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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

Vom Schlumpf zu Gustav Gans

Christoph Asche | Sonntag, 11. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Vom Schlumpf zu Gustav Gans

Vor dem Finale beschäftigt sich die Presse mit Wesley Sneijders Identitätswandel, den alles andere als überzeugenden Auftritten beider Teams und Vicente del Bosques großer Bürde, die er vor dem Turnier mit sich trug

Christian Eichler befasst sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Wesley Sneijder – dem Mann, der für die Holländer im Finale gegen Spanien den Unterschied ausmachen könnte: „Bei den Kollegen war der kleine Spielmacher wegen seiner Starallüren und seiner Art, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, eigentlich eher unbeliebt. Intern nannte man ihn den ‚Schlumpf’. Doch bei der WM hat er die Rolle einer anderen Comicfigur übernommen, die von Gustav Gans. Und so ist er plötzlich beliebt. Denn im Fußball ist der Dusel eines Einzelnen ja auch immer der von zehn anderen.“ Gemeint ist die Vielzahl an Toren, die der Champions-League-Sieger von Inter Mailand nur mit vermeintlichem Glück erzielt hat: „Sneijders 1:0 gegen Japan wurde von einem Torwart mit falschen Flugkoordinaten begünstigt. Sein Ausgleich gegen Brasilien war eigentlich ein Eigentor von Felipe Melo. Sein 2:1 gegen Uruguay wurde von einem Abwehrbein günstig abgefälscht.“ Der 26-Jährige sieht das anders: Dieses Glück müsse man suchen, muss man erzwingen. Man müsse die Geilheit haben, das Tor zu machen, wird er von Eichler zitiert. „Dabei hilft auch seine Lebensgefährtin Yolanthe Cabau van Kasbergen, die er am Samstag in Italien heiraten wird. Wegen ihr hat er die Ehefrau und den dreijährigen Sohn verlassen. Die Affäre mit der TV-Moderatorin, die durch eine Überwachungskamera in Amsterdam publik wurde, kostete ihn in Holland viele Sympathien. Nun aber gilt das neue Glück des Spielmachers auch als Glück der Nation.“

In Mailand Riesentalent, in Südafrika Superstar

Auch Birgit Schönau (SZ) sieht in Wesley Sneijder den Schlüssel zum Erfolg und zieht Vergleiche mit seinem spanischem Pendant: „Zuverlässig und unerbittlich wie ein Uhrwerk gibt Sneijder den Rhythmus der Offensive vor, legt beidfüßig Eckbälle auf, verwandelt Freistöße. Fünf WM-Tore hat er selbst erzielt, genau so viele wie der Spanier David Villa. Und genau wie der Konkurrent ist Sneijder ein schmächtiger Spieler, gerade 1,70 Meter groß, einschließlich der Stollenschuhe. Beide taugen als Beweis dafür, dass der athletische Kraftfußball bei dieser WM einem filigranen Offensivstil unterlegen ist. Beide beweisen auch, dass große Mannschaften ihren Weg nicht ohne herausragende Spieler machen können. Sneijder und Villa sind die überragenden Fußballer des Turniers.“ Zu verdanken habe das Sneijder einem Mann, der ihn bei Inter Mailand groß gemacht hat: José Mourinho. „Kaum war der Niederländer in Mailand angekommen, da schwärmte der Portugiese schon von seinem Talent. Mourinho baute den Ausgemusterten systematisch auf, er ließ ihn dirigieren, er ließ ihn fliegen. Und im Verbund mit dem von Maradona bei dieser WM weitgehend verschmähten Argentinier Diego Milito überrollte Sneijder die Konkurrenz in der Champions League. In Mailand entpuppte er sich als Riesentalent, in Südafrika als Superstar. Er selbst sagt ohne falsche Bescheidenheit: ‚Ich bin in der Form meines Lebens.‘“

Del Bosques stoische Ruhe

Javier Cacéres (SZ) weiß um die große Bürde, mit der Spaniens Trainer Vicente del Bosque die WM angetreten ist: „Er war mit großem Respekt nach Südafrika gereist. Im Wissen darum, dass er eine außerordentliche Generation spanischer Fußballer kommandiert. Und im Wissen darum, dass jedes Ergebnis unterhalb des Weltmeistertitels als ein grandioses Scheitern in wirtschaftlich und gesellschaftlich schwieriger Lage empfunden werden würde.“ Anfängliche Schwierigkeiten wie die Niederlage gegen die Schweiz, Fernando Torres’ Abschlussschwäche oder Kritik übende spanische Zeitungen habe del Bosque mit stoischer Ruhe gekontert: „Arbeit. Eleganz. Auch als er das Finale gegen die Niederlande erreicht hatte, war kein einziges Wort, das er unter dem mächtigen Walrossbart nuschelte, lauter als das andere. Triumphalismus? Cero.“ Er habe verinnerlicht, „dass man weder sich, noch den Fußball zu wichtig nehmen darf (eines seiner drei Kinder leidet am Down-Syndrom, auch das hat ihn Abstand vor der oft geheuchelten Glitzerei des Profifußballs wahren lassen). Als er 2008 die EM-Siegermannschaft übernahm – und sich damit der Gefahr aussetzte, im Falle eines Scheiterns bei der WM mindestens gevierteilt zu werden, ließ er bloß den gesunden Menschenverstand walten, führte die Arbeit seines Vorgängers Aragonés fort und justierte hier und da ein paar Schrauben. Nun steht er dicht vor einem großen Ziel.“

Christian Ramming (NZZ) geht der Frage auf die Spur, ob die beiden Finalteilnehmer zu Recht im Finale stehen und kommt zu einem eher ernüchternden Fazit: „Ein Team ohne herausragende Qualität oder nur mit Wettkampfglück wird niemals dein WM-Finale erreichen. Das gilt für Spanien wie für Holland. Doch nimmt man die Vorstellungen der beiden an diesem Turnier zum Maßstab, haben beide Titelaspiranten nie während eines ganzen Spiels restlos überzeugt oder gar begeistert.“ So habe den Oranjes bis auf eine Ausnahme immer nur der minimale Abstand von einem Treffer genügt, die Spanier seien zudem auf lediglich sieben erzielte Treffer gekommen. „Resultate sind keine Wahrheiten. Aber sie sind ein Indiz dafür, dass keiner der beiden Finalteilnehmer seine Gegner nach allen Regeln der Kunst dominierte oder ein Spiel zeigte, das in die WM-Geschichte eingehen wird. Fußball lebt auch davon, dass das Publikum unterhalten und begeistert wird.“ Dafür seien jedoch andere Teams verantwortlich gewesen, allen voran Deutschland gegen Australien, England und Argentinien. Die vielen knappen Siege der Spitzenteams zeigen nach Ansicht von Ramming, dass „die Unterschiede im Spitzenfußball immer kleiner werden und die Welt somit ein wenig näher zusammenrückt. Das mag auf Kosten des Spektakels und der Unterhaltung gehen, zeigt aber auch, dass der Fußball etwa in Uruguay oder Südkorea um den Fußball in Ghana oder Neuseeland weiß.“

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