indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Große Emotionen in Hannover, Randale in Bochum und Düsseldorf

Jan-Kristian Jessen | Montag, 10. Mai 2010 1 Kommentar

In den glücklichen Momenten des Klassenerhalts gedenkt 96 seiner verstorbenen Nummer eins, Robert Enke. 50 Meter dahinter stürmen Bochumfans den Platz.

Der große Gewinner des 34. Spieltags heißt Hannover 96. Die Niedersachsen, die in der nächsten Saison zum neunten Mal in Folge erste Liga spielen werden, „durchlebten beim rettenden Auswärtssieg [in Bochum] den emotionalen Ausnahmezustand“, wie Robert Zorn von der FAZ beobachtet hat: „In der roten Ecke ist das Glück zu Hause und die Erleichterung und die Traurigkeit. Denn in dem Moment, da Hannover 96 den Bundesliga-Verbleib erstklassig feiert, spielt in den Gedanken und Gefühlen der Mannschaft auf dem Rasen und der Gemeinschaft auf den Rängen ein zwölfter Mann mit: der frühere Kapitän Robert Enke.“

Die Hannoversche Allgemeine beschreibt die Emotionen nach Spielende: „Während 96 den Klassenerhalts-Boogie-Woogie tanzte, stimmten die hannoverschen Fans plötzlich eine Liedzeile an, die sofort eine Gänsehaut verursachte. Sie sangen ‚Robert Enke, du bist der beste Mann’.“ Fans und Mannschaft gedachten gleichermaßen ihrer verstorbenen Nummer 1: „Ein Fan warf den 96-Profis ein großes, schwarzes Transparent zu, auf dem stand in weißen Druckbuchstaben oben ‚ROBERT’ und unten ‚R.I.P.’ (Ruhe in Frieden). Die Spieler gingen damit an dem Block mit den Anhängern vorbei und legten es dann vorsichtig im Strafraum ab. Ein stiller, großer Moment.“ Dass der Verein die Tragödie dennoch grundlegend aufarbeiten muss, unterstreicht Peter Ahrens (Spiegel Online): „Die Saison ist für Hannover 96 vorbei. Das Trauma dieser Saison noch lange nicht.“

Wie es sportlich nun weitergeht, steht noch nicht fest. Laut der Hannoverschen Allgemeinen habe Martin Kind eine „umfassende, offene, ehrliche, kritische und selbstkritische Analyse“ angekündigt: „Wir müssen alles infrage stellen. Dabei geht es nicht darum, Einzelne zu kritisieren, es geht um den Lernprozess“, wird der Präsident zitiert. Ulrich Hartmann von der SZ erlebte einen selbstbewussten Mirko Slomka: „Er erklärte wie selbstverständlich, er freue sich auf die Planung für die neue Saison, es werde toll, mit dieser Mannschaft weiter zu arbeiten, denn er sei ja als ein Trainer geholt worden, der hier etwas aufbauen soll.“

Nürnberg: Über das Hintertürchen Relegation die Klasse halten

Zwar haben die Nürnberger ihr Heimspiel gegen Köln gewonnen, mangels Bochumer Unterstützung bleibt am Ende allerdings nur die Relegation. Christian Kamp von FAZ.NET sieht trotz des Sieges vor den Spielen gegen Augsburg noch Verbesserungsbedarf: „Die Leistungen beider Mannschaften entsprachen allerdings durchaus der Tabellenregion an der Grenze zur Zweitklassigkeit. Bei ungünstigem Verlauf wäre auch der achte Abstieg ein Szenario schon für diesen Samstag gewesen. Und wer nach einem schlechten Omen gesucht hatte, konnte es in der Historie finden: 1969 waren die Nürnberger ebenfalls mit einer Niederlage gegen Köln abgestiegen.“

Die beiden Entscheidungsspiele sind laut Uli Digmayer (Nürnberger Zeitung) wie eine neue Saison: „Was zuvor war, zählt nicht mehr, das sportliche Schicksal wird nun reduziert auf zwei Partien.“ Der letztlich wertlose Heimsieg gegen Köln habe aber zumindest ‚den schönen Nebeneffekt gehabt, dass wir unseren Negativlauf durchbrochen haben’, so Dieter Hecking.“

Bochum verabschiedet sich aus Liga 1

Dass der VfL Bochum nach der blamablen Niederlage gegen Hannover und dem daraus resultierenden Abstieg im Chaos versinkt, stellt Robert Zorn (FAZ) fest: „Vermummte Randalierer versuchen, den Platz zu stürmen, Steine fliegen, Stühle, Toilettendeckel und andere Gegenstände. Der VfL-Profi Mavraj wird von einem Hooligan angerempelt.“ Reaktionen, die dafür sorgten, dass „sich das Mitleid über den sechsten Abstieg des VfL Bochum in engen Grenzen hielt.“

Christian Otto von der taz hat die Situation allerdings differenzierter gesehen: „Es hätte nicht viel gefehlt und die Anhänger des VfL hätten sich auch noch untereinander geschlagen. Die Wut über die Fans, die auf den Platz gestürmt waren, war beim gemäßigten Kreis der Anhänger riesengroß. Dass sich der Verein auf seinem erneuten Weg in die 2. Liga auf und neben dem Platz blamiert hat, rundete eine völlig missratene Rückrunde des VfL Bochum auf peinliche Weise ab.“

Doch nicht nur die Fans gingen ihren Spielern an den Kragen, sondern auch der Vorstand, so Ulrich Hartmann von der SZ: „Der Rempler gegen Mavraj war harmlos gegen die verbale Abrechnung: ‚Die Spieler haben sich selbst über die Sache gestellt, sie haben sich nicht untergeordnet und nicht getan, was ihnen vorgegeben wurde’, tadelte der Sportdirektor Thomas Ernst.“

Entlarvend für die offenkundige Seelenlosigkeit der Mannschaft unter Rebellenführer Marcel Maltritz, der den Abstieg scheinbar ungerührt hinnahm, seien die Worte von Interimsbetreuer Dariusz Wosz gewesen: „Er sah nach dem finalen Desaster keinerlei Grund mehr, die widerwilligen, unfähigen und phlegmatischen Fußballer zu schützen: ‚Die Mannschaft ist nach nur einer Viertelstunde kaputt gegangen, sie haben keinen Fußball mehr gespielt, da bist du als Trainer machtlos, da bist du als Trainer Luft.’“ Michael Eckhardt (11 Freunde) hat das sportliche Geschehen auf den Punkt gebracht: „Nichts war zu sehen von dem versprochenen unbedingten Willen, das Schicksal noch zu wenden. Hannover 96 genügte eine Halbzeit, um diese lose Ansammlung führungsloser Egomanen in Trümmer zu legen.“

Rostock vor dem freien Fall?

Dass in Rostock die eigenen Fans ihren Verein in die Drittklassigkeit stürzen könnten, hat Ronny Blaschke (taz) nach den Randalen im letzten Zweitligaspiel in Düsseldorf aufgezeigt: „Tim Sebastian, der Mannschaftskapitän, sagte, das Team sei während des Spiels wie gelähmt gewesen. Ein Teil der Rostocker Fans verdeutlicht, dass eine dauerhafte Befriedung des Fußballs auf Jahre hinaus unmöglich ist, ganz gleich, wie drastisch die Strafen ausfallen. Als die ersten Feuerwerkskörper explodierten, klatschten Hunderte in der Rostocker Kurve, sie solidarisierten sich mit den Zündlern.“

Die Politik sei nicht ganz unschuldig an der Situation: „Ein sozialpädagogisches Fanprojekt, das sich um Gewalt- und Extremismusprävention kümmert, nahm seine Arbeit 2007 auf, seit Anfang der Neunzigerjahre war die Finanzierung immer wieder am Unwillen der Kommune oder des Lands gescheitert. Es wird noch Jahre dauern, um diese Zeit aufzuholen. Eine Zeit, die Rostock den Profifußball kosten könnte.“

freistoss des tages

Kommentare

1 Kommentar zu “Große Emotionen in Hannover, Randale in Bochum und Düsseldorf”

  1. Thor
    Dienstag, 11. Mai 2010 um 13:05

    Auch wenn der Freistoss des Tages mir insgesamt etwas blumig ins Kraut schießt, schon alleine wegen der Charakterisierung von Jens Lehmann ist er sehr, sehr lesenwert: „(Lehmann), der mit seinem Land eine Art Franchise-Abkommen abgeschlossen hatte: Er führte den Strafraum der Nationalmannschaft wie sein Geschäft, mit dem Mutterkonzern nur lose und aus rasendem Eigeninteresse verbunden.“
    Eine grandiose Formulierung!

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