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Ascheplatz

Pérez hat nicht das Profil eines Unternehmers, dessen Unternehmungen scheitern

Oliver Fritsch | Sonntag, 21. Juni 2009 4 Kommentare

Ob sich die schweineteuren Transfers Real Madrids auch wirtschaftlich rechnen, darüber gibt es unterschiedliche Prognosen von Experten

Der Kollege Moritz Alexander Heiser aus Leipzig schickt mir ein schönes Fundstück: ein Interview mit Frédéric Bolotny, einem Sportökonomen aus Limoges, über die Strategie des Präsidenten von Real Madrid, Florentino Perez. In der französischen Tageszeitung Libération sagt Bolotny: „94 Millionen für Ronaldo folgen ökonomischer Logik.“ Heiser hat Auszüge übersetzt:

Libération: Hat der Präsident von Real den Kopf verloren?

Bolotny: Mir fällt es schwer zu glauben, wir hätten es mit einem Luftikus zu tun. Real ist der umsatzstärkste Club der Welt, trotz seiner zuletzt schlechten Resultate. […] Wie während seiner ersten Amtszeit wird er die Marke Real Madrid und das Image einiger großer Spieler in Synergie ausbeuten – sowohl sportlich als auch finanziell. Das beruht auf einer strikt ökonomischen Logik: Die Hauptaktivität des Unternehmens, der Fußball, der selbst im Grund kein rentables Geschäft ist, gibt Real genug Legitimität für das Marketing der „Marke“ Real. Das Ziel ist, den sportlichen Erfolg völlig von der ökonomischen Gesundheit der Institution Real abzukoppeln, damit das eine nicht das andere beeinflusst.

Libération: Aber während seiner ersten Amtszeit kaufte er nur einen „Galaktischen“ pro Jahr!

Bolotny: Und Real war damals auch zweimal ärmer als heute. Heute setzt Perez den Club mit dieser Strategie keiner Gefahr aus. Paradoxerweise ist Real trotz seiner hohen Investitionen viel weniger vom Aus bedroht als seine englischen Pendants. Diese hängen komplett von ausländischen Besitzern ab, die im Stande sind, ihr Engagement morgen aufzugeben und die Clubs insolvent zurückzulassen.

Libération: Wie wird Perez die Kosten einer solchen Investition wieder einspielen?

Bolotny: Das ist relativ einfach. Der Preis eines Ronaldos oder eines Kakás hat ein ökonomisches Kalkül. Zentral ist der Erwerb eines Teils oder der gesamten Persönlichkeitsrechte der Spieler. Nehmen wir das Beispiel des Zidane-Transfers: der Spieler kostete den Club jedes Jahr 17 Millionen Euro, aber die Kosten wurden durch die Gewinne der Marke Zidane aufgewogen. In seinem Ankunftsjahr stieg der Umsatz um 25%. Mit Ronaldo und Kaká wird Real besser sein, die Zuschauereinnahmen und das Fernsehgeld werden steigen. Außerdem wird Perez mit diesen Transfers den südamerikanischen Markt aufrollen.

Libération: Wird Real auch dann kein Geld verlieren, wenn die Resultate nicht stimmen?

Bolotny: Das einzige Limit, das diese marktverzerrenden Erwerbungen setzen, bleibt trotz allem der sportliche Erfolg. […] Die Ausgaben würden Perez von der öffentlichen Meinung dann womöglich zum Nachteil ausgelegt. Aber er hat nicht das Profil eines Unternehmers, dessen Unternehmungen scheitern.

Real muss eine ganze Kabine leerfegen

In der SZ hingegen lesen wir die skeptischen Wertungen des Professors für Finanzwirtschaft José María Gay, der nicht glaubt, dass sich die Transfers wirtschaftlich lohnen: „Ich habe, bei allem Respekt für Florentino Pérez, meine Zweifel. Über Trikotverkäufe kann man den Kauf von Ronaldo, Kaká und wer da alles noch kommen mag, jedenfalls nicht wirtschaftlich gestalten. Real Madrid ist doch bereits jetzt, was die Einnahmen betrifft, die Nummer eins der Welt! Die neuen Einkäufe werden voll auf die Ausgabenstruktur durchschlagen. Wenn wir uns darauf beschränken, bloß die Bruttogehälter und die Abschreibungen der Transfersummen der Spieler einzurechnen, die bereits als sichere Zugänge gelten, kommen wir allein für die kommende Saison auf 50 Millionen Mehrausgaben. Nicht eingerechnet, wer noch geholt wird. Und nicht eingerechnet, was auf Real Madrid an Abfindungen zukommt. Denn: Real muss ja eine ganze Kabine leerfegen, Spieler abgeben, die zum Teil noch über Jahre laufende, millionenschwere Verträge haben. Da sind wir also, was Ausgaben betrifft, ganz schnell nahe bei oder jenseits der 500 Millionen Euro. Um das auszugleichen, müsste Real die Einnahmen von einem Geschäftsjahr zum nächsten um mehr als 20 Prozent steigern. Hat das je ein Klub geschafft? Nein!“

Nachgereicht: das Perez-Portrait von Javier Cáceres (SZ), der auf einen gern vernachlässigten Benefit hinweist: „Wovon der gelernte Ingenieur mit dem 1, 5-Milliarden-Euro-Vermögen gar nicht spricht, sind die Vorteile des Real-Amtes für seine private Realwirtschaft. Während seiner Präsidentenzeit wurde die VIP-Loge des Bernabéu-Stadions zu Spaniens wichtigster Kontaktbörse überhaupt.“

Kommentare

4 Kommentare zu “Pérez hat nicht das Profil eines Unternehmers, dessen Unternehmungen scheitern”

  1. lateral
    Sonntag, 21. Juni 2009 um 17:30

    Bolotny und Gay widersprechen sich übrigens auch, was die Fakten angeht:

    -Bolotny sagt, im Zidane-Ankunftsjahr sei der Umsatz um 25 % gestiegen (er hat auch ein Buch über die erste Epoche Pérez‘ verfasst).
    -Gay behauptet, 20 % Umsatzsteigerung habe noch nie ein Klub geschafft.

    Was zu überprüfen wäre…

  2. [Kreativername]
    Sonntag, 21. Juni 2009 um 22:28

    20% Steigerung der Einnahmen würde doch fast jeder Mittelklasseclub schaffen, der sich überraschend für die Championsleauge qualifiziert. „noch nie“ klingt jedenfalls ziemlich überzogen. In der Größenordnung vielleicht nicht, aber es hat wohl auch noch keiner versucht.

    Ich denke die Rechnung bei Real wird (auch) so aussehen: Kaka und Ronaldo sind beides relativ junge Spieler die ein paar Jahre beim Verein bleiben werden. Und allein die erhöhte Wahrscheinlichkeit in der Championsleauge mal ein oder zwei Runden weiterzukommen als in letzter Zeit dürte über die kommenden Jahren betrachte auch schon einen mittlerern zweistelligen Millionenbetrag wert sein. Ähnliche Überlegungen kann man natürlich für die spanische Meisterschaft anstellen und auch bei den Fernsehgeldern kommt vielleicht noch was rein. Dazu noch die Trikotverkäufe und das ganze könnte sich lohnen.

    Ob die Rechnung aufgeht hängt natürlich von vielen Faktoren ab (zum Beispiel davon, dass sich keiner schwer verletzt) aber so unrealistisch wie teils behauptet ist es meiner Meinung nach nicht.

  3. Linksaussen
    Dienstag, 23. Juni 2009 um 13:25

    Der „mittlere zweistellige Millionenbetrag“ geht aber doch schon für die Gehälter der beiden drauf. Beide 13 Mio pro Jahr, zuzüglich der spanischen Steuer für ausländische Spitzenverdiener von 25% (Wenn ich das richtig in Erinnerung habe), macht zusammen 32,5 Mio. Pro Jahr. Prämien nicht eingerechnet.

  4. [Kreativername]
    Dienstag, 23. Juni 2009 um 17:50

    Ja, die Gehälter der beiden sind eigentlich nur durch Verkleinerung des Kaders zu finanzieren. Bis jetzt war Ich (wohl zu unrecht) davon ausgegangen dass das auch geplant ist. Nur gesehen habe Ich davon bis jetzt noch nichts. Und Perez will wohl weiter einkaufen, insgesamt für bis zu 300 Millionen. Sollte es dabei bleiben, dann wäre Ich mit meinen Versuchen das alles nachzuvollziehen allerdings auch erstmal am Ende.

    Ich hatte bei Ronaldo bis jetzt allerdings nur von einem Gehalt von bescheidenen (nunja) 8 Millionen (plus Prämien), die letztes Jahr in einem Vorvertrag vereinbart wurden, gelesen. Gibt es da offizielle Zahlen?

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