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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Von Osterhasen und Wäschekörben – Pressestimmen zur Entlassung Heiko Herrlichs

Jan-Carl Ronnecker | Freitag, 30. April 2010 1 Kommentar

Die Bochumer Vereinsbosse geben dem Druck der Mannschaft nach und stellen Heiko Herrlich frei. Mit Dariusz Wosz soll nun der vierte Übungsleiter des VfL in dieser Saison den Klub vor dem Abstieg retten.

Atmosphärische Störungen in der Kabine

Heiko Herrlich ist mit seiner Idee von Arbeitsethos und Mannschaftsführung in Bochum gescheitert. Der Geschasste hätte, so stellt Ulrich Hartmann in der SZ fest, „beim VfL Bochum gerne eine Atmosphäre aus Selbstlosigkeit und Mitgefühl geschaffen und aus einem Konglomerat von Individualisten eine spirituelle Einheit geformt. Doch asiatische Philosophie und preußische Tugend haben in Bochum weder Seelenverwandtschaften noch sakralen Fußball bewirkt. Im Gegenteil.“ Der emotionale Stil seiner Ansprachen, vor kurzem noch heftig beklatscht, kam wichtigen Teilen der Mannschaft immer schlechter an. „Kapitän Marcel Maltritz sagt, er habe ’schon vor Wochen beim Vorstand vorgesprochen, aber es ist nichts passiert‘. Jetzt schon.“

Frank Hellmann (FR) geht näher auf konkrete Vorwürfe ein: „Wenn es stimmt, was Spieler vom VfL Bochum an die Öffentlichkeit tragen, dann war deren Kabine tief im Westen zuletzt ein Ort der Eskalation. Heiko Herrlich, mit den meisten seiner bekannteren Profis zumindest zeitweise schon im Clinch, soll am Dienstag wutentbrannt einen Wäschekorb getreten, seine Fußballer als Osterhasen beschimpft und Belehrungsvideos von Louis van Gaal vorgeführt haben.“ Im Ergebnis habe das bedeutet: „Gemeinsam geht hier nichts mehr. (…) So blieb – genau wie den Hamburger Bossen im ähnlich gelagerten Fall Bruno Labbadia – gar keine andere Wahl, als die Entlassung des Trainers zu verkünden.“

Verlust der Glaubwürdigkeit

Zum Thema „Osterhasen“ und Herrlichs kolportierter Androhung gegenüber seinen Spielern „im Abstiegsfall auf ewig als Absteiger ‚gebrandmarkt‘ zu sein“, meint Daniel Theweleit in der Berliner Zeitung: „Eigentlich sind Worte dieser Art in der rauen Fußballwelt keine Katastrophe, Herrlich allerdings habe emotional überzogen heißt es. Manchmal seien auch Gegenstände durch die Kabine geflogen, der fatale Fehler war, dass er in seinem verzweifelten Versuch, die eigene Autorität zu wahren, seine Glaubwürdigkeit verlor. Die Tatsache, dass die seltsamen Ausbrüche des 38-Jährigen gleich von mehreren Spielern umgehend an Journalisten weitergeleitet wurden, ist ein sicheres Indiz für das zerrüttete Verhältnis.“

In ähnlicher Form äußert sich Uli Klienel (Ruhrnachrichten): „Autorität wollte der ehemalige Bundesligastürmer unter anderem auch dadurch demonstrieren, dass er erfahrene Spieler wie Mimoun Azaouagh, Paul Freier, Marcel Maltritz oder Anthar Yahia zwischenzeitlich zu Randfiguren degradierte. Immer häufiger drangen Vorfälle aus der Kabine gerüchteweise ans Tageslicht.“ Zudem habe sich Heiko Herrlich an zu vielen Fronten in Scharmützel verstrickt. Nachdem Peter Neururer öffentlich Vorfälle aus der VfL-Kabine kommentierte, vermutete Herrlich, dass „Neururers ‚Motorrad-Gang‘ die undichte Stelle im VfL sein könnte. Mit der ‚Gang‘ waren VfL-Vereinsarzt Dr. Karl-Heinz Bauer, Physiotherapeut Jürgen Dolls sowie die Trainer Nico Michaty und Frank Heinemann gemeint (…).Eine zuletzt von Herrlich mit der größten Boulevardzeitung geführte Auseinandersetzung sorgte für weiteren Zündstoff.“

Magische Kräfte wären willkommen

Ulrich Leipold (Tagesspiegel) resümiert und blickt voraus: „In Erinnerung bleiben wird Herrlich in Bochum, wenn überhaupt, als der Trainer, der mit seiner Mannschaft nach einem Zwischenhoch neun Punkte Vorsprung vor dem Relegationsplatz verspielt hat. Nach zehn Spielen ohne Sieg soll nun Wosz retten, was nur noch schwer zu retten ist. Wegen seiner spielerischen Klasse wurde er in Bochum und bei Hertha BSC einst als „Zaubermaus“ gefeiert. Zauberkünste könnten auch bei seiner neuen Aufgabe nicht schaden.“

Rückendeckung durch die Vereinsführung blieb aus

Im Interview mit Ulrich Hartmann (SZ) zeigt sich Heiko Herrlich nach seiner Demission erstaunlich offen und schildert die Vorfälle aus seiner Sicht: „Die Mannschaft hat an diesem Montag unmöglich trainiert, einfach lustlos. (…) Es gab am Dienstag eine Wutrede, ich wollte damit die Spieler wachrütteln. Erst haben sie große Augen gemacht und dann gut trainiert und richtig Vollgas gegeben.“ Und Herrlich lässt keinen Zweifel daran, wo er die entscheidende Ursache der zuletzt so negativen Entwicklung sieht: „Grundsätzlich gilt: Wenn Spieler eine Chance wittern, zwischen Trainer und Vorstand zu grätschen, dann wird es für den Klub schwer. Wenn Spieler wissen, zwischen Trainer und Vorstand passt kein Blatt Papier, dann ist die Situation eindeutig. Der Klub wurde nervös, als es nicht so gut lief.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “Von Osterhasen und Wäschekörben – Pressestimmen zur Entlassung Heiko Herrlichs”

  1. Lena
    Samstag, 1. Mai 2010 um 15:04

    Danke, dass Ihr den indirekten freistoss wieder aufpoliert. Wäre schade gewesen, die Internetperle 2008 in 2010 wegen inhaltlichen Abstiegs aus den Favoriten kicken zu müssen.

    Bin gespannt, ob die WM Berichterstattung wieder so grandios wird wie 2006. So bin ich auf jeden Fall guter Dinge.

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