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Champions League

Schnell, wuchtig, konterstark

Frank Baade | Donnerstag, 17. September 2009 1 Kommentar

Der VfB Stuttgart überzeugt nur zu Beginn seiner Partie und erschreckt danach, in der Nachlese von Dienstag erhalten Grafite und Thomas Müller alle Lorbeeren sowie Aufmerksamkeit

Thomas Haid berichtet in der Stuttgarter Zeitung von unerklärlicher Janusköpfigkeit: „Eine ganz starke Leistung hatten die Stuttgarter in den ersten 30 Minuten geboten – und anschließend gezeigt, dass in allen Bereichen noch eine Menge fehlt, um die hohen Ansprüche des Vereins und Markus Babbels erfüllen zu können. Wie verwandelt spielte der VfB in der ersten halben Stunde. Selbstbewusst im Auftreten, schnell und direkt in den Kombinationen. Hoch verdient war daher auch der Führungstreffer von Pawel Pogrebnjak. Ein Beleg für die Überlegenheit des VfB waren mehr als 60 Prozent Ballbesitz und eine Torschussbilanz von 11:2 in den ersten 45 Minuten. Im zweiten Abschnitt bot sich dann allerdings ein grundlegend anderes Bild. Jetzt waren es plötzlich die an sich harmlosen Schotten, die das Spiel bestimmten. Viel zu weit zog sich der VfB zurück und offenbarte zudem körperliche Defizite. Das Tempo der Anfangsphase jedenfalls konnte Babbels Team nicht annähernd mehr halten und lief meist hinterher. Die Quittung für das viel zu passive Spiel folgte: Der aufgerückte Innenverteidiger Madjid Bougherra traf zum Ausgleich. Viel hätte nicht gefehlt, und der VfB hätte am Ende mit ganz leeren Händen dagestanden.“

Jan Reschke resümiert nach ähnlichen Impressionen vom Spielverlauf bei Spiegel Online: „So bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Die erste Halbzeit macht Mut für die anstehende Champions-League-Saison, in der die Stuttgarter in der jüngeren Vergangenheit wenig Rühmliches zeigten. 2007/2008 gelang nur ein Sieg bei fünf Niederlagen, die Mannschaft landete abgeschlagen auf dem letzten Gruppenplatz und verpasste sogar den Uefa-Cup. Die zweite Hälfte taugte allerdings nur dazu, die internationale Reife auch weiterhin in Frage zu stellen. Und der letzte Eindruck bleibt oft hängen.“

Statt von guten ersten 45 Minuten spricht Oliver Trust im Tagesspiegel von lediglich 15 guten Minuten. Eine insgesamt „erschreckend schwache Leistung“ attestiert er den Stuttgartern und belegt es so: „Wie sehr die Mannschaft derzeit nach Form und Linie sucht, zeigte sich nach dem Führungstreffer in der 18. Minute. Pawel Pogrebnjak traf mit einem Flachschuss zum 1:0. Die nächste Chance für die Stuttgarter aber gab es erst 20 Minuten später. Der VfB verkroch sich fortan im Mittelfeld, obwohl sich die Rangers keine einzige Möglichkeit erspielten und zudem äußerst defensiv auftraten. Mit einem Schlag wich das Tempo aus den Aktionen. Die Stuttgarter spielten quer statt nach vorne, und es gab sogar ein paar Pfiffe. Das Feuer der ersten 15 Minuten war erloschen. Auch nach der Pause gelang es den Stuttgartern nicht, das Feuer neu zu entfachen. Im Gegenteil.“

Hautausschlag beim Namen Magath

Lars Wallrodt hat den Pschyrembel im Hinterkopf, wenn er Vehs Wirken einsortiert (Welt): „Insbesondere ist der Triumph psychologisch wichtig: Drei Bundesliga-Niederlagen in Folge hatten die Spieler des Deutschen Meisters verunsichert. Nun wurde Selbstvertrauen gewonnen, das auch in zwei Wochen im kommenden CL-Spiel bei Manchester United helfen wird. Doch auch für Veh persönlich war das 3:1 bedeutsam: Nach der ungewohnten Niederlagen-Serie dürften sich bei so manchem VfL-Verantwortlichen erste Zweifel geregt haben, ob Veh wirklich der geeignete Nachfolger des Meistermachers Felix Magath ist. Magath hat in Wolfsburg fast die komplette Mannschaft zusammengestellt, Magath hat neue Trainingsplätze anlegen lassen, Magath hat das Unmögliche möglich gemacht und ist mit dem VfL Meister geworden. Veh bekommt vermutlich Hautausschlag, wenn er den Namen Magath hört. Nun hat sich er erstmals von dem übermächtigen Vorgänger emanzipiert. Gegen Moskau stellte er von 4-4-2 auf eine 4-3-3-Formation um, ließ in Grafite, Edin Dzeko und Zugang Obafemi Martins gleich drei Stürmer auf den Gegner los. Ein Schachzug, der riskant war und dennoch aufging. Hätte Wolfsburg verloren, wäre Veh in Erklärungsnot gekommen. Schließlich war es Magaths Meistersystem, das der 48-Jährige über Bord warf.“

Matti Lieske (Berliner Zeitung) beobachtet Erschütterungen an Vehs Einstellungen: „Armin Veh mochte sich bestätigt gefühlt haben in der Annahme, dass an diesem Abend nicht die Mannschaft gewinnen wird, die das Spiel kontrolliert, sondern jene, die weniger Fehler begeht. Da der Wolfsburger Trainer wusste, dass Moskaus Mittelfeld besser besetzt sein würde, schickte er seine Elf in einer 4-3-3-Formation und mit einer simplen Order aufs Feld: lange Bälle. Lange Bälle sind Relikte aus Zeiten des englischen Kick and Rush und des italienischen Catenaccio. Vornehmlich kommen sie zum Ende eines Spiels zum Einsatz. Oder in Situationen, wenn es wichtiger ist, kein Tor zu bekommen, als eines zu schießen. Armin Veh befand sich am Dienstag in letzterer. Nach zuletzt drei Niederlagen in der Bundesliga aber ist von seinem Versuch, die Elf des Deutschen Meisters für ein neues Konzept zu gewinnen, nicht viel übriggeblieben. (…) Vielleicht handelt er [in Schalke] wieder gegen seine Grundüberzeugung und lässt lange Bälle auf seine drei Stürmer Edin Dzeko, Obafemi Martins und Grafite schlagen. Zu Hause mit einem Stoß- und zwei Flankenstürmern verkappt ängstlichen Fußball spielen zu lassen, ist weder besonders ansehnlich noch bei Spielern beliebt – nicht bei den Opfern, die gerade die Außenstürmer zu bringen haben für Defensive, Null und Mannschaft. Grafite, der ZSKA praktisch im Alleingang besiegt hatte, wurde gefragt, ob ihm die neue Rolle als erster Verteidiger gefalle, was er verneinte, weil er da zu viel laufen müsse.“

Formvollendeter Torjäger

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) verweist auf Mängel in Grafites Spiel, lobt dennoch: „Auch wenn sich Veh von den miesen Resultaten völlig unbeeindruckt gezeigt hatte – seine Spieler wirkten sehr wohl angefasst. Grafite berichtete nach dem Spiel, wie es vor dem Spiel gewesen war: Beim Aufwärmen hatte er einige Bälle aufs Tor geschossen. Sie verfehlten das Ziel, und weil auch die Zuschauer ihm ungewohnt unruhig vorkamen, dachte Grafite bei sich: ‚Das wird ein schwerer Abend.‘ Natürlich fokussierte sich alles auf den Brasilianer, der wie seine Kollegen zuletzt vergeblich gegen den Sog nach unten angestrampelt hatte. Das war auch gegen Moskau zu sehen. Einige Bälle sprangen ihm vom Fuß, seine Gegenspieler waren oft den internationalen Tick schneller, zudem versuchte es Grafite zur Unzeit auf kunstvolle Weise. Nur jeden dritten Pass brachte er an den Mann. Aber wen interessierte diese Statistik? Entscheidend war ein anderer Wert. Er hat alle seine Chancen genutzt. Dzeko, Misimovic, Grafite – es war das magische Dreieck der Meistersaison, das dem VfL einen erfolgreichen Start in die Champions League beschert hatte. Dass ihr Kraftzentrum wieder funktioniert, löste bei den Wolfsburgern neue Zuversicht aus.“

Einen „formvollendeten Torjäger“ nennt Roland Zorn (FAZ) Grafite und stellt gute Noten aus: „Vor allem lässt sich der Angreifer, der den VfL vorläufig an die Tabellenspitze der Champions-League-Gruppe B schoss, seine Ruhe und Kälte nicht nehmen, wenn er seine Qualitätsmerkmale konzentriert und entspannt ausspielt.“ Und in der Bundesliga dürfe man sich wieder auf den alten VfL gefasst machen. So zumindest die Überzeugung der Wolfsburger, die „ihr Markenzeichen – schnellen, wuchtigen, konterstarken Angriffsfußball – frisch aufpoliert hatten.“

Vorteil der Vielseitigkeit

Christian Eichler berichtet in der FAZ vom neuen Münchner Müller: Dass dieser keine Angst habe, nicht mal vor der Champions League, hatte Hermann Gerland gesagt. Müller sei mit seinen zwei Toren verantwortlich dafür, dass aus einem Zittersieg ein Respekt bringendes 3:0 geworden sei. „In das Kollektiv der Alpha-Tiere hat sich Novize Müller nahtlos eingefügt.“ Seine Unbekümmertheit werde auch von den Mitspielern gelobt. Müller habe den „Vorteil der Vielseitigkeit“, und er sähe nicht aus wie einer, der großen Namen stets den Vortritt lassen müsse. „Zwischen den bulligen Bodys der Fußballkollegen aus der heutigen Kraftraum-Generation wirkt er fast schmächtig; erst recht neben den Oberschenkeln seines großen Namensvetters Gerd. Doch hat der schlaksige Jung-Müller eine erstaunliche Physis. Während den Israelis nach achtzig Minuten erstaunlich hohen Tempos in drückender Schwüle die Knie weich wurden, drehte er kühl auf. Ist er schon bald ein Mann für Löw?“

Raphael Honigstein sieht im Tagesspiegel in Thomas Müllers Wirken doppelten Nutzen für die Bayern: „Müller, ein bescheidener Junge, erzählte weiter mit aufrichtiger Begeisterung von der ’super Stimmung im Stadion‘. Er freue sich, vom Trainer Einsatzzeiten zu bekommen, alles andere würde ‚von außen hineingetragen‘. Hoher Einsatz und eine erstaunlich effiziente Schnörkellosigkeit kennzeichnen sein Spiel. Bayerns Bestreben, den medialen Wirbel um ihn einzuschränken, ist verständlich; in gewisser Weise müssen sie Müller derzeit auch dankbar sein, und das nicht nur wegen seiner Treffer. Müllers überraschender Aufstieg lenkt im Moment vorzüglich davon ab, dass der FC Bayern im zweiten Saisonmonat noch immer ein recht enigmatisches Bild abgibt. Van Gaals 4-3-3-System eröffnet Arjen Robben und Franck Ribéry, den fragilen Freigeistern auf den Flügeln, zwar alle erdenkliche Möglichkeiten, doch das Mittelfeld und besonders Bayerns linke Abwehrseite befinden sich weiter in der Findungsphase. Ob Nachwuchsverteidiger Holger Badstuber zusammen mit den aus Holland importierten Edson Braafheid oder Danijel Pranjic höchsten internationalen Ansprüchen genügen, bleibt ebenso offen wie die Frage, warum van Gaal ‚eine fantastische erste Hälfte‘ gesehen hatte.“

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1 Kommentar zu “Schnell, wuchtig, konterstark”

  1. Stuttgart - 17 Sep 2009
    Donnerstag, 17. September 2009 um 13:01

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