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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

Die Lage in Südafrika kurz vor der WM

Frank Baade | Freitag, 4. Dezember 2009 1 Kommentar

Heute werden die Vorrunden-Gruppen der WM 2010 in Kapstadt ausgelost, die Presse betrachtet die Fortschritte und Schwachpunkte in Südafrika sowie den altersmilde gewordenen FIFA-Chef

Immer Optionen offen halten

Zur Verfahrensweise bei der Auslosung, die erst am Mittwoch festgelegt wurde, fragt Jens Weinreich (Financial Times Deutschland) berechtigt: „Warum werden derartige Regelungen erst zwei Tage vor der WM-Auslosung getroffen, warum steht das nicht vor Beginn der WM-Qualifikation fest? Klare Regelungen passen nicht zur Fifa. Blatter will sich immer Optionen offen halten. Deshalb wurden auch die Play-Off-Regeln in Europa so spät festgesetzt. Und in Kapstadt wandte die Fifa nun wieder ein anderes System an als bei den vergangenen Weltmeisterschaften. Vor vier Jahren geschah dies auch erst kurz vor der Auslosung.“

Udo Muras erinnert in der Welt an das bisherige Losglück der Deutschen bei Weltmeisterschaften und zählt die Vorrundengruppen seit 1966 durch. Warum ausgerechnet die Gruppe von 1986 mit Schottland, Uruguay und Dänemark als einziger Ausreißer der ansonsten eher einfachen Konstellationen gewählt wird, ist nicht ganz klar. Schließlich sind die Schotten seit Langem schon – wie auch damals – recht limitiert und das Uruguay von 1986 taugte bestens, seinem Ruf als Treter-Truppe gerecht zu werden. Dänemark hingegen war tatsächlich der „erwartet schwere Gegner“, wie sich zeigte, aber ein starker Gegner allein kann doch noch kein Lospech bedeuten.

Stand der Dinge in Südafrika

Zum ersten Mal findet die WM und überhaupt ein sportliches Weltereignis in Südafrika statt, wobei man nicht verschweigen sollte, dass Südafrika bereits eine Rugby-WM erfolgreich ausrichtete. Rugby ist in Südafrika traditionell der Sport der Weißen, Fußball jener der Schwarzen, so gibt es derzeit auch nur einen einzigen weißen Fußballnationalspieler in Südafrika, der dann auch gleich an der Auslosung heute Abend teilnehmen wird. Doch natürlich sind die Probleme in Südafrika enorm, die Fifa rühmt sich des Öfteren, dass der Fußball dazu beitragen könne, sie zu verringern. Wie ist die Lage jetzt in Südafrika, kurz vor der WM?

Südafrika sei immer noch ein Entwicklungsland, befindet Christian Putsch (Welt). Dazu gehörten Problemfelder wie Kriminalität, unsichere Stromversorgung und mangelhafte Infrastruktur. Nun werde unter solchen Bedingungen eine WM ausgetragen. „Die Entscheidung war richtig, ja sogar notwendig, wenn die Fifa wirklich das globale Spiel vertritt, wie sie behauptet – mit 54 Mitgliedern ist der afrikanische Verband CAF die größte Fifa-Konföderation. Das Turnier wird eine 30-tägige Imagekampagne für das Land. (…) Doch der Verband würde gut daran tun, die Erwartungen an das Turnier nicht zu übersteigern. Allzu optimistisch äußert sich Sepp Blatter in diesen Tagen über den Beitrag, den sein Verband an der Reduzierung von Armut und Kriminalität leisten könne. Die Fifa ist keine Regierung, auch wenn sie das Budget so manch afrikanischer Staaten übertrifft. Nach der WM zieht ihr Tross weiter gen Brasilien – soziale Ungleichheiten, die über Jahrzehnte entstanden sind und ihre Folgen lassen sich nicht durch ein Sportereignis korrigieren. Am Ende ist es ein Turnier, 30 Tage lang.“

Der Tagesspiegel befragt Siegmar Schmidt, Professor für Politikwissenschaft, zum Thema, welche Auswirkungen die WM im Vorfeld und in ihrer Folge auf die Situation im Land und auf ganz Afrika hat und haben könnte, unter anderem diese: „Einige lokale Bürgerinitiativen haben zum Beispiel die Stadionbauten ausgenutzt und die Medienöffentlichkeit auf gravierende Mängel in ihren Communities gelenkt. Wenn Geld für ein Stadion da ist, so das Argument, müsste doch auch Geld für eine Schule da sein. In manchen Fällen wurde dann tatsächlich beides gebaut. Die Regierung hatte, da sie unter enormem Zeitdruck steht, kaum eine andere Wahl, als auf die Forderungen einzugehen.“

Wolfgang Drechsler listet im Tagesspiegel die bereits erfolgten Verbesserungen und die noch bestehenden Schwachpunkte in Südafrika auf. Positiv hätten sich entwickelt:

+ die Stimmung im Land
+ die Stadien
+ der Kampf gegen AIDS
+ die Wirtschaftskraft

Kaum Verbesserung gibt es in folgenden Bereichen:

- die Flugpreise
- der Transport der Fans
- die Sicherheit
- und zu schlechter Letzt: Bafana Bafana, das Fußballteam Südafrikas.

Alarmanlagen und Stacheldrähte

Zum oben genannten Thema Sicherheit schreibt Maik Rosner in der SZ von den Protesten, die unter anderem die in Deutschland getätigte Forderung, die Spieler sollten schusssichere Westen tragen, hervorgerufen hatte. Empört hätten die Südafrikaner solche Maßnahmen von sich gewiesen, schließlich sei die Nation „kein Land von Mördern und Vergewaltigern“. Dass es aber tatsächlich nicht so unproblematisch ist wie gewünscht, wisse man selbst: „Die Menschen sind sich der hohen Kriminalität im Land bewusst, hohe Zäune und Mauern, Alarmanlagen und Stacheldrähte zeugen von der allgegenwärtigen Furcht. Ein Großteil der 50 Morde pro Tag in Südafrika ereignet sich da, wo die Not am größten und Wellblech die Perspektive ist. Kapstadt hat derweil für die Gruppenauslosung und die WM aufgerüstet. 1200 Kameras soll es allein an der Waterfront geben, dem Touristenviertel am Hafen. Von Helikoptern bis hin zu Jetskis reicht die Armada der Polizei, mehr als 1500 Kräfte sind allein für die Auslosung am Freitag in der Stadt. Die Kapstädter sind sich sicher, dass nichts passieren wird in den Gegenden, die für die Fans vorgesehen sind, auch nicht während der WM. Ein Werbeproduzent meint: ‚Die größte Gefahr sind dann wahrscheinlich die Hooligans aus Europa.‘“

In den Elendsvierteln noch nicht angekommen

Jürgen Ahäuser fährt von den schönen für Touristen vorgesehenen Vierteln etwas weiter und blickt auf die Zone der Armenviertel (FR): „Kaum zehn Autominuten von der Traumkulisse entfernt beginnt sie. Und sie wird gerne ausgeblendet. Wer den Flughafen verlässt, sollte aufpassen, dass er nicht über eine der Autobahnbrücken direkt in das nicht zu übersehende Elend fällt. Khayelitsha ist das drittgrößte Township Südafrikas und das größte von Kapstadt. Rund 1,5 Millionen Menschen, so genau weiß das niemand, leben in Hütten aus Pappe, Wellblech und Holz. In der Neuen Heimat der Schwarzen, so lautet tatsächlich die Übersetzung, herrschen unvorstellbare Armut, Gewalt und Straßengangs. Von einer Besichtigung ist dringend abzusehen. Die einsetzende Politur im Land ist hier und in den anderen Elendsvierteln Südafrikas noch nicht angekommen. Wenn vom vermutlich glanzvollen Tanz um den goldenen Ball nach dem südafrikanischen Winter 2010 auch etwas in die Townships abstrahlt, dann hat die Regenbogen-Nation tatsächlich einen Sieg errungen.“

Ebenfalls etwas weiter geht der Blick Andreas Rüttenauers, wenn er die Lage in Südafrika ausführlich und lesenswert für die taz beschreibt. „So viele Hoffnungen waren mit der WM verbunden. Die Bewerbungsunterlagen seien voller Versprechungen gewesen. Doch die seien verschwunden. Einige wenige hätten sich bereichert und das Land habe sich an die Fifa verkauft, ohne an die eigene Bevölkerung zu denken“, zitiert er einen Gewerkschafter.

Etwas mehr Licht in die mirakulöse Makana Football Association, den Fußballverband der Gefängnisinsel Robben Island, bringt Thomas Scheen in der FAZ in seinem Artikel „Keimzelle Robben Island“.

Märchen von der Weltverbesserungsanstalt

Zunächst berichtet Jens Weinreich in der Financial Times Deutschland davon, wie Sepp Blatter auf die Vorwürfe reagierte, er habe sich Irland gegenüber respektlos verhalten: „Was tat Blatter am Abend? Das einzig Richtige. Er entschuldigte sich öffentlich. Mehrfach sogar. Das zeugt von Größe. Die Kritik der Iren an seiner Person wird er sich dennoch merken, Blatter ist ein bisschen nachtragend.“

In der FR befasst sich Jens Weinreich dann mit Blatters symbolbefrachtetem Auftritt auf Robben Island vom Donnerstag und dem Image des Fußballs, das damit transportiert werden solle: „Fußball ist Freiheit. Und die Fifa steht auf der Seite der Guten. Diese Botschaft wird das nächste halbe Jahr bis zur WM dominieren. Fifa-Offizielle reagieren empfindlich, wenn man auch nur den Hauch einer Frage an sie richtet, ob sie es mit diesen ständigen politischen Anspielungen, diesen Märchen vom Fußball als Weltverbesserungsanstalt nicht übertreiben. Und schließlich: Ob es nicht zur durchschaubaren Strategie gehört, den Friedensnobelpreis für die Fifa und ihren Präsidenten Joseph Blatter zu akquirieren.“ Dass Blatter diesem Vorhaben nicht abgeneigt ist, schildert Weinreich ebenfalls: „Sollte er doch persönlich für den Friedensnobelpreis auserwählt werden, könne er diese Auszeichnung nicht ablehnen. Blatter muss grinsen: ‚Würden Sie das ablehnen,‘ fragt er seinen Gegenüber. ‚Das gehört sich doch nicht.‘ Natürlich nicht.“

Apartheid zwischen Spiel und Kommerz überwunden

Trefflich benennt Wolfgang Hettfleisch (FR) das undurchsichtige Wirken Blatters: „Mögen Gottes Ratschlüsse unergründlich sein, die der grauen Ritter an König Sepps Tafelrunde sind garantiert unergründlicher. Der Fußball-Mandela aus Visp, der die schreckliche Apartheid zwischen Spiel und Kommerz überwinden half, hatte wohl ein schlechtes Gewissen. Erst war Blatter Henry beigesprungen, dann hatte er über den Versuch der Iren gespottet, noch irgendwie ins WM-Turnier zu rutschen. Was lag für den großen Illusionisten aus dem Wallis näher, als die PR-Leichen gleich wieder verschwinden zu lassen. Henry soll sühnen, die Iren sind wieder liebenswerte Verlierer. Und die Franzosen fallen bei der Auswahl der WM-Dickschiffe vor der Auslosung in einem Verfahren durch, das in etwa so transparent ist wie die Verhörpraxis in Guantanamo.“

Roland Zorn nutzt den Weichzeichner, wenn er in der FAZ Sepp Blatter unter der Überschrift „Altersmilde, aber keine Spur amtsmüde“ portraitiert. Blatter sei weit entfernt davon, noch den alten Wadenbeißer zu geben, der er zu Beginn seiner Amtszeit gewesen sei. Damals habe er „pausenlos Zeichen seines Machtbewusstseins und seines erratischen, oft unstrukturierten Reformeifers“ gesendet. Er sei ein „skandalumwitterter, ungestümer Angreifer, wie einst auf dem Fußballplatz“ gewesen. Doch spätestens seit Blatter die 70 Lebensjahre erreicht hat, sei er „mehr als nur eine Spur milder und müder geworden“. Den Rummel um die kommende Auslosung habe er „nicht mehr wie ein Generalsekretär, sondern überaus präsidial“ nicht wie früher als seine eigene Bühne genutzt. „Mag Blatter längst nicht mehr der wild entschlossene Macher und raffinierte Taktierer von gestern sein, als oberster Repräsentant und Souverän der Fifa beeindruckt der vielsprachige Charmeur nach wie vor. Weil er für seinen Fußball lebt, strebt er noch eine letzte Amtszeit an. Gelassen forderte er die Journalisten nach einer Pressekonferenz auf: ‚Genießen Sie das Spiel, wichtiger noch, genießen Sie Ihr Leben.‘ Hatte er da etwa über sich selbst gesprochen?“

In seinem Blog berichtet Jens Weinreich zur Zeit mehrmals täglich aus Südafrika.

Kommentare

1 Kommentar zu “Die Lage in Südafrika kurz vor der WM”

  1. Martin
    Freitag, 4. Dezember 2009 um 23:01

    „Warum ausgerechnet die Gruppe von 1986 mit Schottland, Uruguay und Dänemark als einziger Ausreißer der ansonsten eher einfachen Konstellationen gewählt wird, ist nicht ganz klar.“

    Immerhin wurde die Deutsche Gruppe E damals „The Group of Death“ genannt. Daß Uruguay nur ein Treter-Truppe war, tja…im Nachhinein betrachtet ganz sicher, aber die Urus galten schon als ein Dark Horse für den Titel. Die waren damals amtierende Südamerikameister und Franz Beckenbauer sagte vor dem Turnier, „wer zwei Tore gegen Uruguay macht, wird auch Weltmeister“. Leider für uns Dänen hat er (auch damals) nicht recht gehabt.

    Als WM-Neuling wurde Dänemark in schlechtesten Pot gestuft, obwohl sie damals mitte 80′er wohl einer der stärksten Mannschaften im Europa waren. Mit den Südamerikamester, den Vizeweltmeister und die Dänen konnte mann schon von einer Horror-gruppe sprechen.

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