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Bundesliga

Imposanter Verteidigungskampf in Unterzahl

Frank Baade | Dienstag, 27. Oktober 2009 2 Kommentare

Schalke gewinnt mit einer packenden Partie gegen den HSV seine Fans zurück, in Berlin kann Trainer Funkel mit „Schönspielern nichts anfangen“, Werder Bremen ist mit neuer Balance im Team ein Meisterkandidat

Bezüglich der Partie zwischen dem FC Schalke 04 und dem Hamburger SV schreibt Michael Ashelm in der FAZ von der „verrückten Dramaturgie einer Begegnung mit einem fast sicheren Sieger, überraschenden Wendepunkten und einem imposanten Verteidigungskampf in Unterzahl.“ Auf Schalker Seite dürfe man mit Magaths Arbeit zufrieden sein: „Seit dem Antritt seiner schwierigen Aufgabe im Sommer hat Magath die Mentalität der Mannschaft komplett verändert. Aus egoistisch orientierten, eher degeneriert wirkenden Einzelkönnern sind höchst einsatzbereite Fußballprofis geworden.“ Trotz einiger Fehler habe Magath „Herz und Leidenschaft“ gesehen, welche Schalke im Spiel gehalten hätten. Zudem zeige Magath wiederum sein Talent, Nachwuchsspieler ins Team einzubauen, was er heuer mit Lukas Schmitz und Christoph Moritz getan hätte. Doch auch der HSV habe nicht enttäuscht: „Die Mannschaft konnte durch ihre kühl kalkulierte Effektivität, taktische Disziplin und qualitativ hochwertige Maßarbeit vor allem im Mittelfeld mit Leuten wie Zé Roberto oder Elia überzeugen. Obwohl die Beine drei Tage nach der Europapokalbelastung in der zweiten Halbzeit müder wurden und der Nachteil des Unterzahlspiels auszugleichen war, blieb der HSV auf der Spur.“

Für Jörg Strohschein ist etwas anderes wichtiger als der Spielverlauf und das Ergebnis (Tagesspiegel): „Diese Partie hat bewirkt, dass die Schalker Fans ihren Frieden mit den Profis geschlossen haben. In den letzten Jahren hatte sich ein nicht mehr zu übersehender Bruch zwischen beiden Seiten ergeben. Mangelnde Leidenschaft, ermüdendes Defensivspiel und wenig Nähe zur Fanbasis waren nur einige der Vorwürfe der Anhänger. Dies hat sich gewandelt und damit auch die Unzufriedenheit. Felix Magath hatte die Aufhebung dieses Zustands zu Beginn seiner Amtszeit als eines seiner vorrangigen Ziele ausgegeben. Dies scheint bereits nach zehn Bundesliga-Spieltagen umgesetzt zu sein.“ Magath will aber weiter konzentriert arbeiten, denn während er den HSV als Spitzenteam einschätzt, gelte das für seine Schalker nicht. Strohschein bestätigt: „Selten hat eine Mannschaft in der Schalker Arena so zielstrebig, selbstbewusst und forsch aufgespielt wie die Hamburger. Der HSV hat das Selbstverständnis verinnerlicht, ein Spitzenteam zu sein.“

Brasilianische Fraktion aussortiert

Stefan Hermanns begleitet im Tagesspiegel Jaroslav Drobnys Rückkehr ins Tor der Berliner. Zwar hatte dieser wenig zu halten und nur ein Remis mit seiner Mannschat erzielt: „Vor allem aber hat er den Fans die Hoffnung zurückgegeben. Drobny stand damit sinnbildlich für dieses Spiel und seine Bedeutung. Streng genommen hat das Unentschieden den Berlinern nur einen dürftigen Punkt eingebracht und ihre Situation im Abstiegskampf nicht entscheidend verbessert – aber das Gefühl ist jetzt ein ganz anderes. (…) Ob der Torhüter wirklich spielfit war, sei mal dahingestellt. Der Torhüter musste sich [während des Spiels] übergeben. Er verlangte nach Tabletten gegen den Schmerz, angeblich aber nahm er nur Traubenzucker gegen die Unterzuckerung. Die entscheidende Botschaft war ohnehin eine andere: Da hatte jemand gegen den Schmerz angekämpft. Solche Typen braucht Hertha jetzt, zumal ein schneller Abschied aus der Abstiegszone erst einmal nicht zu erwarten ist. Das Spiel gegen Wolfsburg deutete zumindest darauf hin, dass die Berliner ihre Lage jetzt realistisch einschätzen. Hauptsache, es fängt überhaupt an aufzuhören, schlecht zu laufen.“

Michael Jahn (Berliner Zeitung) konstatiert, dass der Trainer von Hertha BSC im Abstiegskampf wenig überraschend auf Spieler setze, die „kämpfen“ sollen, statt auf „Schönspieler“: „Friedhelm Funkel hat damit die erste Richtungsentscheidung bei Hertha BSC getroffen. Bisher schien er nur das Erbe seines Vorgängers Lucien Favre zu verwalten. Jetzt schaltete er sich aktiv in die Personalpolitik ein, indem er einen Teil der Brasilien-Fraktion aussortierte. Nur Raffael schätzt Funkel besser ein, weil der sich durch starke Trainingsleistungen anbot. Am Sonntag sollte er hinter den Spitzen auf der linken Außenbahn Druck auf die Wolfsburger Defensive ausüben, was Raffael gelang. Gegen Wolfsburg trat so der seltene Fall ein, dass in einer kampfbetonten Bundesligapartie ein Brasilianer als zweikampfstärkster Spieler vom Platz ging: Raffael. 75 Prozent seiner Duelle hatte der Techniker gewonnen. In der prekären Lage sei es eine Frage der Mentalität, wie Profis das Dasein am Ende der Tabelle annehmen und dagegen ankämpfen.“

Meisterkandidat Werder Bremen

Christoph Biermann erkennt für Spiegel Online in den Bremern wieder eine Topmannschaft: „Auch der letzte Zweifler wird inzwischen anerkennen müssen, dass der SV Werder als Spitzenteam der Bundesliga zurück ist. Thomas Schaaf ist nun schon in seiner zwölften Saison Trainer der ersten Mannschaft von Werder Bremen und Exegeten des Clubs streiten darüber, das wievielte Team er in dieser Zeit zusammengebastelt hat. Keinen Zweifel gibt es aber daran, dass dieses ein Neues ist, denn Werder befindet sich in Jahr eins n.D. (nach Diego), so wie es auch mal ein Jahr eins n.M. (nach Micoud) gegeben hat – oder vielleicht sogar das n.A. (nach Ailton). Inzwischen ist das Team kein Begleitensemble eines Stars mehr, sondern eine gut verschweißte Einheit. In Bochum kassierte Werder das erst siebte Gegentor der laufenden Bundesligasaison.“ Am wichtigsten sei neben den guten Leistungen von Mesut Özil allerdings Claudio Pizarro. „Da macht es auch wenig, dass die Neuzugänge im Schaaf-Team 3.0 für den Umschwung nur am Rande verantwortlich sind. Was soll’s, wenn die alten Spieler wie neu getaktet aufspielen?“

Richard Leipold (FAZ) bestätigt: „Werder zeigte nach und nach mehr Symptome, die von Klasse und Cleverness zeugen. Obwohl es noch holprige Phasen gibt, zeugte der Auftritt in Bochum von einer neuen Stabilität: Bremen ist seit fünfzehn Pflichtspielen ungeschlagen. Özil und Marin gelingt es offenbar, den Verlust Diegos zu kompensieren – mehr noch: Seit der Platzhirsch weg ist, wirkt Werder variabler. Die Nominierung für letztlich wertlose Schönheitspreise hatte Werder oft auf Kosten von Punkten erreicht. Inzwischen ist die Abwehr ein wesentlicher Bestandteil des Erfolges. Bremen braucht nicht mehr überdurchschnittlich viele Tore zu schießen, um Spiele zu gewinnen.“

Till Schwertfeger (Welt) erläutert, warum Werder Bremen trotz schwachem Start nun ein Meisterkandidat ist: „Weil die Vereinsführung Schaaf ihr Vertrauen schenkte und ihn in Ruhe weiterarbeiten ließ, der nach gründlicher Analyse in der Sommerpause offenbar die richtige Balance zwischen Angriff und Verteidigung gefunden hat. Als Otto Rehhagel noch Bremen trainierte, nannte man diesen Stil ‚kontrollierte Offensive‘, aber Schaaf ist mittlerweile schon im elften Jahr Cheftrainer an der Weser und muss sich nichts mehr abgucken. Gemeinsam mit Sportdirektor Klaus Allofs geht er längst seinen eigenen Weg. Dass die beiden wissen, wie man ein Meisterteam formt, haben sie 2004 bewiesen.“

In der Financial Times Deutschland stellt Sven Bremer Aaron Hunt ins Rampenlicht, mit dessen entscheidendem Anteil am Aufschwung der Bremer nicht zu rechnen gewesen sei: „Dass sich Mesut Özil aufschwingen würde, die scheinbar übergroßen Fußstapfen von Diego auszufüllen, war zu Saisonbeginn vielleicht abzusehen. Dass Claudio Pizarro in schöner Regelmäßigkeit trifft, ebenfalls. Dass aber Hunt in der Lage sein würde, Özil als Spielmacher kongenial zu unterstützen, das war nicht abzusehen. Hunt hat einen präzisen Schuss, er ist schnell und trickreich, er kann freche Pässe spielen und spektakuläre Tore schießen. Dass Hunt außergewöhnliches Talent besitzt, weiß man an der Weser schon länger. Doch er hat es in den vergangenen Jahren nur allzu selten abgerufen. Seine Probleme lagen, lästerte man, nicht auf dem rechten oder linken Spann, sondern zwischen den Ohren. Ihm fehle die richtige Einstellung zu seinem Beruf, hieß es. Man machte das fest an Schludrigkeit auf dem Platz, glaubte es zu erkennen, wenn Hunt neben dem Platz danebenlag, was öfter vorkam: Er war in Schlägereien verwickelt und soll einen Gegenspieler rassistisch beleidigt haben.“

Zu euphorisch hochgelobt

Im Interview mit Christoph Schickhardt – „dem gefragtesten Vereinsberater“ – zur Lage beim VfB bekommt neben anderen auch der Interviewende Peter Stolterfoht sein Fett weg (Stuttgarter Zeitung):

„Sind Sie auch der Überzeugung, dass die Bundesligisten ihre Trainer zu schnell rausschmeißen?

Diese Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten. Rudi Assauer hat meinen Freund Jörg Berger entlassen, obwohl Schalke zu diesem Zeitpunkt auf dem dritten Platz stand. Das löste bei Außenstehenden Kopfschütteln aus, und trotzdem war es die richtige Entscheidung, weil die beiden einfach nicht zueinander gepasst haben und es bestimmt nicht gut gegangen wäre. Rudi Assauer war von diesem Schritt zutiefst überzeugt, und deshalb war es auch der richtige Weg.

Der Tabellenstand darf Ihrer Meinung nach nicht über den Trainer entscheiden?

Ganz genau. Ich halte es im Einzelfall sogar für vertretbar, dass sich der Tabellenführer von seinem Trainer trennt.“

Gegen Ende des Interviews erlaubt sich Schickhardt noch eine Einschätzung der Bewertung von Babbels Fähigkeiten durch die professionellen Beobachter vor Ort:

„Das gibt mir gleich auch noch die Gelegenheit, eine Medienschelte loszuwerden. Die Stuttgarter Medien haben Markus Babbel in der vergangenen Saison zu euphorisch hochgelobt. Da haben sich andere Trainer schon gewundert und gesagt: Lass den mal in eine kritische Situation kommen. Ich meine: Markus Babbel ist noch nicht so gut wie die vergangene Saison vermuten ließ, aber auch nicht so schlecht wie es die derzeitige Situation suggeriert. Jeder Trainer kommt einmal in eine Krise. Die entscheidende Frage ist, wie er mit ihr umgeht. Auf mich wirkt Markus Babbel im Moment noch souverän. Eines darf er allerdings nicht machen: Niederlagen schönreden.“

Ursache für geräuschloses Arbeiten

Stefan Osterhaus (NZZ) lenkt die Aufmerksamkeit auf Ähnlichkeiten der drei Aufsteiger: Sie setzen alle drei auf Bundesliga-Neulinge als Trainer. Dabei hat Nürnberg am vergangenen Spieltag deutlich verloren, doch: „Weil Michael Oenning auf eine Weise unerschütterlich wirkt, die allenfalls Routiniers zugetraut wird, wagte auch nach dem 0:3 in Hoffenheim niemand, den Trainer zu kritisieren. Als geradezu sakrosankt gelten bis heute alle Trainer der Aufstiegs-Teams. Dutt (Freiburg) und Tuchel (Mainz) teilen eine Gemeinsamkeit: Beide folgten auf einen mächtigen Vorgänger. Dutt steht in der Erbfolge des Freiburger Monumentes Volker Finke, und so suggerieren die beiden Bundesliga-Debütanten, dass die Ursache für geräuschloses Arbeiten in niedrigen Erwartungen bestehen könnte.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Imposanter Verteidigungskampf in Unterzahl”

  1. christoph04
    Dienstag, 27. Oktober 2009 um 17:55

    Als Berger bei Schalke entlassen wurde, waren wir doch nicht dritter, sondern 13.
    Dritter waren wir am Ende der vorherigen Saison.
    Der Entlassgrund war auch nicht, dass Assauer den Trainer nicht mochte, dass war bei „Rolf“ Rangnick der Fall (und da waren wir wirklich 2.), sondern der wahre Grund ist bis heute nicht an die Öffentlichkeit gedrungen.
    Glückauf!

  2. ckwon
    Mittwoch, 28. Oktober 2009 um 10:43

    „Dutt (Freiburg) und Tuchel (Mainz) teilen eine Gemeinsamkeit: Beide folgten auf einen mächtigen Vorgänger. “

    War Jörn Andersen wirklich ein mächtiger Vorgänger?

    Naja, wahrscheinlich war dessen Vorgänger so mächtig, dass man ihn schon wieder vergessen hat…

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