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Bundesliga

Südseeträume von der Meisterschaft

Matthias Nedoklan | Freitag, 24. September 2010 3 Kommentare

Mit Brachialfußball holt Schalke den ersten Saisonsieg, während man in Dortmund bereits von der Meisterschaft träumt. In Mainz leiden die ersten Spieler bereits unter Schlaflosigkeit

Ulrich Hartmann (SZ) vergleicht Klaas-Jan Huntelaar mit seinem Schalker Vorgänger: „Am Ende eines zum Unentschieden geeigneten Spielverlaufs machte der Strafraumspieler Huntelaar den Unterschied. Obwohl ihm die Pässe und Zuspiele der neuen Arbeitskollegen noch weitgehend unbekannt sind, nimmt er schon jetzt sehr oft an der richtigen Stelle präzise den Ball entgegen und bringt ihn noch zügiger Richtung Tor als jener Kevin Kuranyi, dessen Fortgang nach Moskau von manchem bereits bedauert worden war“

Jörg Strohschein (Tagesspiegel) analysiert die Gründe für den ersten Schalker Saisonsieg: „Magath schien mit diesem Erfolg, den Ivan Rakitic und Klaas-Jan Huntelaar nach beeindruckender Vorarbeit von Joel Matip mit ihren Treffern sicherstellten, sein unumstößliches Ego wiedergefunden zu haben, das in den vergangenen Tagen nicht mehr ganz so robust zu sein schien. Vor allem an der Personalie José Manuel Jurado – dem technisch versierten Spielgestalter, den Magath für 13 Millionen Euro von Atletico Madrid verpflichtet hatte – dürfte auch Magaths jüngste Verunsicherung festzumachen sein. Hatte der Trainer zuletzt stets behauptet, er können den Spanier erst spielen lassen, wenn sich seine Abwehr stabilisiert habe, stand der 24-Jährige im Breisgau erstmals in der Startelf. Hatte Magath die öffentliche Kritik angenommen?“

Christoph Ruf (FR) wundert sich über den Schalker Rustikalfußball: „Vielleicht ist es ja tatsächlich illusorisch, von Schalke 04 in der derzeitigen Lage etwas anderes zu erwarten, als dass das Team den maximalen Erfolg bei minimalen Voraussetzungen anstrebt. Auf spielerische Klasse verzichtet schließlich jeder Trainer liebend gerne, wenn er dafür drei Punkte bekommt. Allerdings verfestigt sich der Eindruck, dass Magath die rustikale Art bewusst vorgibt – auch für bessere Zeiten.“

Meisterträume in Dortmund

Freddie Röckenhaus (SZ) erkennt in der Dortmunder Borussia das Team der Stunde: „Wann hatte Dortmund zuletzt eine so spielstarke Mannschaft? Ist die aktuelle vielleicht sogar spielstärker als die mit geliehenen Millionen eingekaufte, die Mitte der 90er Jahre die Champions League gewann? Wie weit reicht das Potenzial jener verstärkten U21, die trotz eines schweren Startprogramms scheinbar unaufhaltsam auf Platz zwei gestürmt ist – der besten Platzierung seit sieben Jahren, mit dem besten Bundesliga-Start, den Dortmund je hatte? Am Ende der schwarz-gelben Messe herrschte auf dem Rasen und auf der Südtribüne blinder Übermut. Und während seine Spieler in Verbrüderung mit den Fans modernen Ausdruckstanz übten, bügelte Trainer Klopp vor den Fernsehkameras die Fragen nach der tieferen Bedeutung der seriellen BVB-Triumphzüge reflexartig ab: ‚Freunde der Südsee: Geht mir nicht auf den Sack, mit Fragen nach neuen Zielsetzungen.‘“

Richard Leipold (FAZ) bejubelt das Dortmunder Jugendprojekt: „Der vierte Sieg in der fünften Bundesligarunde dieser Saison brachte ihnen den zweiten Platz ein; nur das Überraschungsteam aus Mainz, das bisher alle Partien gewann, steht jetzt noch vor den Borussen. Beflügelt vom souveränen Derbysieg gegen Schalke, frenetisch angefeuert von begeisterten Fans und angetrieben vom überragenden Mittelfeldstrategen Nuri Sahin erteilte der BVB dem nur zu Beginn widerstandsfähigen Aufsteiger aus der Pfalz eine Lektion.“

Felix Meininghaus (Tagesspiegel) porträtiert mit Jürgen Klopp den Vater des Dortmunder Erfolges: „Der Mann, der in Mainz groß wurde, setzt in Dortmund konsequent seinen Weg fort, mit jungen, hungrigen Spielern zu arbeiten. Dabei weiß er mit Sportdirektor Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zwei an seiner Seite, die diese Philosophie ohne Wenn und Aber mittragen. Mit allen Chancen, aber auch mit allen Risiken. Wobei derzeit nur die Stärken zum Tragen kommen.Klopp bestreitet mit dem BVB seine dritte Saison, seine Personalpolitik ist ebenso stringent wie nachvollziehbar. Komischerweise gilt dieser Mann in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer als Kumpeltyp, de facto ist er jedoch ein absolut konsequenter Macher. Spieler, die nicht in sein Anforderungsprofil passen, haben bei ihm keine Zukunft. Die Publikumslieblinge Alexander Frei, Mladen Petric oder Nelson Valdez spielen längst in anderen Klubs. Dafür sind neue Kräfte gekommen, die Klopps Vorstellung von Fußball umsetzen. In der vergangenen Saison reichte das für einen beachtlichen Platz fünf.“

Schlaflos in Mainz

Tobias Schächter (taz) schwärmt vom Spitzenreiter: „Lewis Holtby konnte einfach nicht schlafen von Dienstag auf Mittwoch. Und weil der gewiefte Offensivspieler von Mainz 05 gerne in der digitalen Welt unterwegs ist, schickte er nach dem aufwühlenden 2:0 seiner Mannschaft gegen den 1. FC Köln zu nachtschlafender Zeit via Facebook noch Grüße an die Freunde des Tabellenführers der Fußball-Bundesliga. Schlafen nach so einem Spiel? Das geht nicht. Nicht für einen wie Holtby. Und wer weiß, vielleicht hat auch U21-Nationaltrainer Rainer Adrion nach diesem großartigen Fußballspiel kein Auge zugetan. Als Lewis Holtby acht Minuten nach seiner Einwechslung per Kopf das 1:0 für die Rheinhessen markierte, stand auch Adrion auf der Tribüne im Stadion am Bruchweg neben völlig ekstatischen Mainzer Fans und schüttelte lachend den Kopf. Von seinen Lippen war zu lesen: ‚Wahnsinn.‘ Wahnsinn also. Das sagen viele, wenn es darum geht, zu beschreiben, was da bei diesen Mainzern gerade abgeht: Fünf Ligaspiele, fünf Siege, Platz eins und eine Stimmung im Verein und im Stadion, um die sie viele andere Profiklubs beneiden.“

Jan Christian Müller (FR) holt Thomas Tuchel aus dem überdimensionalen Schatten Jürgen Klopps: „Tuchel sagte vorm ersten Aufeinandertreffen in der vergangenen Saison offiziell, es ehre ihn, mit Klopp verglichen zu werden, tatsächlich ist er mit seinem durchaus intellektuellen Ansatz, das Spiel zu durchdringen, aus guten Gründen schon seinerzeit längst selbstbewusst genug gewesen, sich auf seinen eigenen Stil eine ganze Menge einbilden zu dürfen. Tuchel verbindet die Emotionalität Klopps mit einem tiefen Wissen über Fußballtaktik und Menschenführung, das er sich in neun Jahren als Jugendtrainer beim VfB Stuttgart, dem FC Augsburg und Mainz 05 zulegte. Dem auffallend selbstbewussten Trainer im Gespräch bei seinen Lieblingsthemen Fußball und Matchplänen zuzuhören, ist für Sportreporter jedes Mal wieder eine kostenlose Weiterbildungsmaßnahme. Und für seine Spieler offenbar auch: Bislang ist es dem 37-jährigen bald zweifachen Vater jedenfalls auffallend erfolgreich gelungen, die Mainzer Profis sowohl individuell als auch als Mannschaftsspieler besser zu machen.“

Clash der großen Biester

Markus Hesselmann (Tagesspiegel) freut sich über das Comeback der großen Teams: „Die Bundesliga: ein Hohelied auf Pluralismus und Dezentralismus. Aber wohl auch auf Provinzialismus. Wer will schon wirklich, dass sich der Schwerpunkt des deutschen Fußballs an den Bruchweg verschiebt, wo jetzt schon Vergleiche mit Barcelona und der Premier League gezogen werden? Bei allem Unverständnis über festgefahrene Verhältnisse im Ausland, bei aller Schadenfreude über taumelnde Favoriten: Das wirre Tabellenbild bei uns steht auch für die Unfähigkeit, ein zweites oder drittes europäische Spitzenteam zu etablieren. Ich will nicht jedes Jahr, wenn es spannend wird in der Champions League, wieder nur die Bayern anfeuern. Da ist Mainz nicht wirklich hilfreich. Am Ende reizt der Clash der großen Biester. Gut, dass sie jetzt wieder in Tritt kommen.“

Ralf Weitbrecht (FAZ) tröstet die Frankfurter Eintracht nach einer unglücklichen Niederlage in Leverkusen: „Trainer Michael Skibbe hatte nach den verbalen Querelen der vergangenen Tage eine Reaktion seiner Frankfurter Mannschaft gefordert – und seine Spieler haben ihn trotz eines unglücklichen Endes nicht enttäuscht. Lange sah es so aus, als ob sich die Fußballprofis der Frankfurter Eintracht ein 1:1 bei Bayer 04 Leverkusen erkämpfen und auch erspielen könnten. Doch in der 90. Minute machte sich die Eintracht alles zunichte, als sie auf gegnerischem Platz in einen Konter lief, der zu einem Foulelfmeter, einer Roten Karte für Ochs und zur Niederlage führte. Vidal nutzte seine Chance nämlich zum entscheidenden 2:1.“

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Kommentare

3 Kommentare zu “Südseeträume von der Meisterschaft”

  1. nixwisser
    Freitag, 24. September 2010 um 12:49

    Zu Markus Hesselmann:

    Ich nehme gerne den Provinzialismus in Kauf, wenn mir im Gegenzug die Langweile wie in Italien, Spanien und England erspart bleibt. Buli ist einfach öfter als CL. Die Gründe, warum sich außer den Bayern keiner auf Dauer in der europäischen Spitze halten kann, liegen in erster Linie in den Finanzierungsmodalitäten der Buli-Klubs (das hatten wir hier ja auch schon hundert mal). Zugegeben, Lautern ggen Real 5:0 und gegen Barca 3:1 ist selten, dafür dann um so schöner.

  2. Heinz Gründel ist König
    Samstag, 25. September 2010 um 15:50

    … und Eintracht gegen Lodz 9:0, gegen Napoli und Deportivo jeweils zweimal 1:0 war am schönsten!

  3. Van Kuchen
    Montag, 27. September 2010 um 06:43

    @ nixwisser:

    ja finde ich auch.
    CL ist ja nicht alles und wird für mich überzogen dargestellt.

    Und das es mittlerweile jeden Tag Fußball gibt und die BL-Tabelle nach dem Sa noch völlig unvollständig ist, nervt mich. Es gibt auch noch was anderes – und auch wichtigeres – als passiv Fußball schauen.

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