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Bundesliga

Burgfrieden oder wahre Versöhnung?

Kai Butterweck | Mittwoch, 3. November 2010 Kommentare deaktiviert für Burgfrieden oder wahre Versöhnung?

Die Presse beschäftigt sich intensiv mit der Münchener Pressemitteilung über die wundersame Rückkehr von Friede und Harmonie an der Säbener Straße

Für Mike Glindmeier (Spiegel Online) hat die Vereinsführung des Rekordmeisters eine Kommunikationsstrategie vereinbart, die eigentlich selbstverständlich sein sollte: „Das Laute-Post-Spiel der Bayern scheint vorerst beendet. In einer offenen Diskussion habe man sich ausführlich ausgetauscht und auch ausgesprochen. Dies war offenbar dringend nötig geworden, nachdem die Protagonisten in den vergangenen beiden Tagen ein Theater aufgeführt hatten, das zum Trauerspiel verkam.“

Martin Vogt (Focus Online) nennt Profiteure und Absteiger des Systems von Louis van Gaal: „Wer in der ersten Elf steht, ist fein raus und hat alle Chancen zum Aufstieg. Holger Badstuber und Thomas Müller etwa wären ohne ihren Protegé van Gaal kaum im Sommer mit nach Südafrika gefahren. Müller, der sogar Torschützenkönig wurde, wird van Gaal auf ewig dankbar sein für dessen Nibelungentreue auch in Phasen, in denen seine Aufstellung sportlich schwer zu rechtfertigen war. Und Bastian Schweinsteiger stieg erst durch die Beförderung auf seine geliebte zentrale Mittelfeld-Position zum Weltstar auf – Marktwert steigend. Dass den drei Aufstiegen auch Abstiege gegenüberstehen, ist trivial: In erster Linie muss man hier Mario Gomez und Anatoli Timoschtschuk nennen, über die van Gaal alsbald öffentlich gesagt hatte, sie seien nicht seine Verpflichtungen gewesen. Ob die offensichtliche Ablehnung solcher Spieler deren Leistung dienlich ist, wenn sie wie jetzt wirklich benötigt werden, wäre eine ziemlich naheliegende Frage und prinzipiell geht die Hoeneß-Kritik an diesem Punkt wohl auch in die richtige Richtung. Generell allerdings handelt van Gaal nicht anders als andere Trainer. Nur tut er es schroffer, klarer, und in gewisser Weise mit mehr Öffentlichkeit.“

Hat das Miteinander Bestand?

Christian Kunz (ntv.de) traut dem Frieden noch nicht: „Überraschend zügig wurde der `gemeinsame Weg` von Hoeneß und van Gaal verkündet. Nach dem Ende der Pressekonferenz um kurz nach 15 Uhr und vor Trainingsbeginn um 17 Uhr muss es schnell zugegangen sein. Wenn das Miteinander Bestand hat, können sich die in der Liga wieder auf Kurs gekommenen München nun voll auf ihr sportliches Ziel in der Champions League konzentrieren. Denn mit dem Rumpf-Kader soll der vorzeitige Einzug in das Achtelfinale perfekt gemacht werden. Der Auftritt des personell arg gebeutelten Teams war angesichts des Streits der zwei meinungsstarken Fußball-Schwergewichte fast zur Nebensache geraten. Wie nachhaltig die verkündete Versöhnung ist, muss man sehen.“

Nach Ansicht von Sebastian Krass (Tagesspiegel) laufen bei den Bayern die Dinge etwas anders als beim Rest der Liga: „In anderen Vereinen würden Einlassungen wie die von Uli Hoeneß bedeuten, dass die Entlassung des Trainers unmittelbar bevorsteht.  Wettbewerbsübergreifend betrachtet, haben die Bayern vier der vergangenen fünf Partien gewonnen. In der Champions League können sie am Mittwoch mit einem Sieg beim rumänischen Vertreter CFR Cluj letzte Zweifel am Einzug ins Achtelfinale beseitigen. Und danach stehen Partien in Mönchengladbach und gegen Nürnberg an. Im Klub sind sie guter Dinge, auch diese Spiele zu gewinnen, wieder in die Nähe von Rang drei zu rücken – und damit auch ohne Fernglas wieder das Spitzenduo Dortmund und Mainz erspähen zu können. Außerdem hat die Vereinsspitze vor gut einem Monat, nach der Niederlage gegen Mainz, van Gaal bis 2012 an sich gebunden.“

Van Gaal schiebt sich ins Rampenlicht, besoffen vor Selbstliebe

Christian Spiller (Zeit Online) geht mit Louis van Gaal und seiner Fußball-Philosophie hart ins Gericht: „Und Hoeneß hat Recht. Ein Mann mit dieser Persönlichkeitsstruktur hat an der Spitze einer modernen Fußballmannschaft nichts mehr verloren. Die autoritären Trainer haben sich überlebt. Der Fußball braucht keine Generäle, keine Diktatoren, sondern Trainer, die die Zwischentöne treffen. Was auf Spielerebene schon durch die Ausbootung vermeintlicher Leitwölfe wie Michael Ballack oder Thorsten Frings begonnen hat, wird sich auch im Trainergeschäft durchsetzen. Ein moderner Trainer überzeugt durch Einfühlungsvermögen, Kommunikation, nicht durch archaische Gesten aus der Zeit des Werner Lorant. Dazu kommt die Selbstverliebtheit. Van Gaal scheint es nicht zu verkraften, dass sich die Scheinwerfer nur auf die Spieler richten, auf die Menschen, die Fußballspiele entscheiden. Van Gaal mag keine Stars, stattdessen schiebt er sich selbst ins Rampenlicht, besoffen vor Selbstliebe. José Mourinho, der nach außen ebenfalls autoritär wirkt, wirft seine Arroganz wie ein Schutzschild über seine Spieler, nimmt sie aus dem Blickfeld und geißelt sich notfalls selbst. Van Gaal ist arrogant, nur des Selbstzweckes wegen.“

Hat Bayern van Gaal überhaupt verdient?

Oliver Fritsch (Zeit Online) hingegen bricht eine Lanze für den Holländer: „Das Erfolgsmodell Hoeneß ist das von Dagobert Duck: kaufen, kassieren, kaufen. Hauptsache, der FC Bayern hat die besten und teuersten Spieler. Van Gaal gewinnt aber dank einer Spielidentität, nicht dank wirtschaftlicher Potenz. Teure Stars verlangt er nicht, lehnt sie gar ab, wenn sie Zicken machen. Van Gaal hat sein eigenes Modell, man könnte auch sagen, er versteht mehr vom Fußball als Hoeneß. Und er zeigt das offen. Van Gaal mag ein skurriler, autokratischer Trainer sein. Seine Spieler nehmen seinen schrägen Humor in Kauf. Dass er der Presse, aber auch dem Vorstand und dem Präsidenten die Stirn bietet, wird seine Autorität unter den Profis zusätzlich stärken. Vor allem aber schätzen sie seine Arbeit, sein Training. Auch dank van Gaal wurden Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller zu WM-Stars, Holger Badstuber zu einem Nationalspieler. Zum ersten Mal seit dieser Zeit gewinnt der Verein, nicht nur der beliebteste im Land, sondern auch der meistgehasste, Sympathien über seine Grenzen hinweg. Der Grund heißt van Gaal, weil er jugendlichen, offensiven Fußball spielen lässt. Weil der Holländer ein Fußballlehrer ist, von dessen Sorte es in Deutschland wenige oder sogar gar keinen gibt. Hat der FC Bayern van Gaal überhaupt verdient?“

Jörg Hanau (FR) zeigt ein wenig Mitleid mit den bisherigen sportlich Verantwortlichen unter dem Zepter von Uli Hoeneß: „Er hat viele Trainer kommen und gehen sehen. 13 an der Zahl. Er hat sie verpflichtet, und er hat sie in seinen 30 Jahren als Manager des FC Bayern auch wieder gefeuert: Uli Hoeneß, mittlerweile 58 Jahre alt und nur noch Vereinspräsident und Aufsichtsratsvorsitzender der Fußball-AG , ist es in drei Jahrzehnten gelungen, den FC Bayern zu einer eigenen Marke zu entwickeln, zu einer festen Größe im europäischen Fußball, zur Nummer eins in Deutschland sowieso. Der Manager Hoeneß verstand sich im Zusammenspiel mit dem jeweils verantwortlichen Fußballlehrer als loyaler Partner. Seine Strahlkraft und sein Sendungsbewusstsein prägten den Klub und beeinflussten die Arbeit der Cheftrainer, die gut beraten waren, ein feines Gespür dafür zu entwickeln, wie umzugehen ist mit der fußballfachlichen Allmacht in der Führungsriege des FCB: Hoeneß, Karl-Heinz-Rummenigge und Franz Beckenbauer − die Alphatiere des FC Bayern reden mit und wollen gefragt sein. Für die Chefs der Abteilung Sport nicht immer ein einfaches Spiel.“

Eine Erfolgsbeziehung droht zu bersten

Nach Auffassung von Klaus Höltzenbein (SZ) treffen bei van Gaal und Hoeneß völlig verschiedene Ansichten im Umgang mit Spielern aufeinander: „Hoeneß hat den FC Bayern immer auch als Familienbetrieb geführt: Wer Sorgen hat, findet bei ihm allzeit ein väterliches Ohr. Van Gaal hat dies stets irritiert, er ist der Ansicht, unzufriedene Spieler sollten sich nicht an höherer Stelle ausweinen dürfen. Diese zwischenmenschliche Linie ist die große, gefährliche Bruchstelle zwischen den Beiden. Hier droht eine Beziehung zu bersten, die ja im Kern eine Erfolgsgeschichte ist.“

Denis Canalp (rp-Online) fühlt sich durch die Äußerungen von Hoeneß an die Ära Hitzfeld erinnert: „Hoeneß‘ Kritik war keine Kurzschlussreaktion, sie war geplant. Er wartete nur auf den richtigen Zeitpunkt. Er wollte van Gaal, der ihm wohl zu mächtig geworden war, ein wenig auf Normalmaß zurechtstutzen und ihm deutlich machen, wer hier der Boss ist. Nicht gut durchdacht war jedoch die Äußerung:  `Ein Fußball-Verein heutzutage darf keine One-Man-Show mehr sein.` Dieser Satz dürfte den Bayern und ihrem impulsiven Präsidenten noch lange nachgehalten werden. Er hat eine ähnliche Qualität wie die mittlerweile legendäre Aussage von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge aus dem Herbst 2007. `Fußball ist keine Mathematik`, schleuderte Rummenigge damals dem studierten Mathematik- und Sportlehrer Ottmar Hitzfeld entgegen. Der Trainer rotierte dem Boss zuviel. In der Gegenwart wird Hoeneß zu wenig gewechselt – das Leben hat doch immer wieder Überraschungen parat.“

Niemand ist wichtiger als die Familie

Klaus Wille (waz.de) empfindet sich dieser Tage aus München bestens unterhalten: „Ein wenig fühlt man sich an Krimis aus Italien erinnert: Niemand ist wichtiger als die Familie, und wenn einer das anders sieht, dann erhebt der Patron die Stimme und watscht ihn ab. Willkommen beim FC Bayern München. Es ist großes Theater, das die Bayern da aufführen: Präsident Uli Hoeneß kanzelt Trainer Louis van Gaal derart schroff ab, dass es selbst einen Coach, der nicht so selbstverliebt wie der Niederländer ist, schocken müsste. Uli Hoeneß  mag Louis van Gaal nicht. Noch weniger kann er ertragen, dass sich da jemand wichtiger nimmt als den Verein, sein Lebenswerk, seine Familie. Deshalb hat er entschieden, die Beziehung zum Trainer schwer zu belasten. Mal sehen, wie lange sie das aushält.“

Bernhard Harnisch (kurier.at) zeigt Verständnis für den Bayern-Präsidenten: „in wenig erinnert die momentane Situation beim FC Bayern München an jene eigenartigen TV-Shows, in denen die Menschen streiten und dabei live übertragen werden. Unmutsäußerungen, Beschwichtigungen, fallende Hüllen stellen jede Reiberei bloß. Ein eindrucksvolles Theaterstück wurde da inszeniert. Ändern wird das Ganze an der allgemeinen Unzufriedenheit freilich nichts. Dennoch, man kann die Person Uli Hoeneß als unsympathischen Despoten ansehen, als sich wichtigmachendes Showtalent abtun. Eines hat er aber mit Sicherheit: Das Recht, in der derzeitigen Lage auf den Tisch zu hauen. Überhaupt, wenn es so kompetent und wohlüberlegt geschieht, wie im „Fall“ Louis van Gaal.“

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