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Der Dukatenesel aus Charlottenburg

Frank Baade | Donnerstag, 26. November 2009 Kommentare deaktiviert für Der Dukatenesel aus Charlottenburg

Der Wettskandal zieht weiter seine Kreise: Einschätzungen, Interviews und Hintergründe, auch aus Asien, sowie ein neuer Gesetzesvorschlag

Fahrlässige Annahme

Heiko Hinrichsen zeigt sich in der Stuttgarter Zeitung höchst erstaunt, dass es aus Unbedarftheit heraus überhaupt so weit kommen konnte: „Das gigantische Ausmaß des Skandals mit seinen weltweiten Vernetzungen legt die Verwundbarkeit des Systems Profifußball schonungslos offen. Wer soll im Zeitalter von Online-Zockerei und asiatischen Wettpaten die Betrüger noch stoppen? Längst ist der Profifußball ein Milliardengeschäft – und die Betrüger sind bestens organisiert. Es war also vonseiten der Funktionäre nicht etwa blauäugig, es war in höchstem Maße fahrlässig zu glauben, in Europas Sportart Nummer eins gäbe es keine großangelegte Korruption.“

Blauäugiger Zwanziger

Der ehemalige Trainer des SC Verl, Mario Ermisch, selbst Anwalt, hat im Interview mit Marcus Bark in der Financial Times Deutschland eine eindeutige Auffassung, welche Wetten zugelassen sein dürften. Und plaudert aus des Amateurfußballers Nähkästchen:

„Spiele, bei denen es um wenig geht, gerade auch zum Ende der Saison, sind natürlich problematisch. Ich weiß gar nicht, wie da seriös Quoten ermittelt werden sollen. Auf solche Partien sollte nicht gesetzt werden dürfen. (…) Jeder, der selber gespielt hat, weiß doch, was bei den Amateuren abgeht. In der Kreisliga B ist es die Kiste Bier, für die eine Mannschaft den Gegner weghauen soll. Oder es wird Geld für absichtliche Niederlagen zumindest geboten. Jeder weiß, dass im unteren Amateurbereich zum Saisonende die abenteuerlichsten Ergebnisse herauskommen. Ich fand es schon sehr blauäugig vom DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, als er betonte, dass von 1,4 Millionen Spielen in Deutschland ja nur 32 verdächtig seien. Allein schon deshalb, weil nur auf einen Bruchteil der Spiele gewettet werden kann.“

Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang die Lektüre eines Werkes des Autoren Joe McGinniss, „Das Wunder von Castel di Sangro“, in dem er zwar am Rande, aber unmissverständlich beschreibt, wie es in italienischen unteren Klassen Usus sei, gegen Saisonende Spiele zu verschieben, wenn diese für das eigene Team keine Relevanz mehr hätten — ganz so, wie es Mario Ermisch oben auch für den deutschen Fußball andeutet.

Eine Frage der Veranlagung

DFB-Schiedsrichterleiter Lutz Michael Fröhlich zweifelt im Interview mit Dominik Bardow (Tagesspiegel) daran, dass höhere Entlohnung der Schiedsrichter diese gegen Betrugsgedanken immunisieren könnte, auch wenn noch nicht feststeht, ob und wie viele Schiedsrichter beteiligt waren. Zunächst gibt er Auskunft über die aktuellen Verdienste: „3800 Euro pro Spiel in der Bundesliga über 2000 in der Zweiten Liga bis 300 Euro in den Regionalligen.

Würde die Manipulationsgefahr zurückgehen, wenn man die Sätze erhöht?

Da bin ich skeptisch, weil das auch eine Frage der Veranlagung ist. Wer es darauf abgesehen hat, nur Geld zu kassieren, den wird man auch mit höheren Honoraren nicht in den Griff bekommen.“

Auf die Frage, ob es weitere Maßnahmen geben könne nach jenen, die man im Rahmen des Hoyzer-Skandals bereits ergriffen hatte, ist Fröhlich skeptisch: „Wenn Sie in Ihrer Wohnung alle möglichen Schlösser vor die Tür hängen, schreckt das sicherlich im ersten Moment ab, aber wenn es jemand wirklich darauf anlegt, bei Ihnen einzubrechen, dann schafft der das auch. Sie können keine Schiedsrichter einsperren, zur Spielleitung herauslassen und dann wieder einsperren. Das sind alles freie Menschen. Wir müssen zwar gegen schwarze Schafe vorgehen, aber auch an diejenigen denken, die jedes Wochenende redlich ihre Leistung bringen.“

Als Student mit 50.000DM Einsatz zum „High Roller“

Axel Raack portraitiert für 11Freunde einen mutmasslichen Hauptdrahtzieher, zumindest der Vorgänge in Deutschland, den allseits bekannten Ante Sapina: „Das erste große Geld macht der eingeschriebene Student 2000, als er zu Saisonbeginn der Bundesliga 50.000 DM auf die Meisterschaft von Bayern München setzt und nach dem dramatischen letzten Spieltag – den die Münchener doch noch als nationaler Meister beenden – um 100.000 DM reicher ist. Der Einstieg als ‚High Roller‘, unter Profizockern quasi die Eliteliga, ist perfekt. In der Folge verschleudert der junge Berliner Unsummen, verdient sich aber gleichzeitig eine goldene Nase. Monatlich habe er bis zu 400.000 in Sportwetten investiert. In der Folge reißen sich die großen Lotterien um den Dukatenesel aus Charlottenburg. Als er bei einer verlorenen Wette 300.000 Euro in den Sand setzt, überbringt ihm ein Oddset-Mitarbeiter ’schöne Grüße‘ und als Trostpflaster einen Kugelschreiber plus Feuerzeug. In der Hauptstadt ist er bald bekannt wie ein bunter Hund.“ In Berlin selbst habe er schon bald nicht mehr setzen dürfen, weil er zu oft große Kasse gemacht hatte. Im Hoyzer-Prozess wird ihm schließlich Spielsucht attestiert, was ihn vermindert schuldfähig macht. Diese Sucht war ihm wohl weiterhin Antrieb, auch nach seiner ersten Verurteilung: „Das zwielichtige Spiel aus Bestechung, Anbiedern, Bedrohung und Überredungskunst hat Sapina in den vergangenen Jahren offenbar so gut gespielt, wie kein anderer.“

In Deutschland lebende Studenten berichten live

Frank Hollmann und Benedikt Voigt schildern im Tagesspiegel die Lage in Ostasien: „China scheint sogar vorne zu liegen in Sachen manipulierter Fußballspiele, dort hat die Manipulation beinahe Tradition. Häufig sammeln die kleinen Buchmacher in Bars Einzelwetten von bis zu 10.000 Euro und reichen sie an die großen Buchmacher weiter, diese setzen das eingesammelte Geld dann via Internet weltweit. Die Informationen für obskure Wetten auf untere deutsche Ligen liefern in Deutschland lebende Studenten live vom Spielfeldrand per Handy nach China, berichtete die ‚ARD‘.“ Ganz im Zuge dieser Tradition erläutern Voigt und Hollmann weiter: „Das große Geld wird in Untergrundbars und verbotenen Spielhöllen verzockt. 2008 registrierte Chinas Polizei 179.000 Fälle illegalen Spielens. Die Gesamteinnahmen durch illegale Wetten werden auf 100 Milliarden Euro geschätzt, mehr als die Hälfte davon sind Fußballwetten.“

Die Hydra der illegalen Buchmacher

Marcus Bark, Andreas Förster und Lukas Heiny beleuchten in einem umfangreichen Dossier der Financial Times Deutschland die Situation weiter: „Es ist ein dunkles Geflecht aus illegalen Wettbüros, Mittelsmännern und Geldboten, dem die Ermittler gegenüberstehen. Nicht selten laufen die Wetten über Spielhöllen in den Hinterhöfen von Hanoi, Bangkok oder Schanghai. Kontrolliert von organisierten Banden, werden dort Milliarden Dollar verzockt, meist in Livewetten. Bei ihrer letzten Großrazzia gegen die Wettmafia hob die internationale Polizeiorganisation Interpol in Asien mehr als 1000 solcher illegaler Wettbüros aus. 1300 Verdächtige nahmen die Fahnder fest. Doch es ist wie bei einem Kampf mit einer Hydra: Kaum ist dem Ungeheuer ein Kopf abgeschlagen, wachsen zwei neue nach.“

„Wer den Verlauf in unlauterer Weise beinflusst“

Heribert Prantl berichtet in der SZ von bayrischen Plänen, sich juristisch in Zukunft anders mit der Anfälligkeit des Sports für Missbrauch auseinanderzusetzen: „Bayerns Justizministerin Merk (CSU) hat einen Entwurf ausgearbeitet. Demnach sollen Doping, Bestechung, Bestechlichkeit und sonstige betrügerische Manipulation verfolgt werden. Die Strafen reichen bis zu 10, bei gewerbsmäßigem Doping bis zu 15 Jahren Haft.“ Ein ähnlicher Vorstoß vor drei Jahren war am Widerstand des damaligen Bundesinnenministers Schäuble gescheitert, dieser sei jedoch nicht so umfassend wie der aktuelle gewesen. „Es soll nun jede Korruption im Sport vom Strafrecht abgedeckt werden: Wer den ‚Verlauf eines sportlichen Wettkampfs in unlauterer Weise‘ mit Geld oder sonstigen Vorteilen beeinflusst, wird mit Geldstrafe oder Haft bestraft.“ Ob dieser Entwurf Erfolg haben könne, sei allerdings schwierig einzuschätzen. Denn die Sportverbände beharrten darauf, dass die Sanktionen überwiegend in ihrer Hand blieben, die Union sei uneinig, dem DOSB reiche die aktuelle Situation aus. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dagegen halte erhöhten „Verfolgungsdruck“ für notwendig.

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