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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Aus der Torwart-Frage sind zwei geworden

Jens Behler | Mittwoch, 5. Mai 2010 11 Kommentare

Nach Rene Adlers WM-Absage sind gleich zwei Stellen im deutschen Tor vakant. Die Presse diskutiert: Wer wird die neue Nummer eins? Und wer fährt als dritter Torwart mit nach Südfrika?

Philipp Selldorf (SZ) ist sich sicher, dass Löw nun auf Manuel Neuer als Nummer eins bauen wird. Bei der Wahl des dritten Torwarts fürs WM-Turnier glaubt er an die harmonischste Variante: „Löw wird sich einen anderen dritten Mann suchen als Lehmann, er wird dem Gebot des Leistungsprinzips die Garantie einer friedlichen Lösung vorziehen und deswegen eher den stillen Jörg Butt als die ehrgeizigen Timo Hildebrand und Roman Weidenfeller auswählen.“

Gegen Lehmann spricht für Selldorf auch, dass er und Tim Wiese nicht das beste Verhältnis verbindet: „Abgesehen davon würde er zwar ein interessantes Experiment eingehen, wenn er Jens Lehmann und Tim Wiese sechs Wochen unter dasselbe Hoteldach stecken würde, aber produktiv wäre diese Versuchsanordnung allenfalls für eine lebendige Krawallberichterstattung.“

Jörg Hanau (FR) spricht sich aus den gleichen Gründen ebenfalls gegen Lehmann als dritten Torwart aus: „Lehmann beansprucht die Eins; er fühlt sich auch zwei Jahre nach seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft weiter als bester deutscher Handarbeiter. Mit ihm würde sich Löw sehenden Auges Probleme ins Haus holen.“ Auch für ihn ist Hans-Jörg Butt der erste Nachrück-Kandidat: „Die Berufung des fast 36 Jahre alten Torhüters wäre nur logisch und konsequent. Butt wäre die Idealbesetzung für diesen Job. Seine Erfahrung und seine Loyalität stehen außer Frage. […] Unaufgeregt, leistungsorientiert. Vor allem aber in sich ruhend. Alles inallem: die Ideallösung.“

Jan Reschke (SpOn) sieht bei der Wahl der neuen Nummer eins keine großen Probleme auf Jogi Löw zukommen: „Und egal, für wen sich Löw nun entscheidet, das Spielsystem muss nicht geändert werden. Die Abwehr muss sich nur bedingt umstellen, die taktische Ausrichtung ist nur wenig betroffen – kurz, der Ausfall von Adler ist zwar für ihn persönlich tragisch, für die Nationalmannschaft aber von relativ geringer Relevanz.“ Beide Kandidaten haben ihre Qualitäten: „Für Neuer spricht seine blitzschnelle Spieleröffnung. Zudem ist Neuer stark auf der Linie und hat eine überragende Technik. Mit 24 Jahren wäre er außerdem eine Lösung auf längere Sicht. Andererseits besitzt der 28-jährige Wiese mehr Erfahrung, vor allem auf internationalem Niveau. Er hat gegenüber Neuer Vorteile beim Herauslaufen, zeichnete sich schon mehrfach durch gehaltene Elfmeter aus.“

Torwart gesucht: Trainieren und Klappe halten

Im Tagesspiegel schreiben Stefan Hermanns und Jörg Strohschein die Stelle als dritter Torwart bei der WM neu aus. Das Anforderungsprofil ist ganz einfach: „Dritter Torhüter bei einer WM zu sein bedeutet: trainieren, trainieren, trainieren – und ansonsten immer schön die Klappe halten. Noch nie ist bei einem großen Turnier Deutschlands dritter Torhüter zum Einsatz gekommen.“ Zwei Keeper stehen damit nach der Meinung der Autoren nicht mehr zur Debatte: „Diese speziellen Anforderungen sprechen gegen einen Kandidaten mit ausgeprägtem Ego wie Roman Weidenfeller von Borussia Dortmund oder Frank Rost vom Hamburger SV.“

Zukunft oder Gegenwart?

Laut Hermanns Kommentar stehe Bundestrainer Joachim Löw bei der Wahl nach seinem ersten Keeper vor einer „verdammt schwierigen Entscheidung.“ Er sieht in Manuel Neuer „den Mann der Zukunft, [denn] seinen altersbedingten Formschwankungen zum Trotz ist Manuel Neuer von allen deutschen Torhütern derjenige, der den internationalen Standard am deutlichsten erfüllt.“ Wiese hingegen stehe für andere – deutsche Torwartqualitäten: „Der Bremer ist – bei allem Bemühen, sich der Moderne zu öffnen – ein Hüter der Linie, er liebt die Flugshow und befriedigt damit nicht nur die Sehnsucht des hiesigen Publikums, sondern vor allem dessen traditionelle Erwartungen.“ Löw müsse also nun zwischen Tradition und Moderne entscheiden: „Doch wenn in einem Monat die WM beginnt, geht es nicht um die Zukunft; bei einer WM zählt nur die Gegenwart, und die verlangt, möglichst viele Spiele zu gewinnen und zu diesem Zweck möglichst wenig Gegentore zuzulassen. Die typisch deutschen Torhüter, die Hüter der Linie, haben es in dieser Disziplin immer schon zu einer gewissen Meisterschaft gebracht, gerade bei großen Turnieren.“

Ensemble in Moll

In der FAZ wirft Michael Horeni einen Blick auf das große Ganze. Für ihn fügen sich Adlers WM-Absage und die Nicht-Nominierung von Kevin Kuranyi hervorragend in das Gesamtbild, welches die DFB-Elf so kurz vor dem Turnier in Südafrika abgibt: „Aber die beiden Personalien passen sechs Wochen vor der Weltmeisterschaft sehr genau zur Atmosphäre um das Nationalteam, das von Aufbruchstimmung so weit entfernt ist wie vom WM-Titel. Seit den gescheiterten Vertragsverhandlungen des Bundestrainers und seiner Helfer zu Beginn des WM-Jahres präsentiert sich die erste Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes als ein Ensemble in Moll. Von Vorfreude auf das Turnier in Südafrika, von ansteckender Begeisterung und sportlicher Frische kann jedenfalls keine Rede sein, überall knirscht und kracht es.“

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Kommentare

11 Kommentare zu “Aus der Torwart-Frage sind zwei geworden”

  1. erz
    Mittwoch, 5. Mai 2010 um 20:15

    Erstmal Grüße an all die neuen Namen, die mir in letzter Zeit als Redakteure beim IF aufgefallen sind.

    Und dann muss ich echt mal eine Lanze für den Wiese brechen: Egal, wie spektakulär und berechtigterweise gelobt Neuers Abwürfe und Abschläge sind – wenn das Kriterium ist, wer das Spiel schneller macht, sprechen die nackten Zahlen eindeutig für den „most improved player“ der letzten zwei Jahre. Tim Wiese bringt den Ball schneller ins Spiel zurück, als all seine Kollegen. Und wiegt gefühlte 40 Kilo weniger als er von den Kraftraumstunden mit Ehrmann nach Bremen mitbrachte.

    Ansonsten ist das Ranking ohnehin eine Frage von Zukunftspotential vs Leistungsstand.

    Und die WM lass ich mir von euch nicht kaputt schreiben. Von niemandem. HEISS WIE FRITTENFETT!!

  2. Johan Petersen
    Mittwoch, 5. Mai 2010 um 20:42

    @Erz. Ich denke, dieses Mal liegst Du daneben. Wiese hat immer noch erhebliche Defizite in der Spieleröffnung. Überhaupt kein Vergleich mit Neuer.

    Ziemlich dünn die Berichterstattung, finde ich. Es geht nicht ums Torwartspiel, sondern um Atmosphäre. An der überregionalen Presse ist vorbei gegangen, dass sich Wiese in seiner Person stark gewandelt hat. Irgendwelche ausfälligen Kommentare zur Nummer eins, die SpOn registiert haben will, habe ich seit Monaten nicht mehr gelesen.

    Ich habe Wiese lange für die Nummer drei gehalten, aber für Neuer kommt die WM ein bisschen früh. Er hat nicht die Qualitäten von Wiese auf der Linie und im eins gegen eins.

  3. erz
    Mittwoch, 5. Mai 2010 um 23:09

    @Johan Petersen: Auch mich wird der aufmerksame Leser sicher noch dabei erwischen, wie ich Unsinn schreibe, aber da ich mich einer Bewertung enthalten habe und nur anmerken wollte, dass Wiese im Schnitt schneller den Ball zurück bringt: Stimmt das wirklich nicht? Ich bin sicher, dazu mal Zahlen gelesen zu haben, aber ich finde sie im Moment nicht.

    Abgesehen davon stimme ich dir zu, dass Neuers Qualität in der Spieleröffnung unübertroffen ist. Ich sehe Wiese seit der letzten Saison trotzdem als den stabilsten Torwart, weil ich bei keinem Torwart sonst eine derart beeindruckende Weiterentwicklung sehen konnte. Nicht nur körperlich, was bei Wiese natürlich besonders auffiel, aber sein Spiel ist doch weit weg von der Ehrmannschule, aus der er kam. Deswegen war Wiese vom aktuellen Stand auch vor Adlers Verletzung mein Favorit.

    Neuer ist allerdings ein Tier. Wenn der seine Anlagen ausschöpft, das wird ein reiner Welttorhüter. Wie der sich bewegt, meine Fresse. Die Spieleröffnung ist eh Weltklasse. WELTKLASSE.

    WELTMEISTERLICH! Das wird eine super WM, ihr zauderndes Zaunvolk. Pack, packiges. Euphoriealarm!!!oneone1

  4. Johan Petersen
    Mittwoch, 5. Mai 2010 um 23:32

    Ich nehm mal eine Stoppuhr ins Stadion. Es geht mir allerdings weniger um die Geschwindigkeit, als die Brauchbarkeit. Flache, vertikale Spieleröffnungen in den Lauf eines Konterspielers habe ich bei ihm noch nie gesehen. Neuer kann das. Die Abwürfe von Wiese sind auch nicht flach genug und haben zu viel Spin. Wie soll die Ballverarbeitung des deutschen Durchschnittsstürmers die aus dem Himmel holen?

    Neuer ist ein unglaubliches Rundumpaket, dem die Zukunft gehört. Bei einem WM-Turnier geht es aber auch darum, alles abrufen zu können. Da könnte Wieses Erfahrung ihm den entscheidenden Vorteil bringen.

  5. Jörg
    Donnerstag, 6. Mai 2010 um 00:31

    Sehr schade natürlich für René Adler.

    Mir kommt so ein bisschen vor, daß Adler so ein Mittelding zwischen Wiese und Neuer ist. Nicht ganz so formschwankend wie Neuer, nicht ganz so traditionell wie Wiese und authoritätsausstrahlend genau in der Mitte der beiden anderen.
    Ist natürlich schwer subjektiv. Aber letzlich wird auch die Entscheidung Löws von subjektiven Faktoren abhängen.

    Nun ist Löw gefragt sich zwischen – na sagen wir mal – „extremeren“ Varianten zu entscheiden. Spannend.

    Ich ganz persönlich tendiere zu Wiese…

  6. Thor
    Donnerstag, 6. Mai 2010 um 10:28

    Was zusätzlich für Wiese spricht: Er spielt mit Mertesacker im Verein. Da die Abwehr keine eingespielte sein wird (alleine der zweite Innenverteidiger wechselte in den letzten acht Spielen gefühlte 24 Mal, der nicht-lahmsche Außenverteidiger eher noch häufiger) halte ich diesen Faktor für nicht ganz unwichtig. Und falls jemand jetzt Westermann ins Spiel bringen möchte: Ich mag mich täuschen, aber oft hat er in dieser Saison jetzt nicht vor Manuel Neuer den Innenverteidiger gegeben, oder?

  7. Jugendtrainer
    Donnerstag, 6. Mai 2010 um 13:35

    Das ist natürlich alles sehr bedauerlich für Adler und er kann einem leid tun.

    Für die Nationalelf ist das aber kein Problem, denn für mich ist Manuel Neuer ohnehin der bessere Torwart.

    Ich finde, dass Neuer nicht nur das größere Talent ist, sondern auch moderner als Adler und Wiese spielt (Abwürfe, Rauslaufen/Mitspielen u.a.).

    Neuer ist es gewöhnt zu Hause auf Schalke und auswärts mit Schalke regelmäßig vor größten Kulissen und entsprechender Atmosphäre zu spielen. Er war bisher immer dem enormen öffentlichen und medialen Druck, der auf Schalke nicht nur im Meisterschaftsendspurt viel größer ist als z.B. im beschaulichen Bremen (bei den „Lieblingen der Medien“) oder im unaufgeregten Leverkusen, gewachsen, was auch bei der WM sehr wichtig sein wird.

    Zu Wiese: Seine Strafraumbeherrschung bei hohen Bällen ist mit die schlechteste in der ganzen Bundesliga. Und Wiese ist oft/regelmäßig übermotiviert, seine Kompromisslosigkeit geht oft so weit, dass er nicht nur ernsthaft die Gesundheit des Gesundheit des Gegenspielers gefährdet, sondern durch unnötiges Rauslaufen sehr oft auch das eigene Tor in größte Gefahr bringt. Auch verbal übertreibt er oft bei weitem, für die Nationalmannschaft ist mit Sicherheit mehr Zurückhaltung erforderlich.
    Beim Abfangen von Flanken, beim Abwurf oder Abstoß hat Wiese nicht annähernd Neuers Qualität erreicht.
    International erinnert man sich auch daran, dass („Frau“ in pink) Wiese ganze Spiele durch kapitale Fehler fast ganz alleine verloren hat und in der Bundesliga an die Fehler gegen Leverkusen, Hertha und Gladbach in der gerade gespielten Rückrunde.

    Neuer hat sehr wohl auch die nötige internationale Erfahrung. Er hat nicht nur mehr und erfolgreicher in den Jugend-Nationalteams gespielt. Er hat auch schon sehr erfolgreich in der Champions League und ständig im UEFA-Cup (einzige Ausnahme ist die aktuelle Saison) international gespielt und sich bewährt. Er hat Schalke mit seinen Paraden und als Elfmeterkiller fast im Alleingang bis ins Viertelfinale der Champions League gebracht. 2009 war Neuer sogar in der UEFA-Elf des Jahres, und zwar völlig zu Recht!

    Zudem ist der Klartext-Torwart Manuel Neuer nicht umsonst schon stellvertretender Kapitän und Führungsspieler bei Schalke 04 und er war DER Garant für den Erfolg und die phänomenale Saison der jungen Schalker Mannschaft.

  8. Linksaussen
    Donnerstag, 6. Mai 2010 um 17:47

    Bitte mal die Schalke-Brille abnehmen, Jugendtrainer.

  9. Johan Petersen
    Donnerstag, 6. Mai 2010 um 19:59

    @Jugendtrainer: Neuer ist insgesamt der bessere Torwart,aber hier schiesst Du gewaltig übers Ziel hinaus.

    Eine CL-Saison gleich internationale Erfahrung? Und nein, Jugendnationalmannschaftspiele vor dreihundert Seelen zählen leider auch nicht.

    Wiese hat sein Spiel in diesem Jahr beruhigt. Neuer hingegen ist zuletzt oft zu agressiv aus dem Tor gekommen, obwohl Verteidiger noch hätten eingreifen können.

  10. Stefan WM 2010 Fan
    Freitag, 14. Mai 2010 um 12:30

    Was ich mich bei der ganzen Diskussion mal wieder frage: Warum muss bei der Mannschaft für die WM 2010 die „friedliche Lösung“ dem „Leistungsprinzip“ vorgezogen werden? Nur mit Leistung kann man etwas erreichen. Warum meint Löw, dass er mit einer Softie Tour den Pokal gewinnen kann?

  11. Emilie Kolic
    Sonntag, 13. Februar 2011 um 06:29

    Hm, Now i am happy with this but nonetheless not totally sure, hence i‘m going to research a bit more.

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