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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

Fiesta dank Iniesta

Kai Butterweck | Dienstag, 13. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Fiesta dank Iniesta

Spanien ist neuer Fußball-Weltmeister, doch die Presse zeigt sich erschrocken und enttäuscht über den Verlauf des Endspiels

Christian Zaschke (SZ) empfand das Finale als überhart, unschön und doch spannend: „Mit diesem Sieg hat die goldene Generation des spanischen Fußballs jedes Versprechen gehalten, das sie mit ihrem oft so fantastischen Spiel gegeben hat. Der Sieg Spaniens bedeutet, dass die beste Mannschaft das Turnier gewonnen hat; die Mannschaft, die Fußball am ehesten als Spiel verstand, das es zu gestalten gilt. Die unterlegenen Holländer haben das Finale auch deshalb verloren, weil sie einen überraschend destruktiven Ansatz gewählt hatten. Es war kein gutes Spiel, doch es hatte seine Momente. Spanien war spielerisch überlegen, doch was die Chancen angeht, war die Begegnung ausgeglichen.“

Holländische Beißhunde

Für Jan Christian Müller (Berliner Zeitung) hatten besonders zwei Holländer maßgeblichen Anteil am überharten Verlauf des Spiels: „Im Finale von Soccer City trafen nun aber 17 Spieler aufeinander, die in den Jugendakademien des FC Barcelona oder von Ajax Amsterdam zu Spitzenkönnern ausgebildet worden sind. Durchgehend hässlicher Fußball war also eigentlich nicht zu erwarten gewesen zwischen Spaniens goldener Generation und den kurioserweise von eins bis elf sauber durchnummerierten holländischen Technokraten. Dass es dann doch so kam, lag auch daran, dass die als ausgesprochen kratzbürstig bekannten Mark van Bommel und Nigel de Jong natürlich gewillt waren, als Spielverderber ihren Job zu machen. Die Spanier hatten genau deshalb Vorbehalte gegen den englischen Schiedsrichter Howard Webb durchklingen lassen, sie fürchteten, der ehemalige Sergeant der South Yorkshire Police könnte Attacken der beiden Beißhunde zu lange ungeahndet lassen. Vor allem van Bommel war bei dieser WM von den Unparteiischen mit kaum nachvollziehbarer Rücksicht behandelt worden. Ganz unbegründet waren die Befürchtungen nicht.“

Klaus Bellstedt (stern.de) beobachtete einen verdienten Sieg der Spanier, auch wenn diesmal kein Rasenschach dazu geführt habe: „Immer auf den Mann, so lautete das Motto der Mannschaft von Bondscoach van Van Marwijk. Es wirkte. Nichts war es mit den langen Ballpassagen und dem genauen Kombinationsfußball. Den Spaniern, bei dieser WM sonst so beeindruckend angetrieben von den beiden Barca-Großhirnen Xavi und Iniesta, wurde die Lust am Fußballspielen genommen. Spanien hat bei dieser Fußball-WM oft genug perfekten Fußball demonstriert. Im Finale machten es Puyol, Xavi, Villa und Co. trotz ihrer hohen Ansprüche eher auf die holländische Art: Hässlich gewinnen kann Spanien neuerdings auch. Gut so.“

Statt Voetbal total gab es Voetbal brutal

Peter Ahrens (Spiegel Online) sah gar ein „häßliches“ WM-Finale. Während das Ideal des holländischen Fußballs eher eine berauschende Offensive vorsehe, habe sich die Realität im Finale etwas anders gestaltet: „Spielzerstörung, Treten, Fouls – und der lange Ball nach vorne, dem Arjen Robben mit seiner Schnelligkeit hinterherzuhetzen hatte. Statt Voetbal totaal war das Voetbal brutal. Durch die Taktik, sich darauf zu konzentrieren, den Spaniern konsequent die Räume zuzustellen, hat sich das holländische Team selbst seiner Offensivstärken beraubt. Es war wie eine vorzeitige und freiwillige Kapitulation vor der spielerischen Überlegenheit des Gegners.“

Nach Ansicht von Gregor Derichs (Focus Online) hatte das WM-Finale „viel Härte und wenig Klasse.“ Denn „an diesem Abend des 11. Juli 2010 mussten die Statistiker einen sehr fragwürdigen Rekord registrieren: Kein Spiel bei der WM war so zerstört worden durch 47 Fouls, bei keinem WM-Endspiel zuvor musste jemals ein Schiedsrichter wie der Engländer Howard Webb so massiv mit Strafen einschreiten, um die Spieler zur Räson zu bringen. Und Abermillionen Zuschauer an den Fernsehschirmen sahen wie 84.000 Besucher im Stadion, dass die Aggressionen von den Holländern angezettelt worden waren.“

In einem „brachialen“ Spiel war für Andreas Rüttenauer (taz) der Spanier Iniesta der einzig wahre Lichtblick: „Spanien ist Fußballweltmeister. Andreas Iniesta, der beste, weil vielleicht einzig wirklich schön spielende Fußballer an diesem Abend, hat den Europameister zum Weltchampion gemacht. Mit Spanien ist das Team Weltmeister geworden, von dem die meisten meistens schwärmen. Es war eine Schlacht, in der sich das Team durchgesetzt hat, das wenigstens versucht hat zu spielen.“

Auch Oliver Fritsch (Zeit Online) erkannte die „gesegnete Technik“ von Iniesta, die unterstützt von der richtigen Einbindung in eine Mannschaft zwangsläufig zum Erfolg führe: „Südafrika war nicht die WM der Stars, Cristiano Ronaldo flog früh nach Hause, Lionel Messi und Wayne Ronney schossen kein Tor. Und doch kommt der Fußball ohne Individualisten nicht aus. Sie müssen nur von der Mannschaft richtig eingebunden werden, so wie Spaniens Magister Xavi und Andres Iniesta. Iniesta kann seine Stärken in fast allen Zonen des Spielfelds einbringen, gestern sogar als Torschütze. Iniestas große Qualität ist, dass er seine Pässe und Dribblings immer verschlüsselt. In einer Szene gestern wurde er von drei Holländern aus drei Himmelsrichtungen angegriffen, rasch fand er den freien Weg. Das kann natürlich nur gelingen, wenn seine Mitspieler stets alle Passoptionen aufrechterhalten. Das kann natürlich aber auch nur gelingen, wenn man technisch so gesegnet ist wie Iniesta, der zudem offenbar über ein Radarsystem verfügt.“

Geholze statt Spielkunst

Roland Zorn (FAZ) war über die Brutalität der Holländer im Finale entsetzt: „84.000 Zuschauer im Johannesburger Soccer City Stadium sahen einen langwierigen Härtefall unter Europäern, der in 13 Verwarnungen und einer Gelb-Roten Karte für den Holländer Heitinga kulminierte. Fußball gespielt wurde dafür nur selten. Beiden Teams war die Anspannung anzumerken, erstmals den Gipfel der Fußballwelt besteigen zu können. Sie löste sich bei den Spaniern erst so richtig, als der vor Glück weinende Kapitän Iker Casillas den WM-Pokal gegen 23.15 Uhr in den Nachthimmel von Johannesburg streckte.“

Nach Auffassung von Gabriele Marcotti (Wall Street Journal) habe mit Spanien das talentierteste Team diese WM für sich entscheiden können. Verantwortlich für die Härte und die Zerfahrenheit des Spiels seien aber nicht nur die Spieler gewesen: „Kein Videobeweis oder ähnliches hätte die Leistung von Referee Howard Webb an diesem Abend verbessert. Er machte eher Fehler im traditionellen Sinne. Die Entscheidungen, die er traf, inszenierten letztendlich ein Finale, welches außer Kontrolle geriet. Wahrscheinlich wäre alles etwas anders gelaufen, hätte Mr. Webb statt einiger fragwürdiger gelber Karten in der Anfangsphase gleich zu Rot gegriffen.“

José Sámano (El País) ist davon überzeugt, dass dieser Titel einen Schub für das ganze Land auslöst, „nach einem emotionalen und aufregenden Spiel gegen ein grobes und unglückliches Holland, das jenes kunstfertige Spiel unterband, das die spanische Elf auszeichnet. Dennoch musste es sich einem Gegner geschlagen geben, der so beschlagen ist in der Kunst der Improvisation, so berauschend, doch auch so bedächtig. Holland, das zum dritten Mal in einem Finale scheiterte, verlangte der spanischen Mannschaft alles ab, aber diese meisterte jede einzelne Aufgabe. Dies hat sie während der ganzen WM getan. In Wien wurden die Grundlagen gelegt, in Südafrika darauf aufgebaut, und der Grad der Wettbewerbsfähigkeit ist überwältigend.“

Aus dem Spanischen übersetzt von Christian Schwöbel.

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