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Am Grünen Tisch

Blatters Kehrtwende, die Angst vorm Fernseher und ein geplanter Coup

Kai Butterweck | Mittwoch, 30. Juni 2010 Kommentare deaktiviert für Blatters Kehrtwende, die Angst vorm Fernseher und ein geplanter Coup

Während Sepp Blatters jüngste Meinungsänderung bezüglich technischer Hilfsmittel im Fußball heiß diskutiert wird, haben WM-Fans in Somalias Hauptstadt ganz andere Sorgen; Südafrikas Polizeichef sieht die bisherige Sicherheitsarbeit als Erfolg an

Der Fifa-Chef hat in der Diskussion um die Einführung des Videobeweises überraschend seine Meinung geändert. Diese Szenerie erinnere Sven Flohr (Welt Online) an die letzten Tage der DDR: „Monatelang war das Volk für Veränderungen auf die Straße gegangen, die woanders längst eingeläutet worden waren. Die Funktionäre aber gaben sich ignorant und lenkten erst ein, als es keine andere Möglichkeit mehr gab. So geht es nun Blatter. Die Fehler der Schiedsrichter bei dieser Fußball-WM sind so gravierend, der Aufschrei über sie so groß, dass der Schweizer nicht mehr anders kann. Zuvor hatte er sich dem Thema standhaft verweigert. Der Weg zum Videobeweis muss nun vorsichtig beschritten werden. Eine Variante wäre, jedem Team pro Halbzeit einen Blick in die Zeitlupe zu gewähren. Eine ähnliche Regel hat dem Tennis zu neuer Spannung verholfen. Sie könnte zudem den Einfluss korrupter Schiedsrichter beschneiden. Unabdingbar ist die Einführung einer Torkamera, die blitzschnell Auskunft über die Fragen aller Fragen gibt: drin oder nicht drin.“

Auch Christoph Fischer und Ulrike John (Westdeutsche Zeitung) beschäftigen sich mit der Thematik und reden gar vom „Kniefall des Joseph Blatter“. Die Diskussion, über welches Reformmodell auch immer, sei aber nicht neu: „Blatter erklärte die Schiedsrichter-Problematik nun zur Chefsache. Zehn Tage nach der WM sollen die Experten des Weltverbandes in Cardiff zusammenkommen, um ein weiteres Mal über technische Hilfsmittel zu beraten. Blatter kündigte für den Herbst ein neues Modell an, mit dem das Schiedsrichterwesen einschneidend reformiert werden soll.“

Pro und contra Videobeweis

Auf stern.de streiten sich hingegen Daniel Barthold und Carsten Heidböhmer um das Für und Wider hinsichtlich des Videobeweises. Barthold hält eine Einführung technischer Hilfsmittel für unausweichlich: „Für den beliebtesten Sport der Welt wäre diese Handhabung und die Einführung des Kameranachweises dringend erforderlich. Logistisch wie finanziell kann dies für die Fifa kein Problem sein. Man muss zudem bedenken, wie verheerend die Fehlentscheidungen für die Mannschaften sind. Es wäre nicht nur einfacher für die Schiedsrichter. Die jüngsten Fehlentscheidungen beweisen, dass ein Umdenken im Fußball stattfinden muss. Die WM-Achtelfinals vom Sonntag sprechen eine eindeutige Sprache.“ Sein Kollege Heidböhmer sieht das etwas anders: „Erst durch Fehler und menschliches Versagen wird aus Fußball mehr als ein einfaches Spiel. Es wird zu einer Parabel auf das wahre Leben: Auch das ist bekanntlich nicht gerecht, und nicht jeder bekommt, was er verdient hat. Durch den Videobeweis verliert der Sport seinen Reiz, wird ein Stück weit berechenbarer, rationaler. Und, nennen wir es ruhig beim Namen: langweiliger.“

90 Minuten Angst in Mogadischu

Arne Perras (SZ) beschäftigt sich mit Fußball-Fans aus Mogadischu und deren Angst, den Fernseher einzuschalten: „Einige Regierungsgebäude und die Gegend um den Flughafen – ist in der Hand der schwachen Übergangsregierung, die von einer afrikanischen Friedenstruppe unterstützt wird und auf Rückhalt in der internationalen Gemeinschaft zählen kann. Das aber hilft nicht viel in einer Stadt wie Mogadischu, in der die radikalislamistische Miliz Al_Shabab verboten hat, Fußball im Fernsehen anzusehen. Sie sagt, dass dies gegen den Glauben verstoße und genauso verwerflich sei wie Musik im Radio oder Filme im Fernsehen. Das Eröffnungsspiel Mexiko gegen Südafrika hatten sich noch viele im TV angesehen, aber kurz danach drohten die Islamisten bei einer Pressekonferenz jedem, der fortan noch den Fernseher einschaltet und Fußball schaut.“ Die Miliz habe nach Angaben von Einheimischen kürzlich eine Fernseh-Versammlung gewaltsam aufgelöst, bei der zwei Menschen ums Leben kamen: „Der Vorfall wird von Journalisten einer somalischen Radiostation bestätigt. Die Islamisten kündigten an, diese Leute bis zum Ende der WM festzuhalten.“

Erfolgreiche Sicherheitsarbeit

Mit Pavlos Joseph, dem Mann, der sich unbehelligt Zutritt zur englischen Kabine verschaffte, befasst sich Jean-Jaques Cornish in der südafrikanischen Mail&Guardian: „Josephs Eindringen in die Sicherheitszone, sei laut [Polizeichef] Cele ein geplantes Unterfangen gewesen, um die Arbeit der Sicherheitskräfte während dieser WM in ein schlechtes Licht zu rücken. Er selbst betrachte die geleistete Arbeit im Bereich Sicherheit bisher als kompletten Erfolg. Im Vorfeld gab es viele kritische Stimmen, ob es denn richtig sei, eine WM in einem Land stattfinden zu lassen, in dem ungefähr 50 Morde am Tag passieren. Bisher ist noch kein Fan getötet worden, aber es hat schon mehrere schwere Raubüberfälle auf Journalisten gegeben und es wurde auch schon Eigentum von Spielern in deren Hotelzimmern gestohlen.“

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