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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Kein Sittenverfall, sondern Marktlogik

Oliver Fritsch | Montag, 8. Juni 2009 3 Kommentare

Debatte um Trainerkündigungen und deren Verurteilungen / Leverkusen empfindet Bruno Labbadias Wechsel als Verlust, muss sich aber vorhalten lassen, ihn nicht gestärkt zu haben / Hertha BSC trennt sich von Dieter Hoeneß, der sich in seinem Machtkampf mit Lucien Favre verkalkuliert hat

Die Diskussion um die kündigenden Trainer ist durch Wortmeldungen von Matthias Sammer, Jupp Heynckes, Wolfgang Holzhäuser und Ottmar Hitzfeld moralisch aufgeladen worden. Stichwort Vorbildrolle und Vertragstreue. Boris Herrmann (Berliner Zeitung) verteidigt die Abtrünnigen: „Man darf Daum, Jol, Magath und Labbadia nicht böse sein. Wer nicht weiß, ob er seinen Job verliert, wenn er sich mal zwei Niederlagen in Serie leistet, der wird sich auch die Möglichkeit nicht entgehen lassen, eine bessere Karrierechance zu nutzen. Das hat nichts mit Sittenverfall zu tun, das ist Marktlogik.“

Volk ohne Raumdeckung knöpft sich Sammer vor, der am lautesten klagt: „Saubermann Sammer hat im November 2008 Dieter Eilts geschasst, nachdem dieser die Quali zur U21-EM erreicht hatte. Eilts’ Vertrag wäre noch bis Juni 2009 gelaufen, bis nach der EM, um genau zu sein. Grund für die Entlassung waren ‚unterschiedliche Auffassungen‘. Ja, holla, potztausend, das nenne ich vorbildlich. (…) Dieser Sammer kann einem wirklich auf den Geist gehen mit seinem permanenten Gerede von Vorbild und Jugend und Werte blablablub.“

Dass Leverkusen, Hamburg und Frankfurt zu bekannten Lösungen greifen, legt ihnen Christof Kneer (SZ) als ängstlichen Konservatismus aus: „Nach dem missratenen Klinsmann-Experiment hat die Liga beschlossen, dass Risiko nicht gut für die Moral ist. Sie geht auf Nummer Sicher – und damit erst recht ins Risiko. Wenn die Moraldebatte demnächst vergessen ist, wird sie merken, dass ein paar frische Einflüsse für die Moral auch nicht so schlecht gewesen wären.“

Halbes Jahr zu spät reagiert

In Leverkusen folgt Jupp Heynckes auf Bruno Labbadia. Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) wirft der Leverkusenern Offiziellen vor, Labbadia geschwächt zu haben: „Fehler haben aber nicht nur der Coach, sondern auch die Herren aus der Klubführung gemacht. Vor allem sahen Völler und Holzhäuser viel zu lange tatenlos zu, wie Manager Michael Reschke gegen den Trainer gearbeitet hat, sie haben zugelassen, dass sich ein Teil der Mannschaft unter dem Einfluss Reschkes zu einer verbissenen Opposition gegen Labbadia formierten. Reschke wurde nun strafversetzt, er kümmert sich künftig vorwiegend um den Nachwuchs – eine Idee, die offenbar ein halbes Jahr zu spät kommt.“

Platz für Herthas neue Gesichter

Nach der Trennung Herthas von Dieter Hoeneß loten Sven Goldmann und Michael Rosentritt (Tagesspiegel) das Verhältnis zwischen Hoeneß und Lucien Favre aus und gehen davon aus, dass sich Hoeneß verkalkuliert hat: „Hoeneß hat Favre lange nicht ernst genommen – und dabei übersehen, dass dieser ihn über seinen Erfolg überflüssig machen würde. Favre war Hoeneß’ bester Transfer, aber mit diesem Transfer verlor der Manager auch die Hoheit über die Erfolgsgeschichte. Herthas Aufschwung war nicht der von Hoeneß. Hoeneß hätte nun sagen können: Seht her, das ist der Mann, der Hertha zu einer Spitzenmannschaft gemacht hat. Und wer hat ihn geholt? Ich! Stattdessen versuchte der Manager, seinen wichtigsten Angestellten zu einem besseren Handlanger zu machen, der ohne schützende Hand zum Scheitern verurteilt wäre. Gern kolportierte Hoeneß, der Trainer würde wahrscheinlich allein im Supermarkt verhungern, weil er sich nicht entscheiden könne zwischen Wurst und Fleisch und Käse und Milch. Das wiederum bekam auch Favre mit, was seine Sympathie zum Vorgesetzten nicht unbedingt steigerte. Zum Schluss standen sich Manager und Trainer unversöhnlich gegenüber. Das Präsidium musste sich für einen von beiden entscheiden – und zögerte keine Sekunde.“

Jan Christian Müller (FR) wiegt den Verlust für Hertha: „Dieser Abgang hat auch etwas Tragisches: Der einst mächtigste Mann der Hertha hat den Machtkampf mit Lucien Favre verloren, ausgerechnet mit jenem Mann also, den er selbst gegen manche Widerstände vor zwei Jahren zur Hertha geholt hatte. (…) In Berlin gibt es viele Fans, die Dieter Hoeneß keine Träne nachweinen. Hoeneß betrieb in schwierigem Umfeld eine risikoreiche Investitionspolitik, die den Klub zwar in der Nähe der Bundesligaspitze etablierte, die aber auch eine Bürde für die Zukunft ist. Der Hertha fehlt künftig ihr markantestes Gesicht, ihr größtes Netzwerk und ihr widerstandsfähigster Blitzableiter.“

Robert Ide (Tagesspiegel) fügt an: „Hoeneß hat es an der für ein solch wichtiges Amt unabdingbaren Demut und Gelassenheit gefehlt. Deshalb musste sich Hertha BSC von dem Mann trennen, dessen Antrieb im Guten wie im Schlechten auch immer ein Antrieb für den Verein war. Nun ist Platz für Herthas neue Gesichter.“

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Kommentare

3 Kommentare zu “Kein Sittenverfall, sondern Marktlogik”

  1. erz
    Montag, 8. Juni 2009 um 15:35

    Mir ist jetzt zum wiederholten Mal aufgefallen, dass ich die Links zu den besprochenen Artikeln immer mit gedrückter Steuerungstaste anklicke – ich öffne jeden interessanten Link schon während des Lesens der Zusammenfassung in einem neuen Tab. So kann ich eine gemütliche Fußballartikelsitzung starten und mich auch durch die Weiterverlinkungen der diversen Artikel in den von mir geöffneten Tabs klicken.

    Langer Rede kurzer Sinn:

    Kann man externe Links zumindest in der Presseschau zukünftig vielleicht automatisch in einem externen Fenster öffnen lassen? Da gibt es simple Plugins für.

  2. Frank Baade
    Montag, 8. Juni 2009 um 19:32

    Lieber erz,

    in der Regel gibt es die einfache Möglichkeit, Links durch einen Klick auf die mittlere Maustaste bzw. das Scrollrad in einem neuen Tab zu öffnen. Sie müssten also nicht extra noch eine Taste zusätzlich drücken.

    Auf automatisches Öffnen von Links in einem neuen Tab oder neuen Fenster möchten wir jedoch nicht umsteigen, da es sich als Web-Standard etabliert hat, Links nicht automatisch im neuen Fenster zu öffnen.

    Das ist sicher auch einfach eine Geschmackssache, wir möchten und werden uns aber an den Standard halten.

    Dennoch sind uns die Wünsche unserer Leser natürlich wichtig und wir hoffen, dass Sie sich auch beim nächsten Mal wieder melden, falls Sie einen Änderungswunsch haben.

  3. Ingrid
    Dienstag, 9. Juni 2009 um 14:25

    Ich bin der selben Meinung wie „erz“, aber ich wusste bisher nicht, dass ich beim Drücken des Scrollrades die Seite auch in einem neuen Fenster öffne. Wieder etwas dazu gelernt.
    Für mich war eigentlich Standard, dass sich die Links in einem neuen Fenster öffnen, dass ist eigentlich überwiegend so, oder verfahren die meisten nicht nach Standard?
    Ich finde es nämlich sehr lästig, wenn ich einen verlinkten Artikel lese und dann wieder die Zurücktaste betätigen muss, ich klicke lieber einfach das Fenster weg und kann den eigentlichen Artikel weiterlesen.
    Mir passiert es z.B. hier oft, dass ich den idF neu aufrufen muss, weil ich eine verlinkte Seite weggeklickt habe.

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