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Ball und Buchstabe

Architektur der Angst und die wahren WM-Helden

Kai Butterweck | Donnerstag, 8. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Architektur der Angst und die wahren WM-Helden

Die Presse wagt sich an ein Südafrika-Fazit, erkennt Mogeleien im Fernsehprogramm während der WM und huldigt den wahren Stars des Turniers

Markus Völker (taz) berichtet nun schon seit fast vier Wochen aus Südafrika, doch es fühle sich mittlerweile ein halbes Jahr an. Innerhalb dieser Zeit habe er einiges an Ansichten ansammeln können: „Nach über 5.000 Zeilen, gut 150.000 Zeichen und fast 50 Texten, einem vollgeschriebenen Ringblock, zerlatschten Schuhen, zig Transkripten, Fußballgesprächen und 60 WM-Spielen bilde ich mir ein, über die Erfahrung eines Kriegsberichterstatters zu verfügen, der seinen fünften Großeinsatz im Krisengebiet überlebt hat. Es kommt jetzt öfters mal vor, dass ich gefragt werde, wie ich Südafrika denn nun finde nach dieser doch recht langen Zeit. Eine griffige Antwort fällt mir dann nicht ein. `Na ja, es ist halt ein schwieriges Land`, setze ich an, um dann eine gewagte Prognose zu formulieren, `ich glaube, dass dieses Land seine Probleme schon noch ein paar Jahrzehnte mit sich herumschleppen wird, so schnell lösen sich die Widersprüche zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Arm und Reich bestimmt nicht auf`. Kann gut sein, höre ich dann meist von meinem Gesprächspartner. Ich verweise auf die Architektur der Angst in diesem Land: überall spitze Lanzenzäune, Stacheldraht, hohe Mauern, Bewegungsmelder, Stromleitungen zur Abschreckung, vergitterte Fenster, Alarmanlagen und Schilder mit der Aufschrift `Armed Response` oder `Piranha Security`.“

Sinnlose Wiederholungen

Adrienne Braun (Stuttgarter Zeitung) beschäftigt sich mit dem Fernsehprogramm während der Zeit der WM und zeigt sich dabei wenig begeistert: „Das Fernsehprogramm hat seine ganz eigenen Gesetze. Wenn zum Beispiel irgendwo in Südafrika jemand auf einen Fußball tritt, setzt die ARD kurzerhand eine andere Folge ihrer Endlosserie `In aller Freundschaft` an. Eigentlich steht gerade die Folge 480 an, aber mittendrin, einfach so, wird irgendeine andere Folge aus dem Archiv gezogen und heimlich eingeschleust. Zum Beispiel die Folge 403. Oder 405. Da sind die Kinder wieder klein. Oder die Ärzte ganz jung. Als hätte man im Krankenhaus die Zeit zurückgedreht. Andere Serien fallen einfach aus. Da sagt man womöglich Verabredungen ab, hetzt nach Hause, haut sich vor die Glotze – und landet bei einem Krimi, in dem noch mit D-Mark bezahlt wird. Bei `In aller Freundschaft` hält man dagegen die Fahne hoch: Ob Sommer oder Winter, Ferien oder Fußball, irgendeine olle Folge findet sich immer, die man wiederholen kann.“

Typen ohne Schienbeinschoner oder Akkreditierungsausweis

Für Marc Goergen (stern.de) kommen bei dieser WM die eigentlichen Stars der Veranstaltung aus den ärmlichen Townships: „Die Weltmeisterschaft ist schon wieder fast vorbei, doch wenn in diesen Tagen am Kap eines klar geworden ist, dann: Es war nicht der Zauberfußball einiger vermeintlicher Superstars, der diese WM ausgemacht hat. Es waren eher die heimliche Helden, die aus dieser Weltmeisterschaft eine besondere, eben eine afrikanische gemacht haben. Typen ohne Schienbeinschoner oder Akkreditierungsausweis. Es scheint manchmal, als ließe die Weltmeisterschaft die Farben der Regenbogennation ein wenig verwischen. 64 Fußballspiele heilen nicht Aids, sie beseitigen nicht die Armut und schaffen auch nicht Millionen neuer Jobs. Aber wer hätte gedacht, dass sich burische Rubgy-Fans ein Bafana-Shirt über den Bauch streifen? Wer hätte gedacht, dass Südafrikas Fans für ein paar hoffnungsschwangere Tage Ghana als Patenkind adoptierten – in einem Land, das erst vor zwei Jahren über 50 Tote nach xenophobischen Ausschreitungen zu beklagen hatte? Und es ist tatsächlich eine afrikanische Weltmeisterschaft. Die Teams des Kontinents enttäuschten, aber ihre Fans, die Millionen afrikanischer Immigranten in Südafrika, die überzeugten.“

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