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Wie aus der Geisterbahn enstprungen

Frank Baade | Donnerstag, 17. Dezember 2009 1 Kommentar

Jens Lehmann und seine endlosen Eskapaden sind weiterhin ein Thema in der Presse, Lehmann sei schlecht beraten, nicht beraten zu sein, Kahns Rat zum Rücktritt vielleicht keine schleche Idee

Jan Christian Müller nennt den Delinquenten in seinem Kommentar in der FR orientierungslos bezüglich seiner Teamtauglichkeit: „Sein Verhalten hat sich zunehmend zu einem rein Ich-motivierten Habitus entwickelt.“ Leistungshemmend sei das für seine Mitspieler und in Mainz nun sogar Punkte kostend gewesen. „Lehmann stellte sich in zunehmender Regelmäßigkeit außerhalb der Gruppe, er ist dafür aufgrund Persönlichkeitsstruktur und ausgeprägtem Egoismus zwar hauptverantwortlich, aber er erhielt von den ihm viel zu lange in Demut verbundenen Verantwortlichen beim VfB Stuttgart eben auch keinen Kompass, der ihm Grenzen gesetzt hätte. Es fehlte in Stuttgart an einem durchsetzungsfähigen Ratgeber, wie er im erfahrenen Trainer Christian Gross nun wohl gefunden worden ist. Gross wird, anders als der überforderte Vorgänger Markus Babbel und der zwischen Nachsicht und Strenge schlingernde Manager Horst Heldt, weitere Eskapaden nicht dulden.“ Dies sei Lehmanns letzte Chance, sich seinen sportlichen Ruf zu bewahren. Als Persönlichkeit solle er aber niemandem zum Vorbild in Erinnerung bleiben.

Hat er keinen Berater, keinen Freund?

Im FAZ-Blog wundert sich Peter Körte über mangelnde Weisheit Lehmanns: „Kahns Rat, Jens Lehmann solle zurücktreten, ist gut und richtig, weil er auch ohne Kahns kleinliche Motive Sinn ergibt. Das Timing wäre zwar nicht mehr optimal, aber immerhin käme Lehmann einem Rausschmiss zuvor, den man ihm bei dem geringsten Verstoß angedroht hat. Klug genug ist er ja eigentlich, um zu begreifen, dass er für sich selbst eine solche Wohlverhaltensgarantie nicht abgeben kann. Aber Klugheit allein reicht hier wohl nicht. (…) Niemand hat Lehmann zum Bleiben gezwungen. Sanfter Zwang war dagegen nötig, damit er sich nach der Euro 2008 überhaupt aus der Nationalmannschaft verabschiedete. Hat er keinen Berater, keinen Freund, der ihm erklärt hat, dass es nicht nur beim Absprung, beim Herauslaufen auf den richtigen Sekundenbruchteil ankommt?“ Gleichzeitig sind für Körte die Stuttgarter nicht gänzlich unschuldig daran, dass Lehmann seine Grenzen immer weiter setze: „Natürlich hat er auf verquere Weise Recht, wenn er die 40.000 Euro für seine Kritik an der Vereinsführung nicht bezahlen will. Denn ein Vorstand, der einen Angestellten (und Wiederholungstäter) für seine Kritik nur mit einer, gemessen am Einkommen, wenig schmerzhaften Geldstrafe bedenkt und die Ahndung seines mannschaftsschädlichen Auftritts in Mainz dem DFB überlässt, anstatt ihn sofort zu suspendieren oder rauszuschmeißen, ist zu schwach, als dass man seine Autorität anerkennen und ihm das Geld überweisen möchte. Man müsste dann allerdings auch, um ein Paradox zu vermeiden, die Konsequenz ziehen und sich ganz aus dem Geltungsbereich dieser schwachen Autorität entfernen.“

Zur tiefgreifenden Veränderung fähig?

Dass der neue Trainer in Stuttgart sich nicht derart die Fäden aus der Hand nehmen lassen wird, vermutet Jan Christian Müller (FR): „Mehrfach wiederholte Gross, der Erfolg der Mannschaft stehe ‚über allem‘. Man darf das getrost als dringende Warnung an die Adresse des Torwarts interpretieren. Aber Gross weiß angesichts unerfahrener Leute in der zweiten Reihe auch um die Bedeutung eines erfahrenen Keepers im Abstiegskampf. Er hat Lehmann noch nicht vollends aufgegeben: ‚Ich habe ihn in den ersten Gesprächen als differenzierten Menschen kennen gelernt und gehe davon aus, dass er einen wunderschönen Abschluss seiner Karriere haben will.‘ Dafür wird Jens Lehmann sein Verhalten im letzten halben Jahr seiner Karriere tiefgreifend verändern müssen. Es gibt nicht viele, die ihm das zutrauen.“

Extremist, Eigenbrötler, Einzelkämpfer

Ausführlich beschäftigt sich Oskar Beck in der Stuttgarter Zeitung mit dem „ganz normalen Torwart“, auf die fußballerische Legende anspielend, dass Torhüter und Linksaußen nun mal nicht ganz normal seien. Lehmann geriere sich zur Zeit wie „ein aus der Geisterbahn Entsprungener“ und bestätige damit die Annahme, dass man als Torwart „einen Sprung in der Schüssel“ haben müsse. „Seit einer guten Woche sieht dieser Verwegene nur noch Rot. Dabei war Lehmann bis vor kurzem ein völlig normaler Torwart. Wenn ein Mitspieler nicht spurt, reißt er dem den Ohrenwärmer vom Kopf, oder er feuert den Schuh eines Gegenspielers durchs Stadion, knöpft sich den Schiedsrichter oder den nächstbesten Schleusenwärter vor und fliegt mit dem Hubschrauber zum Training ein – das sind alles Dinge, ohne die ein Torwart kein Torwart wäre.“ Ein Torwart benötige nun mal ein stabiles Selbstbewusstsein, denn Torhütersein sei „Extremsport. Wie Bergsteigen. Die Luft da oben ist dünn, und der Grat ist schmal. Wer einen Fehler macht, ist der einsamste Mensch.“ Denn: „Der Torwart ist allein – und treibt sein Unwesen als Extremist, Eigenbrötler, Einzelkämpfer oder Egoist, geimpft mit dem Vitamin E der Einzelhaft.“ Vulkanartige Ausbrüche aus diesem Gefängnis seien da unvermeidlich. Und Beck kann auch noch mit einer netten Episode aus dem eigenen Fundus aufwarten, um dies zu untermauern: „Sportsfreund B. kann da mitreden. Manchmal war B.’s Adrenalinschub günstig, zum Beispiel bekam er im Kasten der deutschen Journalistenmannschaft gegen die alten WM-Kanonen von 1974 beim Stand von 8:11 im Elfmeterschießen eine solche Wut, dass er mit einer mirakulösen Robinsonade einen Unhaltbaren von Gerd Müller von der Linie kratzte und der Bomber verzweifelt schrie: ‚Verrückter!‘ Nur Verrückte werden Torwart. (…) Hat Jens Lehmann einfach nur ein Rad ab? Arsène Wenger, sein ehemaliger Trainer beim FC Arsenal, hat es einmal so ausgedrückt: ‚Er ist immer dazu bereit, für den Sieg zu sterben.‘ Also ein ganz normaler Torwart.“

Jens Lehmann bei Kerner

Und verpassen Sie nicht sparen Sie sich heute Abend Jens Lehmanns – allerdings mit der Vereinsführung abgesprochenen – Auftritt in der Talkshow von Johannes B. Kerner; selbst jener Mann, dem Jens Lehmann in Mainz die Brille entwand, soll anwesend sein: Wie Lehmann sich dort äußert, weiß unter Anderem die Hamburger Morgenpost.

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Kommentare

1 Kommentar zu “Wie aus der Geisterbahn enstprungen”

  1. Johan Petersen
    Samstag, 19. Dezember 2009 um 11:54

    Das ist doch ein völlig veraltetes Torwart-Bild, das der Beck da zeichnet. Man möchte sagen, ein Klischee. Zum Glück gibt es mit Adler und Neuer und anderen mittlerweile eine neue Torwart-Generation, die sich als Teamspieler versteht.

    Scheint in der (Lokal)Presse aber noch nicht angekommen zu sein.

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