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Bundesliga

Magaths Aura und Gross‘ Bewusstseinserweiterung

Frank Baade | Mittwoch, 6. Januar 2010 2 Kommentare

Schalke überrascht mit Neueinkäufen trotz klammer Kassen, Bayern ändert seine Personalpolitik, von der auch Nürnberg profitiert, Hitzlsperger übt Kritik und steht weiterhin in eben jener

Halbtoten Greis zum Leben erweckt

Großes Thema sind die überraschenden vielen Neuverpflichtungen der Schalker, deren Finanzierungsmöglichkeit Felix Magath damit begründet, dass der Verein gute Aussichten auf das internationale Geschäft in der nächsten Saison habe. Magath, den Meistermacher, bewertet Peter Ahrens bei Spiegel Online: „Der Mann hat eine Aura um sich aufgebaut, in der Misserfolg ebenso undenkbar erscheint wie Widerspruch. Kritik an seiner Amtsführung, daran, wie er Spieler, die ihm nicht ins Konzept passen, kaltstellt, kann gar nicht erst verstummen, weil keiner wagt, sie überhaupt aufkommen zu lassen.“ Mit „populistischer Häme“ habe er Albert Streit der Fanwut überantwortet, aber: genau das könne er sich erlauben. „Weil er Felix Magath ist. Er verkörpert einen Trainertyp, den es eigentlich seit ein paar Jahren nicht mehr geben sollte, da er als von der Moderne überholt galt.“ Auch van Gaal und Heynckes seien vergleichbare Typen. „Die Projekttrainer, die Konzept-Coaches, die Kumpels an der Seitenlinie, ohne die im deutschen Fußball jahrelang nichts zu gehen schien, scheinen ein bisschen auf dem Rückzug zu sein. Über den heiligen Felix, einen Bischof aus dem 3. Jahrhundert nach Christus, heißt es, er habe einen halbtoten Greis auf wundersame Weise wieder zum Leben erweckt. Also ungefähr das, was Magath zurzeit beim FC Schalke praktiziert. Es soll sich bloß niemand wundern, wenn am Ende der Saison der Deutsche Meister aus Gelsenkirchen kommt.“

Lars Gartenschläger mahnt in der Welt aber auch die drohenden Probleme ob der vielen Neueinkäufe an: „Inzwischen ist Schalke 04, das nur einen Punkt hinter Bayer Leverkusen liegt, längst auch ein Titelkandidat. Allerdings birgt der winterliche Kaufrausch Gefahren. 34 Mann umfasst der Schalker Kader zurzeit, mit 26 will Felix Magath dem Vernehmen nach nur arbeiten. Konflikte sind da programmiert, sollte es den Schalkern nicht gelingen, noch den einen oder anderen Spieler zu veräußern. Was ohnehin nicht einfach wird, da potenzielle Streichkandidaten wie etwa Gerald Asamoah oder Halil Altintop nur schwer an den Mann zu bringen sind, da sie zu den Spitzenverdienern gehören. Bislang konnte lediglich Lewan Kobiaschwili abgegeben werden. Dem Mittelfeldspieler soll sogar noch etwas Geld mit auf den Weg nach Berlin gegeben worden sein. Definitiv müssen die Gelsenkirchener aber die Kosten der Lizenzspielerabteilung noch weiter reduzieren.“

Richard Leipold geht der Frage nach, woher das Geld, das eigentlich noch nicht da sein könnte, denn komme (FAZ): „Schalke greift also an, und zwar auf einem Terrain, auf dem der Verein Zurückhaltung angekündigt hatte. War nicht ein strikter Sparkurs angekündigt, eine Reduzierung der Gehaltskosten, um der finanziellen Misere Herr zu werden?“ Leipold erinnert daran, dass es gerade ein paar Wochen her sei, dass dem Klub mit städtischen Geldern aus den gröbsten Kalamitäten geholfen werden musste. „Und woher kommt das frische Geld? Wie so vieles andere in Schalke offenbar aus dem Aufsichtsrat, zumindest teilweise. Wie es heißt, tritt der Aufsichtsratsvorsitzende Tönnies als Bürge auf; es wäre nicht das erste Mal.“ Zwar seien die Neueinkäufe keine Starspieler, unter den Händen von Magath wecken aber auch diese Spieler Hoffnungen, dass „Magath wieder einmal aus Spielern das Bestmögliche herausholen werde, die anderswo gestrandet, gescheitert oder schlicht verkannt worden sind. Vor allem Baumjohann verkörpert diese Option.“ In Bezug auf die Bayern sei bemerkenswert, dass plötzlich fähige Spieler auch an direkte Konkurrenten abgegeben würden, denn „die Bayern standen lange in dem Ruf, Spieler manchmal auch deshalb zu verpflichten, damit andere Vereine sie nicht bekommen können.“

„Weltmeister oder so etwas“

Neben Baumjohann ist auch Luca Toni bei den Bayern ausrangiert worden. Van Gaal sei der Abschied von Toni nicht schwer gefallen, berichtet Stefan Osterhaus (NZZ): „Spieler hätten sich an Regeln zu halten, sagte van Gaal, der sich selber als einen ‚Liebhaber von Normen und Werten‘ bezeichnet. Diese wendet der Niederländer konsequent an, und das gelte auch für einen ‚Weltmeister oder so etwas‘. Derzeit spricht wenig dafür, dass Toni nach München zurückkehren wird. Denn der FC Bayern verfolgt eine neue Personalpolitik. Masse und Klasse sollen nicht mehr gleichgesetzt sein. Schlanker ist das Kader in der Winterpause geworden. Nicht nur Toni hat die Bayern verlassen. Auch der Mittelfeldspieler Andreas Ottl und der Innenverteidiger Breno aus Brasilien spielen zukünftig woanders. Aus bayrischer Perspektive sind diese Entscheidungen zwingend. Van Gaal fühlt sich der Logik verpflichtet. Wie in aller Welt, sinnierte er kürzlich, solle er bei einem Kader von 26 Profis zwei komplette Mannschaften gegeneinander antreten lassen? Er könne ja schlecht 13 gegen 13 spielen lassen. Dieses Problem ist er jetzt los.“

Rotes Tuch Bayern-Spieler

Die vom FC Bayern kommenden Neulinge werden nicht überall mit offenen Armen empfangen, leitet Elisabeth Schlammerl (FAZ) ein: „Einigen Fans wird die nachbarschaftliche Hilfe nicht angenehm sein. Für eingefleischte Franken sind Bayern-Spieler ein rotes Tuch, was nicht nur mit der Trikotfarbe des deutschen Fußball-Rekordmeisters zu tun hat, sondern mit dem Neid auf den überlegenen Konkurrenten. Aber objektiv betrachtet, bedeuten Andreas Ottl und Breno die Verstärkungen, die der 1. FC Nürnberg im Kampf um den Verbleib in der Fußball-Bundesliga so dringend benötigt.“ Wie bei den Bayern im Umgang mit ihrem Personal gebe es auch in Nürnberg einen Wechsel des Kurses: „Die Nürnberger scheinen den nach dem Wiederaufstieg im vergangenen Sommer eingeschlagenen Weg des Jugendstils verlassen zu haben. Trainer Michael Oenning bekam doch nicht die versprochene Zeit, sich mit seinen Jungs aus der Zweiten Liga erstklassig zu entwickeln, sondern musste nach ein paar herben Niederlagen am Ende der Hinrunde gehen. Und jetzt werden prominente Bundesligaspieler verpflichtet.“

Auf den Punkt bereit sein

Sven Goldmann weiß, dass Hertha BSC Berlin direkt vor seiner allerletzten Chance steht. Im Tagesspiegel schreibt er aus dem Berliner Trainingslager auf Mallorca: „So radikal wie Hertha BSC will kein anderer Bundesligist seine Mannschaft in der kurzen Wettkampfpause umbauen. Nicht einmal zwei Wochen bleiben Friedhelm Funkel, die neue Hertha fitzumachen für den Klassenverbleib. Das ist ein ambitioniertes Unternehmen, denn das runderneuerte Gebilde muss auf den Punkt bereit sein. Funkel kann der Mannschaft nicht die ersten zwei, drei Spiele Zeit geben zur Orientierung. Diese ersten zwei, drei Spiele werden entscheiden über Herthas Überlebenskampf. Mindestens ein Unentschieden zum Rückrundenauftakt in Hannover und dann zwei Siege zu Hause gegen Mönchengladbach und Bochum – dann könnte vielleicht doch noch gelingen, was, rational betrachtet, kaum noch gelingen kann.“

Jeden Tag jedes Bewusstsein erweitern

Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) spricht mit Christian Gross, der seine Vorgehensweisen erläutert: „Wir müssen versuchen, uns bestmöglich auf den Abstiegskampf vorzubereiten. Dafür habe ich das Trainingslager gewählt, weil es eine gute Unterbrechung der Arbeit in Stuttgart ist und weil wir hier sehr gute Bedingungen haben. Wir müssen alles mobilisieren, um unten rauszukommen. Das wird schwierig genug, da der Abstiegskampf für viele Spieler eine ganz neue Erfahrung ist. Sie kennen diese Situation nicht.“ Auch als Motivator betätigt Gross sich gegenüber seinem Team: „Indem ich immer wieder die Ziele anspreche und darauf hinweise, dass sie alles tun müssen, um erfolgreich zu sein. Am Ende ihrer Karriere müssen sie sagen können, dass sich der ganze Aufwand gelohnt hat. Denn die Spieler entbehren auch einiges. Es hilft deshalb sehr weiter, wenn sie es sich immer wieder bewusst machen, was wir tun und warum wir dies tun. Genau darum geht es mir jeden Tag: das Bewusstsein der Spieler zu erweitern. Die Mentalität und die richtige Einstellung sind entscheidend. Deshalb ist auch die permanente Wiederholung der Zielvorstellungen Teil unserer Arbeit. Das gehört zu mentalem Training.“

Liste vermeintlicher Grausamkeiten

Der Ex-Kapitän dieser Stuttgarter, Thomas Hitzlsperger habe auch unter dem neuen Trainer keine guten Karten, berichten Julia Rapp und Martin Haar (Stuttgarter Nachrichten) unter dem Titel „Hitzlsperger in der Sackgasse“. Dieser hatte sich zuletzt öffentlich erklärt, warum es für ihn bislang schlecht lief: „Hitzlsperger wirft Babbel eine ganze Liste von vermeintlichen Grausamkeiten vor: Dass er ihn als Kapitän abgesetzt habe. Dass er ihm zu wenig Vertrauen geschenkt habe. Dass er ihn zum Opfer gemacht habe. Und dass Babbel keine Bindung zu ihm aufgebaut habe. Dabei versuchte Babbel die Situation zu retten. Vergeblich.“ Erstaunliches über das Standing Hitzlspergers im Team verraten Rapp und Haar ebenfalls: „In der Mannschaft war Thomas Hitzlsperger längst kein Chef mehr. Manche nahmen ihn nicht mehr ernst, einige reagierten sogar mit Ablehnung.“ Auch wenn Hitzlsperger zugebe, dass er schlecht gespielt habe, damit könne er seine schwache Rolle als Kapitän nicht entschuldigen, denn: „Hitzlsperger trennt, was zusammengehört. Eine fatale Einschätzung, auf die Markus Babbel schließlich reagierte. Er setzte Hitzlsperger als Kapitän ab. Er wollte ihm so die Bürde der Binde nehmen – und ihm die Chance für einen Neuanfang geben. Babbel ist Vergangenheit, aber die Probleme sind gegenwärtig. Denn der neue Trainer Christian Gross setzt nicht unbedingt auf den Mittelfeldspieler.“ Aufmerksame Beobachter könnten derzeit deutlich sehen: „Für Thomas Hitzlsperger ist kein Platz unter den ersten elf.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Magaths Aura und Gross‘ Bewusstseinserweiterung”

  1. Herr Wieland
    Donnerstag, 7. Januar 2010 um 21:56

    „ … deren Finanzierungsmöglichkeit Felix Magath damit begründet, dass der Verein gute Aussichten auf das internationale Geschäft in der nächsten Saison habe.“

    Hat Magath sich tatsächlich so geäußert?
    Ich habe das nicht so verstanden. Nachdem was ich so alles gelesen habe, hat Felix Magath klargemacht, dass weiterhin die Notwenigkeit besteht, die Kosten des Kaders zu reduzieren, dass dies auch noch passieren wird. Nun steht die Mannschaft gut da und die Aussicht, am Ende tatsächlich unter den ersten Fünf zu landen, ist gegeben. Magath hat nun die Einkäufe den Verkäufen vorgezogen. Dass Risiko liegt wenig im ausbleibenden sportlichen Erfolg, als vielmehr darin, dass man die teuren Spieler, die man loswerden will, nicht los wird. Für einen dadurch ggf. entstehenden Minderbetrag am Ende der Saison will Clemens Tönnies geradestehen.

    Das mag sich wie Korinthenkackerei lesen, der Unterschied ist aber wichtig. In den letzten Jahren war es schließlich genau so, dass Schalke „zu teuer fuhr“ und auf den sportlichen Erfolg angewiesen war. Magath ist angetreten, dass zu ändern, und er ist dabei, den Kader umzukrempeln. Unter den aktuell 36 Spielern im Kader sind 15 derart jung und unerfahren, dass sie für Bundesligaverhältnisse sicherlich zu den Geringverdienern gehören werden (Amsif, Latza, Loheider, Matip, Müller, Pachan, Stevanovic, Yalin, Kenia, Moravek, Moritz, Pliatsikas, Reginiussen, Schmitz, Zambrano). Und auch die Neuverpflichtungen Edu, Baumjohann und Kluge sind keine Jetzthaunwirwiederaufdiekacke-Transfers, sondern Spieler, die sich mehr als die Hälfte aller Bundesligaclubs leisten könnten.

    Nein, ich denke nicht dass der Sparkurs verlassen wurde. Ich glaube auch, dass es noch den einen oder anderen Abgang geben wird. Ma’kucken.

  2. Nixwisser
    Montag, 11. Januar 2010 um 10:00

    ???
    Man kauft junge, billige Spieler und kriegt die teuren nicht los. Man „finanziert“ die Einkäufe über die Einnahmen aus noch nicht realisierten sportlichen Erfolgen, gleichzeitig steigt die monatlich zu zahlende Gehaltssumme. Das hat mit meinemn Verständnis von Sparen nichts zu tun und mit vorsichtiger Kaufmannspolitik auch nicht. War diese Weltsicht nicht dafür verantwortlich, daß Schalke in genau diese Lage kam, in der es jetzt ist? Wenn das alles stimmt, was berichtet wird, ist den Königsblauen einfach nicht mehr zu helfen. So lange Magath nicht übers Wasser läuft, sollten sie solche Harakiri-Aktionen lassen und vielleicht mal weniger Veltins zu sich nehmen und dann mal abwarten was passiert, wenn man mit klarem Kopp denkt.

    Nixwisser

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