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Am Grünen Tisch

Paolo Guerrero wirft: Wer ist die Flasche beim HSV?

Frank Baade | Dienstag, 6. April 2010 13 Kommentare

Paolo Guerrero nimmt Maß, nachdem ein Fan ihn verbal attackiert, Frank Rost bekleckert sich danach nicht mit Ruhm, insgesamt Sinnbild der Lage beim HSV, die Strafe sei dennoch zu gering

Mittlerweile steht die Reaktion des HSV fest, es bleibt bei einer „Rekordgeldstrafe“ für Guerrero, kommt aber zu keiner internen Sperre. Außerdem habe die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen und wird später entscheiden, ob Anklage erhoben wird. Der Getroffene selbst habe (noch) keine Anzeige erstattet.

Grenzenlose Arroganz

Mike Glindmeier fordert bei Spiegel Online eine viel drastischere Vorgehensweise als sie der HSV jetzt an den Tag legte, nämlich den Rauswurf von Rost und Guerrero: „sicherlich muss sich ein Fußballer auch nicht alles gefallen lassen. Doch diese Reaktion ging zu weit. Viel zu weit. Ein Fan würde dafür Stadionverbot bekommen. Das hätte konsequenterweise jetzt auch das Strafmaß für Guerrero sein müssen.“ Eine solche Konsequenz seitens der Klubführung sei angezeigt: „Denn der Club kann nicht auf der einen Seite wegsehen, wenn seine Anhänger aufgrund von bloßen Verdachtsmomenten mit Stadionverboten draußen bleiben müssen, auf der anderen Seite aber ein solch krasses Fehlverhalten eines seiner Angestellten innerhalb seines Stadions mit einer Geldstrafe abtun.“ Und in Richtung Frank Rost gewandt: „Während man den Ausraster von Guerrero direkt nach dem Schlusspfiff noch als emotionalen Ausbruch bewerten kann, so lässt dieser verbale Ausfall des erfahrenen Torhüters nur auf eines schließen: grenzenlose Arroganz als Ablenkung von mangelnder sportlicher Substanz. Ein Verhalten, das sich der HSV nach solchen Vorstellungen und nach einem solchen Eklat den eigenen Fans gegenüber sicherlich nicht erlauben kann. Vermutlich leider ebenso wenig wie den Rauswurf seines Stammtorhüters.“

Geldstrafe reicht nicht aus

Auch Frank Hellmann fordert in der FR weitere Strafen: „Der Straßenfußballer darf auch dann nicht das Recht der Straße für sich in Anspruch nehmen, wenn er aufs Übelste beschimpft und beleidigt worden ist. Eine fünfstellige Geldstrafe für Guerrero als erzieherische Maßnahme seitens des Vereins reicht längst nicht aus, eine längere Sperre für den HSV-Angreifer ist zwingend. Diesen Disziplinlosigkeiten gehört Einhalt geboten, sonst hat der HSV auf absehbare Zeit ein sehr belastendes Imageproblem.“

Mit dem Verhältnis der Fans zu ihrem Team befasst sich Frank Heike (Tagesspiegel): „Deswegen aber eine Entfremdung der Anhänger vom Klub zu diagnostizieren, wäre Unsinn: Schon am Donnerstag in Lüttich werden die Fans ihren HSV feiern, wenn der ins Halbfinale der Europa League einziehen sollte.“

Nicht der erste Promi, der ausrastet

Dass Guerreros Ausraster prinzipiell inakzeptabel ist, daran hat auch Frank Bachner (Tagesspiegel) keine Zweifel. „Die Frage ist nur: Welche Strafe ist angemessen? Und da wird das Problem ein bisschen komplizierter. Ein Bundesligaspiel ist kein rechtsfreier Raum für Zuschauer. Kein Fan hat das Recht, seine persönliche Enttäuschung ungefiltert auf einen Fußballprofi zu übertragen. Und was den Vorbildcharakter betrifft: Der gilt auch für Zuschauer. (…) Es ist manchmal gar nicht so einfach, einen Promi anzuklagen, der sich gegen Pöbeleien handfest wehrt. Es gab unzählige Menschen, die fanden es gut und berechtigt, dass ein massiger Mann auf einem Platz in Halle an der Saale auf einen jungen Typen losstürmte, der ihn mit Eiern beworfen hatte. Der Promi hieß Helmut Kohl.“

Gemeckert wurde schon immer

Christian Zaschke (SZ) warnt davor, diesen Fall überzuinterpretieren. „Da der Fall Guerrero besonders liegt, lassen sich aus ihm kaum Schlüsse ziehen, die auf ein generell neues Verhältnis von Spielern zu Fans deuten. Es gibt mittlerweile mehr der sogenannten Ultras, von denen eine Minderheit gewaltbereit ist. Den meisten dieser Anhänger geht es jedoch einfach um einen Fußball, der weniger vom Kommerz durchdrungen ist. Es gibt in der Bundesliga zudem eine ausgeprägte Anspruchshaltung auf den Tribünen, das ist jedoch nichts Neues und gemeckert wurde schon immer.“

Jörg Marwedel (SZ) widerspricht: „Der Ausraster zeigt, dass es mittlerweile ein ganz anderes Verhältnis zwischen den hochbezahlten Fußballern und zumindest jenen Zuschauern gibt, die eher Kunde sind als Fan. Ralf Bednarek, Chef der HSV-Supporters, wies jedenfalls darauf hin, dass die Beleidigungen aus den ‚Schnittchenbereich‘ gekommen waren, wie damals bei Atouba.“ Gleichzeitig verfüge die Summe der Anwesenden über seismologische Fähigkeiten: „Die Menge spürt oft, wenn etwas nicht stimmt bei einem Verein oder in einer Mannschaft. Die nicht erfüllten hohen Erwartungen werden dann eben herausgebrüllt.“

Nähe zum aggressiven Übergriff missbraucht

Neben dem Alleinstellungsmerkmal, einziges Bundesliga-Gründungsmitglied ohne Abstieg zu sein, habe der HSV noch etwas für sich allein: „Er ist der einzige Klub in Deutschland, der nicht etwa mit seiner Fankurve, sondern vielmehr mit seiner Haupttribüne ein schwerwiegendes Problem hat.“ Natürlich hält auch Markus Lotter (Berliner Zeitung) die Strafe für Guerrero für angemessen, konzentriert sich dennoch dabei auf die Auslöser des Vorfalls: „Der Mob trägt Anzug in der Hamburger Arena, kann sich die Nähe zu den Profis leisten und missbraucht diese Nähe allzu oft zum persönlichen, zum aggressiven Übergriff.“ Lotter erinnert an Atouba, der rassistisch angegangen wurde, „unvergessen“ seien auch „die Attacken auf Stürmer Boubacar Sanogo, der wie Atouba von der Haupttribüne beschimpft wurde, bis er nach Bremen flüchtete.“

Kommentare

13 Kommentare zu “Paolo Guerrero wirft: Wer ist die Flasche beim HSV?”

  1. Peter Glock
    Dienstag, 6. April 2010 um 13:26

    Ich bin schon lange nicht mehr im Stadion, weil ich dieses ätzende Fanverhalten nicht ab kann.

  2. matsch
    Dienstag, 6. April 2010 um 16:48

    „schwule Sau“ ist natürlich die brutalstmögliche Beleidigung im Fußball.
    Nach den auf youtube herumgeisternden Videos zu urteilen wirkt Guerrero vor dem Flaschenwurf nicht besonders erregt, er macht den Eindruck als würde er überlegt und fast schon abgebrüht zur für den pöbelnden Fan nicht sichtbaren Flasche greifen. Normalerweise denkt man, wenn sich Guerrero so beleidigt gefühlt hat, müsste dem Flaschenwurf ein heftiger Wortdisput vorausgegangen sein.

  3. kaputnik
    Dienstag, 6. April 2010 um 17:11

    Ich halte die Medienberichterstattung zum „Fall Guerrero“ für armselig und eine Schande für den Journalismus. Wer die Sky-Sendung (youtube) mit Sammer (ok), Ziege (ok), dem FR-Onkel (abstoßend) und dem Sky-Moderator (hochgradig abstoßend) gesehen hat, muss sich für diesen Nicht-Journalismus und schämen oder aufregen.
    Lebenslanges Berufsverbot für einen (durchaus) verständlichen Ausraster eines immer noch jungen Mannes ist denen (oder auch SPON) noch fast zu wenig.
    Ich bin der Meinung, in erster Linie sollte der Edel-“Fan“ sich bei Guerrero entschuldigen.
    (Und weil man in D ja wirklich immer alles deutlich sagen muss: Natürlich war Guerreros Wurf ein Fehler und gefährlich und blablabla …)
    Ich halte die Reaktion des HSV (hohe Geldstrafe und gut is) für überraschend angemessen.
    Die Welt allgemein liegt in Trümmern und an Guerrero soll jetzt das Moral-Exempel statuiert werden??
    Widerliche Gesellschaft.

  4. Olli
    Dienstag, 6. April 2010 um 20:21

    Vielleicht sollten den Fall die übernehmen, die sich nicht nur am Wochenende damit herumärgern müssen. Also gegen den Beleidiger wegen Beleidigung ermitteln und gegen den Werfer wegen Körperverletzung. Gegen beides gibt es Gesetze. Wieso also das Rumgemurkse mit Geld“strafe“, Berufs- oder Stadionverbot oder „geschieht ihm recht, daß er was gegen die Omme bekommt“?

  5. Günter Karl
    Mittwoch, 7. April 2010 um 01:44

    Dem Hinspiel gegen 96 folgte die Katastrophe um Enke. Die Presse hat – wie das Rückspiel zeigt – entweder nichts gelernt oder alles schon wieder vergessen. Müssen denn erst Hertha-Fans einen vor Leistungsdruck erstarrten, in seiner Existenz bedrohten Fußballer vermöbeln, bevor mal wieder einer aufwacht? Wer da rollende Köpfe fordert oder das Aushändigen der Papiere, sollte selbst mal lieber „gegangen werden“. Mit dem Unterschied, dass ein mittelmäßiger Journalist wohl schneller wieder seinem Job nachgehen kann als ein international gesperrter Profisportler…

  6. Manni
    Mittwoch, 7. April 2010 um 05:54

    Man darf sehr gespannt sein, wie der HSV, die DFL und der DFB den Fußballsöldner und -millionario bestraft.

    Wenn der HSV, die DFL und der DFB bei ihrem Kampf gegen Zuschauergewalt und generell gegen Gewaltbereitschaft auch nur halbwegs glaubwürdig und konsequent bleiben wollen, dann müssten sie Guerrero (von Vereins- und Verbandsseite) genau so hart bestrafen wie sie auch einen Zuschauer bestrafen würden, der mit einem Gegenstand auf einen Spieler wirft. Bei Letzterem ist man bekanntlich schnell mit jahrelangen Stadionverboten zur Stelle.

    Ich bin mal gespannt wie lange Guerrero gesperrt, bzw. wie er überhaupt bestraft wird.

  7. Günter Karl
    Mittwoch, 7. April 2010 um 09:47

    Über Formulierungen wie „genauso hart“ und „konsequent“ stolpere ich in diesem Zusammenhang öfter. Will man denn allen Ernstes einem Fan, würde der Fall anders herum liegen, eine Geldstrafe zwischen 50.000 und 100.000 Euro aufbrummen? Das Verhalten Guerreros ist doch mit dem eines sogenannten Fans (oder besser gefiele mir „Kunde“) überhaupt nicht vergleichbar, wie will man denn die Sanktionen daran anpassen? „Genauso“ ungleich würde es doch im Falle des Stadionverbotes für einen Fan aussehen. Das spräche der Verein aus, nicht aber DFL und DFB noch zusätzlich. Das wäre völlig übertrieben.

  8. matsch
    Mittwoch, 7. April 2010 um 11:26

    50.000 bis 100.000 € Geldstrafe stellt eine Summe dar, die in etwa einem halben Monatsverdienst von Guerrero gleich kommt. Also nicht der Rede wert. Kann man schon mal verschmerzen, zumal dessen Bekanntheitsgrad durch den Flaschenwurf enorm zugenommen hat.

  9. lateral
    Mittwoch, 7. April 2010 um 12:02

    Nein, der „Fall Guerrero“ ist nicht mit gegenstandswerfenden Fans gleichzusetzen: Das Feuerzeug aus der Kurve fliegt aus der Lust am Werfen und mit dem Ziel zu treffen; Grund ist der allenfalls diffuse „Hass“ auf den Gegner. Guerreros Flasche flog zwar ebenfalls mit dem Ziel, den Fan zu treffen. Dem Wurf gingen dem Vernehmen nach aber konkrete und sehr persönliche Provokationen voraus. Das sollte das Strafmaß mildern, aber nicht von einer Bestrafung befreien.

    Zwei Aspekte sprechen für eine Sperre als Bestrafung (wie lange diese ausfällt, hängt natürlich von den Richtern ab – bis Ende der Saison scheint aber das Minimum zu sein):

    1.) Gewalt muss als falsch kenntlich gemacht werden! Das geht nur, wenn es eine Strafe gibt, die den Deliquenten spürbar – in diesem Fall wegen der Vorbildfunktion für Kinder und Fans also auch sichtbar – bestraft. Deshalb muss
    2.) eine interne Geldstrafe jedem Fan als Hohn erscheinen. Nur eine Sperre macht deutlich, dass der Spieler da bestraft wird, wo es ihm am meisten weh tut – bei der Zeit auf dem Platz.

    (Die Geldstrafe mag auch empfindlich erscheinen – ist sie aber erstens i.d.R. nicht (es ist schließlich bekannt, dass diese nur sehr selten auch tatsächlich gezahlt werden und eher als Placebo für die Öffentlichkeit verhängt werden) und zweitens ist sie es in den Augen der meisten Fans bestimmt nicht, weil die davon ausgehen, dass ein „Fußballmillionär“ jedwede Geldstrafe locker verschmerzt.)

  10. Heffer
    Mittwoch, 7. April 2010 um 15:27

    ich sehs so wie lateral.

    noch was zu Manni:
    „Fußballsöldner und -millionario“

    können Sie mir das bitte näher erläutern.

  11. lateral
    Donnerstag, 8. April 2010 um 09:39

    Oh, die Richter scheinen bei mir abgeschrieben zu haben 😉

    dpa hat gerade die Strafe verkündet: Saisonaus + 20.000 Öre Bußgeld. Das Strafmaß ist so gering, weil der Tat eine Provokation vorausging.

  12. methusalix
    Freitag, 9. April 2010 um 13:06

    Fehlurteil-FIFA übernehmen sie.Jeder kleine Fan bekommt im schlimmsten Fall jahrelanges Stadionverbot aber der Herr Legionär & Millionär hat ja Herrenmenschenstatus und darf eine vorsätzliche Körperverletzung in 5 Wochen mit ein paar Peanuts Geldstrafe abfeiern.
    Cantona hat damals 6 Monate Sperre bekommen nachedem er ein rassistisches National Front-Mitglied mit Fußtritt attakierte..Für Guerrero also 3-4 Monate Spielverbot.Mindestens

  13. Matsch
    Freitag, 9. April 2010 um 19:57

    Aber er hat ihn „schwule Sau“ genannt! Einen Fußballer! Lateinamerikaner noch dazu!

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