auch mal etwas über Tests zu lesen, die sich mit den fussballerischen Qualitäten wie etwa Ballkontrolle und Passspiel befassen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass in Deutschland zu wenig an den basics gearbeitet wird. Immer gerne genommen, der Vergleich mit dem Golfer, der wieder und wieder den Abschlag übt. Oder der Tennisspieler, der bis zum Erbrechen Aufschläge einstudiert. In der SZ war letztens ein sehr interessantes Interview mit Rangnick zu lesen. Dabei erzählt er u.a., dass man mit Erfolg an der Flankentechnik von Compper und der Schusstechnik von Obasi gearbeitet habe. Über sowas liest man doch viel zu selten. Und irgendwie habe ich den Eindruck, dass solche Dinge auch viel zu wenig trainiert werden.

  10. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 25. März 2009 um 21:15

    Hier ist ein Text Ronald Rengs über Pass-Training in Spanien:
    http://www.taz.de/1/sport/artikel/1/passen-bis-zum-exzess/

    Ich werde allerdings nicht ganz schlau daraus.

  11. Harald
    Mittwoch, 25. März 2009 um 21:33

    Vielen Dank für den Link! Ist ja hochinteressant. Auch wenn ich die Übung mit den acht Bällen ebenfalls nicht ganz verstehe. Aber die von Reng angesprochene Thematik ist genau das, was mich beschäftigt. Und in den seinen Kernaussagen …

    „Profitrainer leben meist im Glauben, sie hätten wenig Zeit, die Spieler technisch noch weiterzubilden; sie müssten eher Fitness und Taktik trainieren.“

    „Es geht nicht darum, das deutsche Training radikal zu verändern, sondern darum, dem Aspekt des Ballspielens mehr Raum zu gewähren.“

    … teile ich seine Einschätzung durchaus. Man hat den Eindruck, in Deutschland drehe sich alles im Fitness und so gut wie gar nichts im Technik. Und so sieht auch unser Fussball aus.

  12. Harald
    Mittwoch, 25. März 2009 um 21:45

    Öha. Habe gerade meine Beiträge nochmal durchgelesen und bitte die (Recht)schreibfehler zu entschuldigen.

  13. franzferdl
    Donnerstag, 26. März 2009 um 08:35

    was ich nicht begreife, ist, dass der jugendtrainer der 60er bis nach barcelona pilgern muss, um zu erfahren, dass man ballbehandlung durch bestimmte trainingsformen einüben kann. räume verengen, ball als gegenstand von übungen, dadurch handungsschnelligkeit verbesseren, etc. – mir leuchtet diese 8-bälle-spielform durchaus ein. und dass die passgenauigkeit und -schnelligkeit in spanien bedeutend höher ist – das kann im ernst keine sensation mehr sein, man sehe sich jedes x-beliebige bundesliga-spiel an & vgl. das mit spanischem erstligafussball.

    ich halte im übrigen auch nichts davon, diese ganze ideologie jetzt zu glorifizieren: bei ballbesitz gegner denselben unter druck setzen, bei eigenem ballbesitz, der immer noch als besten gegenmittel gegen gegentore gilt, passgenau den eigenen mitspieler einsetzen, sich im raum bewegen, so dass genügend anspielstationen existieren, gerne auch mal das stilmittel doppelpass ausprobieren etc. und das ganze gelingt natürlich nur, wenn die jungs fit sind.

    aber das ist eben die grundlage professionellen sports überhaupt. ich halte es für lachhaft, dass mangelnde fitness der grund für die spielerlisch abgrundtief schlechten em-spiele gewesen sein soll (portugal-spiel ausgenommen) – was haben die in 3 bis 4 wochen vorbereitung auf das em-ereignis getan? das kann doch nichts mit dem fitness-zustand eines nationalspielers um den märz herum zu tun haben…

    will sagen: ich halte einen gewissen wissenschaftshype tatsächlich für sehr problematisch, weil damit suggeriert wird, dass wir dieses zum teil wunderbar chaotische, von zufällen abhängige spiel objektiv in alle einzelheiten zerlegen könnten, um dann am reissbrett das für alle erfolgversprechende spiel zu produzieren. zum einen werden wir feststellen, dass auch bei 18 verwissenschaftlichten bundesligateams mind. 2 absteigen müssen & nur eines meister werden kann. zum anderen liegt das problem des deutschen fussballs m.e. gerade nicht im körperlichen bereich. der lässt sich mythologisch immer wieder bestens aktivieren: blut und gras fressen, nie aufgeben, dieser ganze germanen-scheiss.

    wichtiger wäre, wie schon weiter oben gesagt, mal im hohen tempo regelmässig einen pass erfolgreich zum eigenen (!) mitspieler zu spielen oder ein anspiel produktiv & schnell verarbeiten zu können, etc. der deutsche fussball muss sich technisch und spielerisch weiter entwickeln, alles andere ist kindergarten & hängt auch nicht davon ab, ob etwa marco marin einen klimmzug hinbekommt…

  14. Lena
    Donnerstag, 26. März 2009 um 10:09

    Ich wundere mich auch, warum Manager da soo allergisch reagieren. Ein Bundestrainer muss doch Daten sammeln über die einzelnen Spieler, damit er eine tragfähige historische Datenbasis hat. Wenn er damit 4 Wochen vor einem Turnier anfängt, da kann er deutlich weniger mit anfangen.

    Zum anderen ist klar, dass die Trainer in der BL auch unterschiedlich trainieren. Man denke nur an den Felix oder Rangnick. Auch sind die Anforderungen an die Spieler in der Runde eine andere als in einem Turnier. In der BL muss über 8-9 Monate Leistung abrufbar sein, teilweise zweimal die Woche. Dann noch die Champions-League oder DFB Pokal…

    In einem Turnier zwei bis vier Wochen alle drei/vier Tage, und selbst da gilt, alle Teams in Hochform in der Gruppenphase gehen spätestens nach dem Viertelfinale heim.

    Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn der Bundestrainer sich nicht den Leistungsstand holen würde, müsste man ihm vorwerfen, nicht genug zu tun, um sein Training optimal und individuell einzustellen.

    Zum sicheren Ballspiel unter Hochgeschwindigkeit: Da gilt doch einfach, wer hohes Tempo locker gehen kann, hat dann auch eher die Fähigkeit seinen Fuß bei Speed ordnungsgemäß einzusetzen. Nur wenn die Spieler schon im Spiel nicht so oft so schnell sind wie in anderen Ligen, wie soll es da der Bundestrainer in drei Wochen hinbekommen? Wer es gewohnt ist mit 200 km/h zu rasen, der hat bei 150 km/h eine abgeklärtere Reaktion, als jemand der sonst nur 100 km/h fährt. Oder wer mit 8 Bällen trainiert, verliert mit einem vielleicht weniger schnell die Übersicht. Warum also nicht mal ne Übung wie: 5 gegen 5 mit zwei Bällen, kleinen Toren und nach 45 sec müssen neue Spieler rein (wie im Eishockey). Das wäre schnell und komplex. Danach sollte einen doch nichts mehr überraschen. 🙂

    Den Nachteil des Hochgeschwindigkeitsfußball sieht man in Hoffenheim, man braucht einfach mehr Spieler für ne Saison, weil sich der Körper irgendwann eine Auszeit holt. So könnte man auch gegen Löw argumentieren und sagen: Dank dem „lockeren“ Tempo sind seine Spieler für die Turniere bereit und er muss sie halt noch pushen. Man denke da nur an die Franzosen und Spanier in Südkorea/Japan.

  15. Oliver Fritsch
    Donnerstag, 26. März 2009 um 10:19

    Marin wars nicht. Ich finde aber, dass es keine Lappalie ist, wenn Fußballprofis keine Klimmzüge oder Liegestütze hinbekommen.

    Warum ist denn immer alles gleich ein Hype, nur weil mal zwei Zeitungen über was schreiben?

  16. franzferdl
    Donnerstag, 26. März 2009 um 10:36

    ich hab mich verschrieben: ich meinte die bereits weiter oben genannte wissenschaftshörigkeit, die oftmals sehr einseitige, unreflektierte und eher pawlowsche interpretationen des bundesligafussballs produziert…

  17. Dirk
    Donnerstag, 26. März 2009 um 16:04

    @franzferdl – Kommentar 13

    Schön beschrieben, so ist es!

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