indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Bayer vermeidet den Verlust der Herbstmeisterschaft

Oliver Fritsch | Montag, 21. Dezember 2009 4 Kommentare

Bei Bayer denkt man das Scheitern mit. Vielleicht ändert es sich unter Jupp Heynckes

Stellvertretend für die meisten geht Klaus Bellstedt (stern.de) in und korrigiert sich: „Als Bayer Leverkusen Jupp Heynckes aus dem Hut zauberte, schüttelten viele Experten den Kopf. Heynckes, das Auslaufmodell, ein Relikt vergangener Tage, und auf der anderen Seite die junge, launische Bayer-Elf. Ein Experiment, das zum Scheitern verurteilt schien.“

Auch die Fachkenntnisse der „Vaterfigur Heynckes“ (FR) stächen heraus. In einer ausführlichen Analyse der Mannschaftstaktik hebt Daniel Börlein (spox) den kleinen Unterschied zwischen Bayern und Bayern hervor: „In Bayers Spiel gibt es eine klare Maxime: Es wird extrem ballorientiert verteidigt und weniger in Räumen oder Zonen. Darin unterscheidet sich die Bayer-Taktik beispielsweise signifikant vom Auftreten des FC Bayern, der – typisch holländisch – versucht, möglichst alle Bereiche des Platzes zu jeder Zeit zu kontrollieren.“ So viel Interesse am Detail ist selten im deutschen Sportjournalismus.

Andere Zeitungen betonen die Bedeutung Sami Hyypiäs, des 36-jährigen „alterslosen“ (FR) finnischen Zugangs aus Liverpool. Der Tagesspiegel macht die Rechnung auf: „Heynckes + Hyypiä = Herbstmeister“ und weist darauf hin, dass bei der einzigen Niederlage Bayers unter Heynckes, dem Pokal-Aus in Kaiserslautern, Hyypiä krank war. Und als er in Schalke ausgewechselt werden musste, wurde aus einem 2:0-Vorsprung ein 2:2. Hyypiä dirigiert nicht nur lässig die Leverkusener Abwehr, er sprach auch den oberlässigsten Satz der Hinrunde: „The Bundesliga is a good league (Pause), but the Premier League is a bit more demanding.“

Frank Nägele (Kölner Stadt-Anzeiger) hebt den Leverkusener Etappensieg auf ein noch breiteres Fundament: „Das Erstaunliche war nicht die Leistung von Stars wie René Adler, Stefan Kießling und Simon Rolfes. Die heimlichen Helden heißen Daniel Schwaab, Eren Derdiyok, Stefan Reinartz und natürlich Toni Kroos. Spieler um die 20, von denen keiner erwarten durfte, dass sie monatelang Stützen des Teams sein würden.“

Nägele ergänzt aber auch: „Natürlich ist dieses Team immer noch nicht Favorit auf den Gewinn des Deutschen Meistertitels.“ So viel Defätismus muss also sein, schließlich kennt man die Gesänge auf das neue Sieger-Leverkusen noch aus dem Vorjahr, als Bayer unter Bruno Labbadia im November Erster war – und am Ende Neunter wurde. Auch der Herbstmeister 2008, die TSG Hoffenheim, stürzte um sechs Plätze. Der WAZ gelingt heute die treffendste Schlagzeile, sie greift zur doppelten Verneinung: „Bayer vermeidet den Verlust der Herbstmeisterschaft“.

Mit einer Beobachtung am Rande schließt Andreas Lesch (Berliner Zeitung) sein Hinrundenfazit. „Frohe Weihnachten wünscht die Werkself“, hat er auf einem Plakat gelesen, das die Bayer-Spieler ihren Fans nach Abpfiff präsentierten. „Dass die Fans diesen Unsinn brav über sich haben ergehen lassen“, schreibt Lesch, „kann nur einen Grund haben: Sie sind abgestumpft.“ Und mahnt angesichts dieser „Bierhoffisierung der Liga“ an die alte Aufgabenteilung: „Fußballer spielen Fußball, Fans halten Plakate. Da bleibt nur eins: Die Fans müssen ebenfalls aus der Rolle fallen – und auf den Tribünen anfangen zu kicken.“

freistoss des tages

Kommentare

4 Kommentare zu “Bayer vermeidet den Verlust der Herbstmeisterschaft”

  1. Matthias
    Montag, 21. Dezember 2009 um 20:00

    Danke Oliver,

    für den Lehmann-freien IF. Dafür heute sehr Bayer-lastig; gibt’s in Zukunft nur noch monothematische Presseschauen? 😉

    Was ich eigentlich sagen wollte: Wirklich fundierte und gut aufbereitete Taktikanalyse auf spox. Wo gibt’s denn sowas? Hut ab!

  2. tafelrunde
    Montag, 21. Dezember 2009 um 23:05

    Bin ebenfalls tief beeindruckt von der Taktikanalyse auf spox. Das hätte man doch eher den Verantwortlichen auf dieser website zugetraut bzw. unterstellt bzw. erwartet;-) Also, auf geht’s!
    Getreu dem Motto: Viel Aufwand, wenig Ertrag. Aber schön ist’s!

  3. laterneversooner
    Mittwoch, 23. Dezember 2009 um 00:23

    was allerdings die überaus sinnentleerten bemerkungen des herrn lesch auf dieser seite zu suchen haben, bleibt mir ein rätsel…
    die „Bierhoffisierung“ mag zwar ein begriffsschmankerl sein, mit dem man sich derzeit billig, aber sehr durchschaubar in die reihen der pseudoeloquenten fußballkritiker einschleichen kann, -ha, für wie dämlich haltet ihr eigentlich den konsumenten des stadionfußballs- aber ganz ehrlich – in jedem erdachten und erträumten fußballaufsatz, den man niemals in der schule oder im studium hat schreiben dürfen, hätte man für diese analyse ein glattes „thema verfehlt“ und einen mittelprächtigen, defensiven sechser erhalten – und das mit recht!

  4. Uncle Jack
    Donnerstag, 24. Dezember 2009 um 02:43

    Auch ich bin von der spox-Analyse immens beeindruckt und frage mich, warum es so etwas nicht viel öfter zu lesen gibt. Oder warum es z.B. keine DVDs mit wirklich nachdenklichen Analysen ‚großer‘ Fußballspiele gibt – da könnte man ja wahrscheinlich auf die footage verschiedener Kameras usw. zurückgreifen, das Spiel zeitweilig anhalten, usw. usf. (Übrigens: Soviel Interesse am Detail ist m.E. nicht nur im deutschen Sportjournalismus absolut unüblich.)

    Da ja angeblich die Nachfrage das Angebot regelt, fragt man sich, was für ein winziger Bruchteil der Leute, die sich für Fußball (oder andere Mannschaftssportarten)
    ‚interessieren,‘ sich WIRKLICH für Fußball (oder andere Mannschaftssportarten) interessieren und also nicht lediglich ein Gemeinschaftserlebnis suchen und/oder einem dramatischen Ereignis beiwohnen wollen.

    Dem indirekten freistoss jedenfalls einen ganz besonderen Dank für diesen Hinweis und Link und alles Gute für das neue Jahr 2010.

    Uncle Jack

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