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Bundesliga

Mannschaft ohne Gefühl

Frank Baade | Dienstag, 1. Dezember 2009 Kommentare deaktiviert für Mannschaft ohne Gefühl

In Stuttgart wankt Markus Babbel weiter durch die Saison, steht zur Stunde aber noch, Leverkusen spielt mit der selbstverständlichen Lässigkeit eines Tabellenführers, Olic ist bei Bayern der Mann der Stunde

Der VfB Stuttgart leistet einen „Offenbarungseid“ beim 0:4 in Leverkusen, Babbel wankt mehr denn je. Seine Nachfolger werden schon offen diskutiert, doch noch verweilt er im Amt.

Einem Hamburger Trainer sei es einst ähnlich ergangen, erinnert Bernd Dörries in der SZ: „Einen Ausweg aus der Krise scheint keiner zu kennen. Der Verein macht derzeit dem Hamburger SV heftige Konkurrenz, der noch in Führung liegt, mit der längsten Trainerentlassung in der Bundesliga- geschichte, monatelang wurde 2006/07 dort über Thomas Doll diskutiert. Doll war sehr beliebt bei den Fans und auch Babbel muss sich keine Trainer-Raus-Chöre anhören.“ Dass er noch im Amt ist, sei aber eher dem Umstand geschuldet, dass man sich noch auf keinen Nachfolger einigen konnte. Manager Heldt nannte die Leistung in Leverkusen „unfassbar“. Dem antwortet Dörries: „Für andere in Stuttgart ist es nicht unfassbar, sondern auch eine Folge der Transfers von Heldt.“ Zudem sei „der Vereinsführung irgendwie das Gespür abhanden gekommen, wer zusammenpasst. „Nur wenige Spieler können mit Misserfolgen umgehen, viele sind als sehr junge Leute mit der deutschen Meisterschaft 2007 sozialisiert worden und haben in der Folge Rundumsorglosverträge bekommen. Manchmal hat man den Eindruck, es ist eine Mannschaft ohne Gefühl.“ Natürlich bestünde wenig Anlass zur Freude, aber genauso wenig erlebe man Momente der Wut.

In der Berliner Zeitung spricht Matti Lieske aus, was alle denken, die die Tabelle vor Augen haben: „Was hat Markus Babbel doch für ein Glück, dass es Hertha BSC gibt. Nur elf Punkte hat sein VfB Stuttgart nach 14 Spieltagen geholt, am Wochenende eine erschütternde Niederlage in Leverkusen erlitten und insgesamt den schlechtesten Saisonstart der Schwaben seit 35 Jahren hingelegt. Das reicht normalerweise, um gleich mehrfach entlassen zu werden, doch am Montag früh hat Markus Babbel ungerührt das Training beim VfB geleitet. Es relativiert sich eben alles, wenn sechs Punkte dahinter und hoffnungslos abgeschlagen eine Berliner Mannschaft steht.“ Über die Gründe für die eigene Schwäche könne man in Stuttgart eher rätseln, wahrscheinlich sei es dann doch der Trainer-Lehrgang des DFB, den Lieske „albern“ nennt. Und Horst Heldt trage wenig zur Klärung bei: „Die Äußerungen des Sportdirektors erschöpfen sich in letzter Zeit meist in einem wütenden Gestammel, ganz das Gegenteil zur noblen Gelassenheit des Teamchefs. Der VfB sollte Heldt einfach mal zur Kur schicken, solange bis Babbel den Karren wieder flott hat.“

Beliebig und austauschbar

Thomas Haid berichtet von Uneinigkeit der Verantwortlichen in der Trainerfrage (Stuttgarter Zeitung). Es gebe eine Pro-Babbel-Fraktion, die durchaus eingesehen habe, dass sich nach dem Leverkusener Spiel die Vorzeichen noch einmal geändert hätten. Ihre Bedenken seien aber, dass es nach einem Wechsel noch schlimmer werden könne. Die Contra-Babbel-Fraktion (oder muss man sagen: Anti?) befürchtet, dass es in der Winterpause schon zu spät sein könnte für einen Wechsel. Auch in der Frage der eventuellen Nachfolge herrsche Unentschlossenheit: Franco Foda hier, Christian Gross da.

Heiko Hinrichsen benennt in der Stuttgarter Zeitung noch einmal die Probleme: „Babbel gelang es trotz aller Rotation (oder gerade deswegen?) nicht, der Mannschaft ein Gesicht zu geben. Es fehlt auf dem Platz der Anführer – und so bleibt im VfB-Spiel vieles beliebig und austauschbar. Daher macht es etwa im Sturm keinen Unterschied, ob nun Ciprian Marica, Pawel Pogrebnjak, Julian Schieber oder Cacau spielen – deutliche Akzente setzt keiner von ihnen. Ganze elf Tore hat der VfB bisher geschossen, so dass sich Horst Heldt beim Thema Angriff inzwischen gar in Sarkasmus flüchtet. ‚Es ist doch egal, wer bei uns die Tore nicht schießt‘, erklärt der Manager.“

Reinhard Sogl denkt schon an Weihnachten und vielleicht eine vorzeitige Bescherung für den Trainer (FR): „Für Babbel tickt die Uhr. Sollte der Tabellendritte der Vorsaison Samstag zuhause gegen den direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt VfL Bochum wieder eine so unterirdische Leistung abliefern wie in Leverkusen, wird es richtigen Weihnachtszirkus am Wasen geben. Mit Horst Heldt als Knecht Ruprecht.“

Selbstbewusste Lässigkeit

Daniel Theweleit widmet sich dagegen dem Tabellenführer, der weiter ohne Niederlage durch die Saison stapft (Berliner Zeitung): „Der Charakter einer echten Spitzenmannschaft zeigt sich oftmals in den kleinen Dingen. In der selbstbewussten Lässigkeit, mit der die Spieler den Ball stoppen, in dem Mut, der ein Dribblings begleitet, und in der Lust, mit der auch die rustikalen Aktionen ausgeführt werden. Niemand hat diese Haltung bislang so ausgeprägt gezeigt wie Bayer Leverkusen beim überragenden 4:0 gegen den VfB Stuttgart. (…) Bester Mann auf dem Platz war Toni Kroos. Der 19-Jährige hatte drei Treffer vorbereitet, zwei Mal den Pfosten getroffen, und zahllose Aktionen, die nach ganz großem Fußball rochen. Seinen Wunsch über die Saison hinaus in Leverkusen zu bleiben, statt vertragsgemäß zum FC Bayern zurückzukehren, verbirgt er kaum noch. Es macht Spaß bei diesem Klub. Die Werkself ist weiterhin ungeschlagen und hat die Schwäche der Konkurrenz genutzt.“

Comeback des Meisters der Effektivität

Kaum gewinnt Bayern 3:0 in Hannover, sind die Fans zufrieden, berichtet Christian Otto im Tagesspiegel: „Als Bastian Schweinsteiger und Mario Gomez mit nacktem Oberkörper aus der Fankurve zurückgekehrt waren, sah alles wie immer aus. ‚Deutscher Meister wird nur der FCB‘, sangen die Anhänger der Münchener und hatten ihre Spieler nach der einseitigen Partie schon wieder ganz schön lieb. Thomas Müller nach 19 Minuten, Ivica Olic kurz nach der Halbzeit und Gomez Sekunden vor dem Schlusspfiff trafen für eine Mannschaft, die sich gegen die tapfer kämpfenden Hannoveraner keine Blöße gab. Vor allem den starken Innenverteidigern Martin Demichelis und Daniel van Buyten gelang ein fehlerloser Auftritt. Es war der Meister der Effektivität, der gestern vor 49.000 Zuschauern sein Comeback gegeben hat. (…) Dass sich ein Mann wie van Gaal zu internen Streitereien öffentlich und auch noch wortreich äußert, spricht für das zurückgekehrte Selbstvertrauen des zuletzt unter Beschuss geratenen Trainers. Sein offensiver Auftritt vor den vielen Mikrofonen, sein gieriger Blick auf die aktuelle Tabelle und sein beherzter Umgang mit der Personalie Toni sollte die Konkurrenz an der Tabellenspitze aufhorchen lassen.“

Iris Hellmuth hat besonders Ivica Olic beobachtet (Sueddeutsche.de): „Ivica Olic ist der Fußballer der Stunde, der Mann, der den Karren gerade aus dem Dreck ziehen könnte. Er ist keiner dieser Ballkünstler, dem die Seele verzagt, sobald die Umstände schwer wiegen; im Spiel gegen Hannover 96 rannte er die linke Außenlinie rauf und runter, als wäre das sein persönlicher Fitnessparcours, er bereitete ein Tor vor und köpfte das zweite gleich selbst ein; es war der gerechte Lohn für einen, der auf dem Platz nichts anderes ist als daneben – einfach nur er selbst.“ Olic gebe nie Bälle verloren, und diese Tatsache beschreibe ihn auch schon umfassend. Genauso einfach wie Fußball ist, spiele Olic eben. Bei den Fans sei er deswegen natürlich beliebt: „Dass ein Spieler sich die Lunge aus dem Hals rennt, dass er alles gibt für einen Sieg, so wie sie selbst, die so viel Geld für ihre Leidenschaft bezahlen, Woche für Woche.“ Hellmuth nennt Olic einen „Teilchenbeschleuniger, der die eigene Mannschaft mitzieht, der Funken sprüht, die überspringen. Von Olic auf die Fans – und von dort zurück auf das Spiel. Olic rennt bis zu zwölf Kilometer pro Spiel, in der Saison kommt er damit insgesamt auf mehr als 500 – das ist ein Spitzenwert. So einer muss sich keine Sorgen um die Stellung in der Mannschaft machen, weder auf noch neben dem Platz.“

Vielleicht hat Louis van Gaal nach noch mehr Rotationsversuchen als man sie Markus Babbel je zugestanden hätte nun doch eine Struktur gefunden, vermutet Frank Hellmann in der FR: „Erstmals hat es den Anschein, als habe sich der unberechenbare Cheftrainer, dessen Pedanterie die meisten Angestellten überaus nerven soll, auf Personal, Taktik und System vorläufig festgelegt. Letzteres stellt ein 4-4-2 aus einer ‚guten Ordnung‘ dar, wie van Gaal ausdrücklich belobigte.“ Wer hatte van Gaal letztens noch mal ein 4-4-2 empfohlen?

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