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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Der DFB zerlegt sich gerade selbst

Frank Baade | Samstag, 6. Februar 2010 11 Kommentare

Heftige Kritik übt die Presse am Vorgehen des DFB, Ziel der Aktion des DFB sei Bierhoff gewesen, angeschlagen sei nun aber der Bundestrainer, für Zwanziger könnte es ein Wendepunkt gewesen sein

Robert Ide (Tagesspiegel) stellt wie viele andere die Frage, ob nach diesem Freitag nicht auch Theo Zwanziger dauerhaft beschädigt sei und ein potenzieller Nachfolger in den eigenen Reihen sitzen könnte. „Was würde passieren, wenn Zwanziger die Eifersüchteleien über den Kopf wachsen? Diese Machtfrage hinter der Machtfrage wird im Verband lediglich hinter vorgehaltenen Händen angesprochen. Man hat nicht vergessen, dass der Abschied von Bundestrainern (Rudi Völler) schnell zu einer Führungskrise ausufern kann (Gerhard Mayer-Vorfelder). Auf den zweiten Blick rückt dabei der recht junge und auch in der Medienarbeit eloquente Generalsekretär Wolfgang Niersbach ins Bild.“ Dieser habe Bierhoff den schließlich nur ablehnbaren Vertrag vorgelegt. „Begleitet wurde der Poker allerdings von lancierten Veröffentlichungen der ‚Bild‘-Zeitung über die von Bierhoff vorgelegten Forderungen. Sollte daran denn wirklich Bierhoff ein Interesse gehabt haben?, fragen nun Funktionäre verwundert.“

Zu viel Porzellan zerschlagen

„Die Firma hat sich verzockt“, titeln Jan Christian Müller und Andreas Lesch in der FR, und die Firma, das ist Löw mit seiner Entourage. „Unter diesen Umständen ist nicht mehr davon auszugehen, dass der Bundestrainer und der Manager nach der WM überhaupt noch für den DFB arbeiten wollen. Zu viel Porzellan scheint zerschlagen worden zu sein.“ Doch für Löw muss das kein Rückschritt sein, denn: „Löw kann sich die Machtprobe leisten. Er ist zu einer Marke geworden, die nicht nur männliche Viererkettenversteher interessiert. Er wird in bunten Blättern gefeiert als Mann der Moderne, Mode-Ikone, Charmeur.“ Fußballerisch allerdings sei auch er von seinen eigentlichen Zielen mit der Nationalmannschaft entfernt: „Nach Aufbruch riecht zurzeit wenig in der DFB-Elf. Die Frage, ob ein neuer Trainer nach der WM frische Impulse brächte, ist durchaus erlaubt. Nur hätte sich der DFB, wenn er den Wechsel wollte, das Theater sparen können.“

Loyalität sieht anders aus

In der FAZ rügt Michael Horeni die Vorgehensweise des DFB: „Loyalität gegenüber einem Bundestrainer sieht auch anders aus, als einen ungeliebten Manager mit Ecken und Kanten ins Abseits stellen zu wollen, mit dem zusammen sich Löw als Team sieht. Sollte Oliver Bierhoff mit seinem Hang, sich von der Fußballbasis zu entfernen, überhaupt noch Rückhalt beim DFB gehabt haben, ist er nun vollkommen verspielt.“ Horeni nimmt ebenfalls an, dass das wenig souveräne Handeln für einen der Protagonisten der Anfang vom Ende sein könnte: „Sollte die Mannschaft in Südafrika die Erwartungen nicht erfüllen, werden die DFB-Präsidiumskollegen Zwanziger schon an seinen Anteil an den verpatzten Verhandlungen erinnern. Man darf sich nicht wundern, wenn dieser Tag einst als Wendepunkt in der Präsidentschaft von Theo Zwanziger angesehen werden muss.“

Grotesker Kollateralschaden

Dass der DFB schlecht im Zielen sei, stellt Christof Kneer (SZ) fest: „Der Verband nimmt billigend in Kauf, dass derjenige am meisten verwundet wird, der am wenigsten gemeint ist: Joachim Löw. Lange galt Löw als beliebtester Deutscher hinter Günter Jauch und Horst Schlämmer, nun hat er plötzlich den ‚Raffke‘-Stempel auf der Stirn. Der Verband wollte den intern wegen seiner Rigorosität umstrittenen Bierhoff treffen und hat frontal Löw erwischt – ein grotesker Kollateralschaden, denn Löw ist die zentrale Figur für die WM.“ Löws Arbeit werde in Zukunft davon belastet sein, dass jeder Fehlpass zur Frage führen könne: Wie lange noch mit Jogi? „Er habe keine Wunschgegner, hat Joachim Löw vor einer Auslosung gesagt. Warum auch? Seine Gegner sitzen zurzeit im eigenen Verband.“

Was sozial und wirtschaftlich verantwortbar ist

Theo Zwanziger selbst äußert sich im Interview mit Philipp Selldorf (SZ) über den Fall unter Anderem so: „Wir sind ein gemeinnütziger Verband! Ich liebe diese Nationalmannschaft, aber ich habe einen Verband zu führen und ich muss reflektieren, was sozial und wirtschaftlich verantwortbar ist. (…) Das Angebot war am Rande der Verantwortbarkeit. Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten: Ich kann den Amateurfußballern und Millionen von ehrenamtlich tätigen Helfern nicht verkaufen, dass wir ohnehin sehr gut dotierte Verträge nochmals deutlich aufstocken.“ Zur Frage der Veröffentlichung pikanter Daten in der Bild-Zeitung: „Diese Veröffentlichung hat mich genauso irritiert. Vom DFB hat niemand etwas rausgegeben, Wolfgang Niersbach nicht, ich selbst nicht, und es hat auch niemand mit meiner Billigung getan. So etwas ist nicht unser Stil.“ Und ganz grundsätzlich zur Frage, wie die Zukunft von Jogi Löw nun aussehe: „Ich will ihn behalten. Wenn wir die WM erfolgreich spielen, dann werde ich mit Löw sprechen. Und wenn wir nicht so erfolgreich spielen, dann auch. Er wird immer mein erster Ansprechpartner sein.“

Eitelkeiten und Machtdenken

Da er sie offenbar noch für möglich hält, fordert Lars Wallrodt in der Welt eine neue Einigung: „Der Streit ist so ärgerlich wie unnötig. Eitelkeiten und Machtdenken haben die einstige Harmonie weggewischt. Alle Beteiligten betonen stets und ausdauernd, dass sie nur zum Wohle des deutschen Fußballs handeln würden. Nun können sie es beweisen. Ein neuer Handschlag muss her.“

Den Funktionären das Licht zu Kopf gestiegen

Auch Robert Ide (Tagesspiegel) hat kein Verständnis für die Motive, aus denen der DFB dieses Zerwürfnis bewirkt hat: „Fußball ist nicht für Funktionäre da. Bis zum DFB ist diese Erkenntnis allerdings nicht vorgedrungen. Statt sich auf die in vier Monaten beginnende Weltmeisterschaft in Südafrika vorzubereiten, bei der man sich nicht weniger als den Titelgewinn vorgenommen hat, zerlegt sich der DFB gerade selbst. Auch Löw kann eigentlich nichts mehr gewinnen – höchstens einen selbst bestimmten Abschied, den allerdings nur nach einem Titelgewinn. Manchem Funktionär, der nur noch an das Licht denkt, das dabei auf ihn fällt, scheint (der Erfolg der Nationalmannschaft in der Gesellschaft) zu Kopf zu steigen. Die Nationalmannschaft ist zum Bespiegelungsprojekt vereinzelter Karrierepläne geworden anstatt zum Spiegelbild einer von der Leichtigkeit des Spiels angesteckten Gesellschaft.“

Angesichts all dieser Vorwürfe verwundert es ein wenig, dass Stefan Osterhaus (NZZ) annimmt, eine Nachfolgeregelung (auch abseits von Sammer) sei kein Problem: „Kandidaten dürften sich finden. Anders als noch vor sechs Jahren, als Löw und Klinsmann zusagten, ist der DFB sportlich wieder eine erstklassige Adresse.“

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Kommentare

11 Kommentare zu “Der DFB zerlegt sich gerade selbst”

  1. Oliver Fritsch
    Samstag, 6. Februar 2010 um 19:10

    Ergänzungen eines Zeitungslesers:

    - In der SZ ist zu lesen, dass Löw in der U21-Frage und das Trainerteam samt Bierhoff in der Bonus-Frage Entgegenkommen gezeigt habe, sogar Vorschläge zur Refinanzierung gemacht.

    - Die FR schreibt: „Dass sich Löw und Bierhoff nicht durchsetzen konnten, ist auch dem gestiegenen Einfluss des Ligaverbands zuzuschreiben. Ligapräsident Reinhard Rauball hatte nach FR-Informationen einen klaren Auftrag: Einfluss nehmen, falls die Forderungen des bei vielen Bundesligisten unbeliebten Bierhoff zu weit gehen sollten. So kam es. Er habe klar seine Meinung gesagt, so DFB-Präsidiumsmitglied Rauball.“

    - Dem Tagesspiegel habe ein Insider über das Verhältnis Löw/Zwanziger gesagt: „Es ist kein Vertrauen mehr da.“

    - Die FAZ schreibt: „Selbst zwischen Bierhoff und Löw gibt es unterschiedliche Ansichten, wohl auch, was Vertragsforderungen angeht. Löw, so heißt es, betrachte die zunehmende Einordnung der Nationalmannschaft als Teil des Unterhaltungsgeschäfts – mit den entsprechenden ökonomisch motivierten Aktivitäten – mit Sorge.“

  2. woki04
    Sonntag, 7. Februar 2010 um 10:24

    ob sich nun gleich der DFB – zerlegt –
    wage ich zu bezweifeln,

    es scheint mir eher !
    dass Herr Zwanziger n i c h t mehr d e r
    wichtige /ste Mann zu sein scheint,
    der er mal war !

    Vielleicht ist das ja nun auch ein Hoffnungsschimmer in Sachen Hartplatzhelden und das Privat-Filmen der eigenen Verwandten !

    GlückAuf

  3. Oliver Fritsch
    Sonntag, 7. Februar 2010 um 10:48

    Danke, aber das hat damit wohl nichts zu tun. Ich glaube, Zwanziger sind die Hartplatzhelden egal. Da gibt es strengere Hardliner beim DFB.

  4. Lujack
    Sonntag, 7. Februar 2010 um 14:09

    Gibt es eigentlich irgendjemanden im Deutschen Fussball der Bierhoff noch unterstützt? Also ich sehe außer Löw niemanden mehr.

    Und dem Bundestrainer wird gerade auf eine ziemlich schroffe Art klargemacht was Sache ist. Da ist die Abneigung gegenüber dem Manager offenbar so groß, dass man bereit ist den Bundestrainer im WM-Jahr zu beschädigen.
    Löw hat jetzt die Wahl zu spuren und sich von Bierhoff zu lösen oder mit ihm keinen neuen Vertrag zu erhalten.

    Fürchte wir beobachten gerade den finale Schlag gegen das Reformprojekt mit dem Klinsmann mal den Laden (DFB) auseinander nehmen wollte.

  5. abiszet
    Sonntag, 7. Februar 2010 um 17:57

    „Fürchte wir beobachten gerade den finalen Schlag gegen das Reformprojekt mit dem Klinsmann mal den Laden (DFB) auseinander nehmen wollte.“

    So sieht es leider aus. Die „Holzköpfe“, die schon immer kritisch den Reformen gegenüber standen, scheinen sich nun durchzusetzen. Dazu wurde die Reputation von Löw gezielt durch die Indiskretionen (Signing Fee, Veto-Recht von OB) geschädigt. So sehr ich Matthias Sammer im Moment auf der richtigen Position sehe, so sehr befürchte ich, dass er auch seinen Teil zu dieser misslichen Situation beigetragen hat.

    Zur Frage: Wer steht noch zu Bierhoff aus Löw? Was ist denn das Problem mit Bierhoff? Dass er die Kommerzialisierung der N11 vorantreibt oder dass er allzu oft den Finger bei Unzulänglichkeiten der Bundesligisten in die Wunde legt?

  6. Thor
    Montag, 8. Februar 2010 um 11:38

    Das „Problem“ mit Bierhoff ist ganz einfach, dass er nicht aus dem Fußball-Millieu stammt, sondern aus einer unternehmerisch denkenden Oberschichtfamilie. Zudem hat er – völlig unabhängig von Sympathiewerten – Grips im Kopf und ein smartes Auftreten. Also so ziemlich alles, was bei so manchem kleinbürgerlichen Funktionär Neid und/oder Aversion auslöst.

  7. Lena
    Montag, 8. Februar 2010 um 12:10

    Also, wer die Bilder der Auslosung sieht, muss zu dem Schluss kommen, dass Löw nach der WM zu Liverpool o.ä. geht.

    Und Sammer, der als Trainer auf Vereinsebene eher durch seine negative Energie denn Erfolge aufgefallen ist, wird sich schon mal vorfreuen und am Spiegel Übungen machen.

  8. Oliver Fritsch
    Montag, 8. Februar 2010 um 12:21

    In Stuttgart nannte man den Trainer Sammer (04/05) hinter vorgehaltener Hand den „Witwer“. Weil er nie lachte.

  9. Nixwisser
    Montag, 8. Februar 2010 um 13:34

    Afaik bekommt Löw ~3 Mio. € p.a. Die anderen des Teams werden auch nicht gerade am Hungertuch nagen. Es wird für jeden ordentlich reichen. Warum genug nicht genug ist, wußte Konstantin Wecker schon nicht. Vorbildfunktion? Meine Gedanken sind naiv, ich weiß. Das ist die eine Seite des Konflikts, die unproblematische. Jeder versucht zu bekommen, was möglich ist, das wird verhandelt und gut ist. Eigentlich kein Thema. Bierhoffs Forderung nach einem Vetorecht hingegen ist absurd. Er ist nicht mehr und nicht weniger als eine Art Angestellter des DFB. Keine Hauptversammlung einer AG, die halbwegs bei Sinnen ist, wird einem Resortleiter ein Vetorecht bei der Besetzung der herausragendsten Personalie einräumen. Sorry, das ist eine Mischung aus Selbstüberschätzung und kompletter Fehleinschätzung der Machtverhältnisse. Bierhoff ist eigentlich ein clevers Kerlchen. Mich wundert, wie ihm so ein Lapsus unterlaufen konnte. Ich vermute, jetzt nutzen einige Herren im Präsidium die Lage, um Bierhoff richtig eine mitzugeben. Am besten so ordentlich, daß sich das „Problem“ nach der WM erledigt hat. Daß dabei alle Beteiligten in der Öffentlichkeit beschädigt werden und ein jämmerliches Bild abgeben – who cares? Das ist dann doch wieder der alte DFB wie wir ihn lieben und kennen. Erstaunlich ist, daß jeder bei diesem Trauerspel inflationär das Wort „professionell“ verbreitet. Doch wer handelt eigentlich so? Wahrscheinlich verstehe ich das alles wieder mal total falsch.

  10. Bernie
    Dienstag, 9. Februar 2010 um 14:48

    Interessant ist, dass Oliver Bierhoff als Manager der Nationalmannschaft zugleich Mitglied des DFB-Präsidiums ist, also eine offizielle Funktion innerhalb des höchsten Gremiums des Verbandes einnimmt. Das bedeutet, dass er dem DfB gegenüber nicht nur als reiner Vertragspartner, sondern auch durch seine DfB-Funktion verantwortlich ist.

    Gleichzeitig vertritt er aber nicht nur seine Interessen, sondern tatsächlich verknüpft er diese in den Verhandlungen mit den finanziellen Interessen des Trainerteams. Diese sind jedoch nur Angestellte des DfB.

    Seine persönlichen Belange betreffen jedoch seine Kompentenzen innerhalb des DfB. Zuständigkeiten, die entscheidend das Verhältnis des DfB zum Bundestrainer regeln. Politisch geschickter Schachzug, meiner Meinung nach jedoch am Rande der Legitimität.

  11. Toni
    Samstag, 13. Februar 2010 um 00:44

    Nennt man so etwas nicht auch ein Insichgeschäft?

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