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Bundesliga

Eine Spur zu naiv

Frank Baade | Dienstag, 22. Dezember 2009 2 Kommentare

Michael Oenning muss sein in sich gespaltenes Team verlassen, Dieter Hoeneß‘ Verpflichtung als Manager ist eine Degradierung für Armin Veh, Schalke bleibt trotz neuer Stärke kein Meisterkandidat

Doktrin der neuen Fußballkultur gescheitert

Michael Oenning ist in Nürnberg entlassen und mit ihm der Nürnberger Versuch gescheitert, nur mit dem alten Kader und jungen Neuzugängen die Bundesliga zu halten.

Obwohl ein ähnlich schlechter Saisonverlauf, wie er jetzt erlebt wird, erwartet werden musste, habe Michael Oenning selbst auch Fehler gemacht, analysiert Hans Böller im Tagesspiegel: „Diesmal war man nicht an strukturellen Defiziten gescheitert, einen zähen Abstiegskampf musste man realistisch einkalkulieren, inklusive der Möglichkeit, dass vieles schiefgehen könnte. Gescheitert ist der Versuch in der Teamkabine – dort hat die aktuelle Krise ihren Ursprung.“ Oenning habe immer mehr die Kontrolle über die Mannschaft verloren, zumindest die Führungsspieler erreichte er immer weniger. „Es ging um Grundsätzliches: um interne Zweifel daran, ob das Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit dieser Mannschaft noch berechtigt ist. Oenning gab viel Vertrauen, das ist die Grundlage der Arbeit dieses sehr seriösen Fußball-Lehrers. Er bekam zuletzt zu wenig Vertrauen zurück – auch, weil er in der Anleitung zum Umgang mit Vertrauens eine Spur zu naiv war. Vertrauen sei etwas, das man sich erarbeiten müsse: So hatte es Kapitän Andreas Wolf formuliert.“ Einige Spieler hätten das Vertrauen eher als Vorschuss interpretiert, lautet der Vorwurf. Ein wichtiger Teil im Team sei schließlich nicht mehr von Oennings Stil überzeugt gewesen: „Auf der einen Seite standen im (Abstiegs-)Kampf erprobte Profis, auf der anderen Seite die jungen Begabten, die im vorwärtsgewandten, positiven Naturell ihres Trainers einen Appell an spielerische Leichtigkeit in schweren Zeiten sahen – so empfanden es wenigstens manche Wortführer im Team, und zwischen den Fraktionen verloren jene Spieler die Orientierung, für die die Bundesliga eine Schule sein sollte.“

Für Frank Hellmann war diese Entlassung ebenso wenig eine Überraschung (FR): „Zu offensichtlich und zu exemplarisch war das Versagen einer Nürnberger Mannschaft, die diese Bezeichnung beim ersten Gegentor nicht mehr verdiente. Wehr- und willenlos war das überforderte, von Oenning zuletzt erfolglos angeleitete Ensemble auch am 17. Spieltag aufgetreten. Und Manager Martin Bader, der vorerst bleiben darf, mochte noch so oft für den eloquenten und intelligenten Fußballlehrer eintreten – Oenning war am Ende nicht mehr zu halten. Damit verabschiedete sich der ‚Club‘ gleichzeitig von der Doktrin, mit Oenning eine Art neue Fußballkultur zu implantieren, die zum Ziel hatte, Nachwuchsspieler und Talente einzubinden und möglichst Identifikationsfiguren aufzubauen. Dass es damit schwer werden würde, hatten Oenning und Bader gewusst – dass ihr Konzept so schiefgehen würde, nicht.“

Aufforderung zum Abschied

Die Gerüchte gab es schon länger, jetzt sind sie bestätigt. Dieter Hoeneß steigt als Manager beim VfL Wolfsburg ein. Für Markus Lotter (Berliner Zeitung) stellt dies genauso die Abkehr von einem speziellen Weg dar: „Mit Hoeneß kehren die Wolfsburger ins Gewöhnliche zurück, sie verlassen ihren Sonderweg, verlieren ihr kennzeichnendes Merkmal, wonach sie im Gegensatz zur Konkurrenz genügend Mumm und Menschenkenntnis haben, um nur einer Person zu vertrauen. Armin Veh mag per Pressemitteilung seine Bereitschaft zur Kooperation signalisiert haben (‚Ich bin überzeugt, dass unsere Zusammenarbeit zum Wohle des Vereins sein wird‘), diesen externen Eingriff kann er aber wohl letztlich nur als Aufforderung zum Abschied deuten.“

Claudio Catuogno (Sueddeutsche.de) kennt die Arbeitsgewohnheiten Vehs und seines Vorgängers genau. „Der Zeitpunkt, weniger die Personalie an sich ist es, durch die sich Veh in Bedrängnis gebracht sieht.“ Denn Veh selbst habe sich schon vor längerer Zeit für personelle Unterstützung und Entlastung ausgesprochen. „Die noch auf seinen Vorgänger Felix Magath zugeschnittene Alleinherrschaft als Trainermanagergeschäftsführer ist demnach nicht nur VW auf Dauer zu riskant geworden, sondern auch Armin Veh zu mühsam. Während Magath sich nach den Trainingseinheiten in Wolfsburg oft noch bis Mitternacht mit Anzug und Krawatte in sein Chefbüro im Obergeschoss der Geschäftsstelle zurückzog, sitzt Veh am liebsten in seinem Trainerzimmer in den Katakomben. Und bis Mitternacht kann er schon deshalb nicht bleiben, weil er noch mit dem Hund raus muss. Allerdings hätte Armin Veh die strukturelle Neuausrichtung des Meisters lieber aus einer Position der Stärke heraus bekannt gegeben. Davon ist er im Moment weit entfernt: Nach dem Scheitern in Champions League und DFB-Pokal ist der Klub in der Liga jetzt auch schon fünf Partien hintereinander ohne Sieg.“ Vehs Einkäufe würden für die „Stagnation“ verantwortlich gemacht.

In der Bedrohung für Vehs Position erkennt Jan Christian Müller (FR) auch eine Chance: „Der Trainer geht nun angeschlagen in die Rückrunde. Aber womöglich kann er aus der neuen Schwäche ja auch neue Stärke ziehen, indem er sich aufs Wesentliche konzentriert: die Wolfsburger Fußballmannschaft wieder zu einem Team zu machen. Es wird nur funktionieren, wenn auch Hoeneß und Veh als Team arbeiten.“

Hohe Effizienz vorm Tor

Schalke spielt defensiv stark wie eh und je, doch nun komme eine weitere Stärke hinzu, attestiert Till Schwertfeger in der Welt. 11 mal habe Schalke inklusive DFB-Pokal kein Gegentor erhalten und bilde so mit Leverkusen die beste Abwehr der Liga. „Die neue Qualität ist die außergewöhnlich hohe Effizienz in der Chancenverwertung. Magath lässt in Gelsenkirchen keinen schönen Fußball spielen, sondern erfolgreichen Fußball. Es ist die Kraft des Kollektivs, der Disziplin, der Schwerstarbeit, die Selbstsicherheit vor dem Tor gibt – und auch die fanatischen Zuschauer wieder geschlossen als zwölften Mann in die Mannschaft integriert hat.“ Neben den vielen jungen Spielern habe er auch altem Personal entscheidend weitergeholfen. „Dass einer seiner damaligen Stuttgarter Musterschüler genau jetzt zur Führungspersönlichkeit auf Schalke wird, kann kein Zufall sein. Der oft verspottete Torjäger Kevin Kuranyi, bereits seit 2005 in Gelsenkirchen, taugt als Beispiel dafür, dass Magath Spieler besser macht. Nicht nur physisch durch Medizinballtraining und Bergläufe, sondern auch psychisch durch Starkreden und Vertrauenschenken.“ Als ernsthafter Meisterkandidat dürfe Schalke dennoch nicht gelten, denn: „Meisterlich herausgespielte Siege waren in der Hinrunde wirklich Mangelware.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Eine Spur zu naiv”

  1. Lena
    Dienstag, 22. Dezember 2009 um 15:23

    Weihnachten steht vor der Türe, und da ist es mal wieder an der Zeit, danke zu sagen.

    Danke dem Trainer, Christoph Asche und Oliver F. für die Arbeit hier. Ich schaue immer noch fast täglich vorbei und hole mir meine Anreg- und Aufregungen ab und entdecke neue Sites und Zeitungen, denen ich bisher keine Beachtung geschenkt habe.

    Ich möchte mich auch bei den (vielen) klugen und interessanten Kommentatoren bedanken, u.a. Tafelrunde, Ingrid, Nixwisser, gclobes, TheBigEasy, abiszet, Dave, RonaldoKristian und vielen weiteren, deren Nicks mir leider entfallen sind.

    Ich wünsche Ihnen allen fröhliche Feiertage.

    Wie ein kleines Weihnachtsmärchen kommt mir die Entwicklung des Schalker Stürmers Kevin Kuranyi vor, der auf einmal so viel weniger wie eine Witzfigur wirkt. Vom Kevin zum Calvin. Nehmen wir es als ermutigendes Zeichen.

  2. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 23. Dezember 2009 um 08:10

    Danke Lena, Das wünschen wir Dir auch. Und danke für Deine stets lesenswerten Beiträge.

    Christoph und ich haben aber nur am Rande etwas beigetragen, die Hauptarbeit im letzten halben Jahr hat der Trainer gestemmt.

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