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WM 2010

Das Finale wirft seine Schatten voraus

Marc Vits | Freitag, 9. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Das Finale wirft seine Schatten voraus

Hollands Wesley Sneijder steht im Rampenlicht, Giovanni van Bronckhorst will dort noch einmal hin; Luis Aragones hat den spanischen Erfolg vorhergesehen, ein Engländer darf das WM-Finale pfeifen und Uruguay ist eigentlich schon Weltmeister

Wer in der Elftal derzeit den Unterschied ausmacht, brauch man eigentlich gar nicht mehr erwähnen: Wesley Sneijder. Was diesen Mann so stark macht, fasst Stephan Ramming in der Neuen Zürcher Zeitung kurz und prägnant zusammen: „Er ist ein Produkt der Ajax-Schule, schnell, wendig, beidfüssig, mit herausragendem Pass und blendender Technik.“ Nachdem es bei Real Madrid nicht gut lief, sei Sneijder im letzten August zu Inter Mailand verschoben worden. Mehr als ein Glücksfall: „Unter dem Inter-Trainer José Mourinho fand der offensive Mittelfeldspieler in der vergangenen Saison die Balance zwischen Anmaßung, kühler Selbstkontrolle und dem Blick für das Wichtige im Team. Im Halbfinale der Champions League gegen Barcelona war es Sneijder, der den Mailänder Riegel gegen Messi und Co. organisierte, gegen Chelsea setzte er die entscheidenden Stiche gegen die individuelle Übermacht von der Stamford Bridge.“ Nach drei gewonnen Titeln in diesem Frühling mit Inter Mailand stehe am Sonntag in Johannesburg der vierte Titel innerhalb von 68 Tagen an. „Wer Sneijder in den letzten Tagen mit anhaltendem Lachen und stechendem Blick auf und neben dem Platz erlebt hat, hegt keinen Zweifel: Sneijder will zurzeit alles, was er kriegen kann.“

Ein letztes Mal im Rampenlicht

Auf einen verkannten Arbeiter in der holländischen Nationalmannschaft blickt Frank Hellmann (FR). Giovanni van Bronckhorst, der am Sonntag sein letztes Spiel für „Oranje“ machen wird, stehe selten im Rampenlicht. Und doch könne „er zum Hauptdarsteller werden. Der Kapitän des Siegerteams empfängt ja traditionell diesen Goldpokal, um den sich seit dem 11. Juni in Südafrika die besten Fußballer der Welt balgen. Bekommt ihn van Bronckhorst überreicht, wird das ein Bild für die Ewigkeit. Seine Augen bekommen einen eigenartigen Glanz, wenn er sich das ausmalt. ‚Es ist ein Jungentraum, im letzten Spiel der Karriere Weltmeister zu werden.‘ Als van Bronckhorst verkündete, er würde mit dieser WM abtreten, konnte ein bodenständiger Charakter wie er ja nicht ahnen, dass das wahre Leben manchmal mitunter noch mehr als erfüllte Träume zu bieten hat. Aber jetzt kommt sein größtes Spiel ganz zum Schluss: ein WM-Endspiel.“ Bis zu seinem Auftritt gegen Uruguay habe sich „nicht mal die Heimat wirklich für ihren braven Verteidiger links hinten in der Viererkette interessiert, weil Künstler wie Arjen Robben, Egomanen wie Wesley Sneijder oder Charaktere wie Robin van Persie den Stoff für die Geschichten lieferten.“ Doch dann habe die Nummer fünf ihren einzigen „Torschuss abgegeben. Halblinks versetzt weit weg von der Strafraumgrenze. Aus 37 Metern. Und dieser einzige Versuch war drin. Zum 1:0 gegen Uruguay.“ Eben jenes Tor steigere daher auch erheblich „die sonntägliche Aussicht mit der begehrten Trophäe im Konfettiregen und Blitzlichtgewitter im Mittelpunkt zu stehen. Nur noch ein einziges Mal.“

Geschliffene Rohdiamanten

Peter B. Birrer (NZZ) hat die neue spanische Sachlichkeit entdeckt. Die Bilanz der Vorrunde sowie des eher mittelprächtigen Achtel- und Viertelfinals werfe niemanden um, aber: „Früher sind die Spanier in entscheidenden Momenten oft gescheitert. Jetzt leben sie das offensichtlich anders, effizienter, erfolgsorientierter.“ Beim Stöbern im Archiv ist Birrer zudem aufgefallen, dass die Entwicklungsprozesse der spanischen Spieler schon vor einigen Jahren absehbar waren: „Nach dem 1:3 Spaniens im WM-Achtelfinale 2006 gegen Frankreich wurde der damalige Spanien-Trainer Aragones in der NZZ so zitiert: ‚Die Jugend hat das Vorrecht, Fehler zu machen. Aber sie steht auch in der Pflicht, daraus zu lernen. Eines Tages wird der Konstellation von Rohdiamanten der Durchbruch gelingen.’ 2006 dabei waren: Casillas, Puyol, Xavi, Torres, Xabi Alonso, Fabregas, Villa und Sergio Ramos. Sie sind geschliffen, die Diamanten: 2008 EM-Titel, 2010 WM-Finale.“

Carles Puyol, der Schütze des Siegtreffers im Halbfinale gegen Deutschland, sei nicht nur auf seine wallende Haarpracht zu reduzieren, befindet Christian Zaschke (SZ): „Puyol ist ein toller Fußballer, doch oft wird nur auf seinen großen Willen und seine großen Haare abgehoben; dass er in einer Mannschaft wie dem FC Barcelona keine zwei Minuten auf dem Platz stünde, wenn er nicht wirklich spielen könnte, geht dabei meist unter. Puyol spielt dort nicht nur mit, er ist seit vier Jahren Kapitän der wohl besten und sicherlich aufregendsten Vereinsmannschaft der Welt.“ Vor allem in Skandinavien würde sich die Presse hauptsächlich von seiner Frisur inspirieren lassen. Im dänischen Ekstra Bladets hätte der Spanier lesen können: „‘Puyol, diese Mischung aus Tarzan und Jesus, flog durch die Luft wie Superman.‘ Tarzan und Jesus, das zielt nicht auf Puyols (sicherlich einwandfreien) Charakter, da geht es eindeutig um die Haare. Es sind besonders die Nordmenschen, die Puyol mit seiner Mähne inspiriert, die allerdings weniger an Tarzan oder gar Jesus gemahnt, sondern leicht ins Jimi-Hendrix-hafte tendiert, was ja auch viel besser zum Spielstil Puyols passt.“ Dabei sei „der Wert eines Spielers wie Puyol ohnehin kaum hoch genug einzuschätzen; für den FC Barcelona und die spanische Nationalmannschaft mit all den kleinen Künstlern ist er besonders wichtig, denn er bedeutet zum einen die nötige Erdung, zum anderen das dringend benötigte Moment der Kraft. Er ruft, schreit, dirigiert und motiviert, gegen ihn zu spielen macht sicherlich überhaupt keinen Spaß, mit ihm zu spielen, muss die reine Freude sein. Läuft es mal nicht so rund, reicht ein Blick auf den Mann, dem die Haare bisweilen im Gesicht kleben wie zu lange gekochte Spaghetti, um die Laune umgehend zu heben.“

Einzigartige Belohnung

Der Engländer Howard Webb darf das Finale zwischen Holland und Spanien pfeifen. Ian Chadband vom Daily Telegraph freut sich über die Chance, bei diesem „von englischer Inkompetenz geprägten Turnier“ ein „Minimum an Nationalstolz“ wiederherstellen zu können. Der 38-jährige Webb sei für sein außerordentlich gutes Turnier belohnt worden, indem er nun als erster Schiedsrichter überhaupt innerhalb einer Saison sowohl das Europapokal-Finale als auch das Endspiel der WM leiten dürfe. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass alle drei vorherigen englischen Schiedsrichter in einem WM-Endspiel mit kniffligen Entscheidungen zu kämpfen hatten, „ein Verhängnis, auf das Webb gerne verzichten kann, besonders nachdem er im Anschluss an das EM-Spiel zwischen Polen und Österreich im Jahr 2008 Morddrohungen erhalten hatte.“ Der Autor sieht in der Finalnominierung Webbs eine „einzigartige Belohung für den gelernten Polizisten, der seine Karriere mit dem Pfeifen von Fußballspielen im Park von Rotherham begann und sich nun inmitten einer fünfjährigen Berufspause befindet, um sich auf den Fußball zu konzentrieren.“

Weltmeister der Latinos

Für Uruguay stelle das Erreichen des kleinen Finales einen großen Erfolg dar, so Frauke Böger (taz). Schon vor dem Halbfinale gegen Holland habe sich die Begeisterung über die Leistung der Mannschaft in Uruguay gezeigt: „Der Stolz, der durch die Straßen Montevideos getragen wird, ist berechtigt. Weil sie es fußballerisch weit gebracht haben, nicht weil sie Maradona heißen.“ Seit der WM 1970, die mit dem vierten Platz endete, habe man in dem südamerikanischen Land keine Weltmeisterschaft so gebannt verfolgt. Und die Spiele der „Celeste“ haben begeistert: „Die letzten zehn Minuten des Halbfinales gegen Holland, als Uruguay zum 2:3 aufholte und die Möglichkeit eines Ausgleichs und der Verlängerung noch mal in greifbare Nähe rückte, gehörten zu den aufregendsten des Turniers.“ Im Spiel um den dritten Platz könnten sich die „Weltmeister der Latinos“ nun noch zumindest die kleine Krone aufsetzen, obwohl sie auch bei einer Niederlage schon Großartiges erreicht hätten: „Die Uruguayer haben einiges für das Erinnerungsalbum dieser WM hinterlassen: Sie haben Frankreich und Gastgeber Südafrika rausgeworfen, dann Ghana, das letzte afrikanische Team. Und das mithilfe eines Handspiels, das sie danach als Heldentat feierten. Vor allem: Sie sind weiter gekommen als alle anderen Südamerikaner. Uruguay hat schon gewonnen.“

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