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Am Grünen Tisch

Tod in der Nachspielzeit

Jan-Kristian Jessen | Mittwoch, 14. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Tod in der Nachspielzeit

Terror in Uganda, die Fifa als Überbringer des Friedens und unnötige Ängste der Deutschen; auch nach dem Endspiel beschäftigt sich die Presse noch ausführlich mit der WM

Arne Perras leitet sein Fazit zur WM in Südafrika in der SZ mit den Worten ein, dass diese ein Erfolg gewesen sei, nur um schon wenige Sätze später zu einer der erschütterndsten Geschichte rund um die WM zu kommen: „Da feiert der ganze Kontinent – bis in die letzten Minuten des Finales. Dann explodieren in Ugandas Hauptstadt Kampala Bomben. Es ist der Moment, der einem Fußballfest ein brutales Ende setzt.“Am Tag nach dem islamistischen Terrorangriff sei die ganze Stadt wie gelähmt: „Nur wenige Autos sind unterwegs, Menschen gehen schweigend vor sich hin. Überall in der Stadt sind Menschen unterwegs, die sich um Freunde sorgen, von denen sie nichts mehr gehört haben. […] Kampala, diese sonst so quirlige und überwiegend friedliche Stadt, verfällt am Montag immer mehr in Starre. Die Menschen trauern um die Toten.“

Auch in Südafrika sei vor der WM vor Terroranschlägen gewarnt wurden, vor nichts anderem habe der Ausrichter mehr Angst gehabt, kommentiert Wolfgang Drechsler (Tagesspiegel). „Er hätte dem Image der Kaprepublik womöglich irreparablen Schaden zugefügt. Dass die befürchteten Bomben nun im 4000 Kilometer entfernten Uganda explodierten, ist allerdings kein Trost. Zumal die Anschläge zeigen, wie schnell der politische Alltag den Kontinent nach dem Fußballfest wieder eingeholt hat. Schlimmer noch: Die Anschläge zeigen, dass der Krieg in Somalia zwischen der international anerkannten, aber weithin machtlosen Übergangsregierung und der mit Al Qaida verbündeten radikalislamischen Al-Shabaad-Miliz immer weitere Kreise zieht.“ Der Westen dürfe die Lage dort nicht ignorieren: „Sonst drohen am Horn von Afrika bald afghanische Verhältnisse.“

Deutschlands unberechtigte Befürchtungen

Dominic Johnson weist in seiner WM-Bilanz für die taz auf die Anschläge hin, indem er die mediale Afrika-Hysterie in Deutschland kritisiert: „So mancher blickte vor allem zu Beginn der WM auf Afrika mit geheuchelter Bewunderung wie auf ein Baby, dem seine ersten selbständigen Schritte geglückt sind. Ein Kontinent wurde entdeckt, so als habe es ihn bis dahin nicht gegeben. Ans Tageslicht kam damit allerdings nicht Afrika, sondern vor allem das deutsche Unwissen.“ Im Laufe des Turniers sei deutlich geworden, dass „Afrika nichts Besonderes ist.“ Weder im Positiven noch im Negativen, weder im Guten noch im Schlechten: „Afrika ist auf Augenhöhe. Das ist ein Gedanke mit erheblicher Sprengkraft. Er entzieht vielen gutmenschelnden Dritte-Welt-Bestrebungen die Legitimität, jedenfalls solange sie Afrikaner nicht als eigenständig Handelnde ernst nehmen. Er nimmt Afrikas Machthabern zugleich die Ausreden für ihr eigenes Versagen. Nein, es ist nicht in Ordnung, wenn im Kongo über 250 Menschen sterben, weil ein Tanklastwagen neben einem WM-Public-Viewing in einem Schlagloch stecken bleibt, umkippt und explodiert. Nein, es ist nicht hinzunehmen, wenn sich Terroristen beim WM-Finale zwischen 1.000 Zuschauern in Uganda in die Luft sprengen und über 60 Menschen mit in den Tod reißen.“ Gerade weil die erste Fußball-WM auf afrikanischem Boden so perfekt abgelaufen sei, weil Südafrika das Besondere als Normalität zelebriert habe, stoße die niederschmetternde Realität von Afrikas Alltag besonders übel auf: „Es ist nicht in Ordnung, wie elend das Townshipleben im südafrikanischen Winter ist, wenn direkt nebenan ein milliardenschweres Fußballfest läuft.“

Fifa – ein Friedensstifter?

Holger Gertz (SZ) beschreibt hingegen, wie die WM das Bild Südafrikas verändert habe: „Genugtuung ist das Gefühl vieler Südafrikaner. Ihr Land war […]als eine Art Vorhölle beschrieben worden, Überfälle werde es geben, Tote wahrscheinlich auch, man solle sich nur mit kugelsicheren Westen dahin wagen.“ Passiert sei dann aber nichts, außer dem einen oder anderen Taschendiebstahl und das Turnier sei gut organisiert gewesen: „Der ‚WM-Killer‘ [Berliner Kurier] war nicht, wie erwartet, in Südafrika aufgetaucht, der WM-Killer war ein Deutscher, der im Rotlichtviertel von Hannover zwei Italiener erschossen hatte: Er hatte nicht glauben wollen, dass Italien schon viermal Weltmeister war, das war der banale Anlass für die Schießerei.“ In Südafrika sei ausgerechnet die Fifa ein Friedensstifter gewesen, wenn auch ein sehr rabiater: „Dass die Kontingente der Polizisten aufgestockt wurden, war Vorgabe der Fifa, die Schnellgerichte wurden auch wegen der Fifa installiert. Dass ein kleiner Dieb ohne große Debatte zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden konnte, war vorher nicht üblich – und ist Ausdruck eines sehr speziellen Rechtsempfindens.“ Die Fifa – während einer WM trete sie als Besatzungsmacht in jenem Land auf, das Gastgeber sein darf – habe potentielle Täter um jeden Preis abschrecken wollen: „Es ging nicht nur um das Image Afrikas, es ging auch um den Ruf der Fifa. Gewalt bei der WM wäre gerade für sie zum Problem geworden, und für ihren Präsidenten Blatter.“

Auch Kim Hawkey, Reporterin bei der südafrikanischen Wochenzeitung Sunday Times und im Rahmen eines Austauschprogramms für Journalisten für zwei Monate in Deutschland, zieht für Zeit Online ein positives Fazit: „Die WM lockte Tausende Besucher ins Land und ihre Geldbörsen. Südafrika zeigte der Welt, zu was es fähig ist. Dass es kein Ort ist, den Investoren, Touristen und andere übersehen sollten. Die Weltmeisterschaft setzte eine beispiellose Welle von nationalem Stolz, in einer oft so ungleichen und geteilten Nation, in Bewegung.“ Nun würden allerdings wieder die vielen Probleme des Landes auftauchen, die vorübergehend aus dem Blickfeld geraten seien: „Die südafrikanische Regierung, der Steuerzahler also, ließ sich die Austragung der WM umgerechnet etwa 4,2 Milliarden Euro kosten.“ Geld das auch in das Gesundheitssystem, Bildung oder Armutsbekämpfung hätte investiert werden können. Dennoch sei der Gewinn für das Land riesig – und werde es bleiben: „Es gibt den unmittelbaren Gewinn, und einen indirekten, nicht greifbaren. Zu Beginn des Monats hatte Südafrikas Finanzminister Pravin Gordhan gesagt, dass Bruttoinlandsprodukt des Landes wird als Ergebnis der WM um geschätzte 3,9 Milliarden Euro steigen. Was sich aber langfristig als noch profitabler herausstellen könnte, ist das positive Image, das von einer erfolgreich durchgeführten Veranstaltung dieser Ausmaße ausgeht. Es gab einige wenige Ausrutscher, vor und während der WM, einige Probleme waren unvermeidbar. Alles in allem aber hat Südafrika einen anständigen Job gemacht – und die ganze Welt war Zeuge.“

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