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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Das Warten auf frisches Blut und Erinnerungen an Frank Ordenewitz

Kai Butterweck | Donnerstag, 25. November 2010 10 Kommentare

Während sich die Presse um Bayerns Defensivabteilung sorgt, rückt José Mourinho das vermeintliche Karriere-Highlight eines längst vergessenen Ex-Bundesliga-Profis zurück ins Rampenlicht

Für Thomas Hummel (SZ) besteht kaum Anlass neue Panik zu schüren: „Zunächst die Tatsache, dass der Verein trotz der Niederlage die Gruppe E als Erster abschließen wird. Außerdem ist der FC Bayern im November nicht mehr zu vergleichen mit dem rauschhaften Gefüge im April und Mai. Damals tragende Säulen wie Arjen Robben und Mark van Bommel sind verletzt, der in der neuen Saison beste Verteidiger Holger Badstuber auch. Der bislang beste Spieler überhaupt, Bastian Schweinsteiger, war in Rom gesperrt. Die Verletzungen von Ivica Olic und Miroslav Klose wiegen angesichts der Torflut des Konkurrenten Gomez derzeit nicht so stark. Dafür aber das anhaltende Formtief von Philipp Lahm, die Unsicherheiten der Innenverteidiger Van Buyten und Demichelis, die neue Wechselhaftigkeit von Thomas Müller. Die Hoffnung, Franck Ribéry würde nach zwei Monaten Verletzungspause zurückkommen und gleich wieder die Abwehrreihen schwindlig dribbeln, zerschlug sich. Ribéry blieb auch in Rom ungewohnt oft an einem einzigen Gegenspieler hängen, früher hatte er es locker mit drei aufgenommen. Angesichts der ständigen Verfehlungen in der Defensive fahnden die Münchner inzwischen offenbar intensiver nach neuen Profis.“

Substantielle Verstärkung der Defensive von Nöten

Oliver Birkner (Spiegel Online) fordert Verstärkungen für die Defensive: „Die Champions League galt nach vier Siegen in vier Spielen bislang als sonniger Ferienhort abseits des mäßigen Bundesliga-Alltags. In Rom zeigten sich jedoch auch europäisch die zuletzt national offenbarten Defizite. Vor allem die indiskutable Abwehrreihe hatte Rummenigges Aufruf zur Gelassenheit schon vorab auf dem Platz konsequent umgesetzt. Der Rest der Mannschaft leistete sich in der zweiten Halbzeit Ballverluste und zeigte die mittlerweile notorischen Konzentrationsschwächen. Schon vor der Reise nach Rom hatte sich die aktuelle Misere im Münchner Lager in all ihren Facetten gezeigt: Von Franck Ribérys Kritik an van Gaal über den Disput zwischen dem Niederländer und Rummenigge in puncto Schweinsteiger-Transfer und Aufstellung bis hin zu sportlich bisweilen eklatanten Aussetzern auch am Dienstagabend. Letztere machten deutlich, wie sehr eine substantielle Verstärkung der Defensive von Nöten ist. Die hat van Gaal vor der Saison abgelehnt, und Philipp Lahm hält sie selbst jetzt noch nicht für nötig, wenn er sagt, `dass wir mit diesem Kader bestehen können`. Zweifelsohne ist die vorzeitige Achtelfinal-Qualifikation ein Erfolg. Zur Beruhigung der offensichtlichen atmosphärischen Störungen und angespannten Nerven diente sie freilich nicht.“

Oliver Völkl (Focus Online) vermisst die Risikobereitschaft bei Philipp Lahm: „Wenn man von Problemen in der Viererkette des FC Bayern spricht, taucht der Name von Philipp Lahm kaum auf. Aber nur, weil auf den drei Positionen neben dem Rechtsverteidiger meist wesentlich schwächer gespielt wird. Der Kapitän konnte gegen den AS Rom nicht überzeugen. Beim 1:2 verlor er den entscheidenden Zweikampf gegen Torschütze Borriello, beim 2:2 stimmte die Abstimmung mit Pranjic rechts überhaupt nicht. Im Angriffsspiel blieb es leider einmal mehr meist bei halbherzigen Versuchen – wenn Lahm nicht den in letzter Zeit häufig gespielten Sicherheitspass suchte.“

Bestenfalls Mitläufer

Anja Schramm und Julian Buhl (Welt Online) sehen Thomas Müller derzeit in einer schwierigen Phase: „Müller ist ein beliebter Gesprächspartner, weil er klare Worte mit dem Charme des Authentischen verbindet. Auch wenn er momentan eine für ihn ungewohnte Phase durchlebt. Im Sommer noch war er der Liebling der Nation. Müller hatte eine Saison hinter sich, die er selbst nur mit Superlativen umschreibt, weil er erlebte, was viele seiner Kollegen in der gesamten Karriere nicht erreichen. Erst die Erfolge mit den Münchnern, dann jene bei der Weltmeisterschaft. Müller war der Torschützenkönig des Turniers, dazu der beste Nachwuchsspieler. Was folgte, waren lukrative Werbeverträge, ein neuer Kontrakt in München mit deutlich höherem Salär und jede Menge Ehrungen. Doch momentan ist Müller beim FC Bayern bestenfalls Mitläufer. Er spielt solide, das schon, aber eben nicht so auffällig wie im Vorjahr. Trainer Louis van Gaal hatte ihm jüngst gar eine Pause von drei Spielen verordnet.“

Peter Ahrens und Clemens Gerlach (Spiegel Online) entdecken Parallelen zu van Gaals Zeit in Barcelona: „Van Gaal ist nicht einmal 18 Monate in München, aber aus seiner Sicht ist das lang genug, um genau zu wissen, was für den Verein das Richtige ist. Das Richtige für die Bayern ist immer das, was van Gaal will. Dass in punkto Verpflichtungen irgendetwas ohne den Segen des Trainers geschieht, ist für ihn unvorstellbar. Auch deswegen reagiert er so deutlich, als der Vorstand über Defizite des Kaders räsonierte. Van Gaal will davon nichts wissen, er brauche keine neuen Spieler. Mit exakt diesem trotzigen Stil ist van Gaal einst beim FC Barcelona gescheitert. Auch dort verbreitete er das Gefühl, im Besitz der allein seligmachenden Weisheit zu sein. Am Ende seiner dreijährigen Amtszeit (1997 bis 2000) hatte der „General“ beim Renommierverein fast alle gegen sich. In München bewegen sich die Dinge in eine ähnliche Richtung. Van Gaal ist so autoritär wie beratungsresistent. Er ist allerdings auch ein unbestrittener Fachmann, ein Ausnahme-Trainer. Louis van Gaal hat in der Vergangenheit gerne mit dem Job eines Nationaltrainers kokettiert. Eigentlich war dies für 2012 geplant, wenn sein Ende September verlängerter Vertrag endet. Der Ausstieg bei den Bayern könnte schneller kommen.“

Selten so gelacht

Javier Caceres (SZ) zweifelt die Unschuld der Betroffenen von Real Madrid an: „Mourinho mimte derweil den Griesgram, was er auch ohne äußere Anlässe ganz gut beherrscht. Als seine Spieler vom Platz gestellt waren, feuerte er demonstrativ eine Wasserflasche auf den Boden. Und hinterher versicherte er, wie sehr ihm diese Hinausstellungen missfielen; der Schiedsrichter habe in einem Spiel, das keine Karten verdient habe, viel zu viele gezückt. Selten so gelacht. Dass die Spieler später die Mourinho-Version stützten – geschenkt. Casillas sagte nach dem Duschen plötzlich, Dudek habe ihm nur eine Flüssigkeit reichen wollen, er habe am Vorabend bekanntlich Magen-Darm-Probleme gehabt. Und Ramos leugnete vehement, von Mourinho instruiert worden zu sein. Immerhin sagte er, dass alle frei seien zu denken, was sie wollten. Ob diese Posse folgenlos bleiben kann? Die Uefa prüfte am Mittwoch den Schiedsrichterbericht und wollte dann entscheiden, ob sie ein Verfahren gegen die Real-Spieler einleitet. Vor zwei Jahren, als sich Lyons Profis Juninho und Cris in einem Champions-League-Spiel die nötigen Platzverweise besorgten, bekamen sie eine Geldstrafe von 10000 Euro aufgebrummt. Wie abschreckend diese milde Strafe war, hat in Amsterdam jeder sehen können.“

Florian Haas (Spiegel Online) vergleicht das Regelwerk der Uefa mit dem der Bundesliga: „Ramos und Alonso fallen jetzt für das letzte Gruppenspiel aus. Im Gegenzug werden ihre Gelben Karten aus dem Ajax-Spiel gelöscht. Sie sind wieder bei einer Gelben Karte. Weil in der Champions League ein Spieler erst ab drei Gelben Karten für eine Partie gesperrt wird, sind die beiden Real-Stars sowohl im Hinspiel als auch im Rückspiel des Achtelfinales sicher dabei, sofern sie nicht vom Platz gestellt werden oder sich verletzen. Das Regelwerk der Uefa macht es möglich. Es bietet den Spielraum, sich mit einer provozierten Gelb-Roten Karte eine bessere Ausgangsposition für die K.o.-Runde zu verschaffen. In der Bundesliga gibt es wegen der fehlenden K.o.-Phase keinen so großen Grund, sich Ampelkarten einzuhandeln. Hier muss ein Spieler nach fünf Gelben Karten eine Partie aussetzen. Wer etwa vier Gelbe Karten gesammelt hat und dann Gelb-Rot sieht, muss die darauffolgende Begegnung pausieren, behält seine vier Gelbe Karten aber auf dem Konto.“

Mourinho sollte belohnt werden

Reinhard Sogel (FR) fordert die Abschaffung der Wertung von Gelb-Roten Karten: „Der Plan ging auf: Wegen Spielverzögerung in die Kabine geschickt, müssen die zwei Stammspieler gegen Auxerre pausieren, stehen aber für die K.o.-Spiele unbelastet wieder zur Verfügung. Bravo, Realo Mourinho. Komme keiner und sage, das abgekartete Spiel sei ein Foul am Fairplay. Mourinho wäre ein schlechter Trainer, wenn er die Möglichkeiten des Regelwerks nicht ausreizen würde, und das reale Cleverle besitzt auch nicht das Urheberrecht. Nur dass einkalkulierte Hinausstellungen in der Regel nicht ganz so plump provoziert werden wie durch Mourinhos Männer. Dafür, dass er die Schwächen des Sanktionskatalogs ganz Europa vor Augen geführt hat, sollte der nicht nur nach eigenem Verständnis beste Trainer der Welt von der Uefa belohnt werden: Mit dem Verzicht auf die Wertung der Gelb-Roten Karten.“

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Kommentare

10 Kommentare zu “Das Warten auf frisches Blut und Erinnerungen an Frank Ordenewitz”

  1. Graffito
    Donnerstag, 25. November 2010 um 14:57

    Thomas Hummel von der SZ schreibt nicht über „die neue Wechselhaftigkeit von Thomas Hummel“, sondern über die von Thomas Müller.

  2. Kai Butterweck
    Donnerstag, 25. November 2010 um 15:13

    Das ist wohl wahr. Über die vielleicht irgendwann einmal entstehende Wechselhaftigkeit von Thomas Hummel breichten wir dann gesondert.;)

  3. lateral
    Donnerstag, 25. November 2010 um 17:19

    Zwar kann ich den FR-Sportteil bekanntlich nicht gut leiden… Aus dem hier zitierten Ausschnitt ergibt sich aber keinesfalls die von Herrn Butterweck zu Einleitungszwecken gewählte Schlussfolgerung: [i]“Reinhard Sogel (FR) fordert die Abschaffung der Wertung von Gelb-Roten Karten“[/i] Nein, Herr Sogel fordert den [i]“Verzicht auf die Wertung der Gelb-Roten Karten.“[/i] Also, in diesem Zusammenhang, den Verzicht auf die Wertung der Gelb-Roten Karten von Alonso und Ramos. Damit wären die Übeltäter spielberechtigt und zudem mit zweien anstatt nur einer gelben Karte vorbelastet. Für die FR eigentlich ein ganz cleverer Gedanke 😉

  4. anderl
    Donnerstag, 25. November 2010 um 23:26

    Gesteht die Presse den Spielern keinen eigenen Verstand zu? Oder muss das der große Zampano Mourinho gewesen sein?

    Grundsätzlich: Wer Mourinho und Co. dieses Verhalten vorwirft, lenkt davon ab, dass die Gesetzgebung der UEFA solches fördert und damit ERLAUBT.

    Es ist schon dreist: Wenn der Spieler selbst drauf kommt, bleibt es ungesühnt; wenn der Trainer es ihm sagt, dann ist es ein Verbrechen.
    Analog müssten dann alle Steuerberater für die Hinweise auf Steuerschlupflöcher bestraft werden.

    PS: Warum haben die beiden nicht einfach mal ganz offensichtlich an Trikots gezerrt???

  5. lateral
    Freitag, 26. November 2010 um 09:05

    @anderl: Weil beim sog. Textilvergehen der Schiedsrichter einen Ermessensspielraum hat. Ein Graetsche waere auch denkbar, aber dann laeuft man Gefahr glatt rot zu sehen oder auch ungesuehnt davonzukommen. Beim Zeitspiel hingegen muss der Schiedsrichter zwangsweise den gelben Karton zuecken.

  6. Oliver Fritsch
    Freitag, 26. November 2010 um 09:10

    Gelbsperren abschaffen! Zumindest bei WM, EM und Champions League, also bei Turnieren mit K.o.-Runde mit Finale.

  7. anderl
    Freitag, 26. November 2010 um 10:27

    @lateral:
    Wenn der Xabi Alonso den Suarez am Trikot umreisst oder sich 10, 20 Meter von ihm schleppen lässt, dann hat er auch seine Gelbe sicher.

    Aber so haben sie ihre Gelbe Karte eben „ganz sicher“ bekommen. Stimmt auch wieder.

    Und ob die Spieler jetzt von ihren 200 000 € monatlich 10 000 € an die UEFA abdrücken müssen, wird ihnen auch egal sein. Dafür spielen sie dann in einem Ausscheidungsspiel und haben in der heißen Phase der Saison auch mal die Möglichkeit, ein spielentscheidendes Trikotzerren zu begehen.

  8. Adjacent
    Freitag, 26. November 2010 um 11:55

    @Lateral:
    Außerdem war das Zeitspiel noch insoweit sportlich als das da keinem Gegenspieler in die Knochen gesprungen wurde. Und ob in den zwei bis drei verbleibenden Minuten noch so viele Amsterdamer Konter auf das Madrider Tor gekommen wären, dass man diese zwei mal mit einem gelbwürdigen Trikotziehen hätte unterbinden müssen, ist äußerst fraglich.

    @anderl:
    Wenn der Spieler soetwas macht, ohne das OK vom Trainer zu haben, setzt es in den allermeisten Fällen ein richtiges Donnerwetter.
    Meine steile These dazu ist, dass kein Spieler soetwas aus vermeintlicher Schlitzohrigkeit riskiert. Zumal man ja in der Öffentlichkeit als Vollidiot dastünde. Und wäre es nicht so auffällig arrangiert worden, wären jetzt Ramos und Alonso auch Deppen. Bei einer Führung von 4:0 in einem ziemlich unbedeutenden Gruppenspiel kassieren beide in der Nachspielzeit noch wegen Zeitspiels Gelb-Rot. Hört sich, ohne Kontext, ganz schön doof an.

  9. Heffer
    Freitag, 26. November 2010 um 14:41

    @anderl : Ich glaube nicht, dass die Spieler die Strafen, sollte es welche geben, aus der eigenen Tasche zahlen müssen.

    Wenn jemand wegen sowas bestraft wird, dann wird ihm jawohl unsportlichkeit vorgeworfen, denke ich.
    Kann mir das jemand aufdröseln, was genau daran unsportlich wäre?

  10. Marvin Nash
    Freitag, 26. November 2010 um 17:05

    Beim zweiten Spieler hätte der Schiri doch auch eigentlich glatt Rot ziehen können, oder? Wegen unsportlichen Verhaltens. Hätte Mourinhos Reaktion dann gerne gesehen 🙂 .

    Ansonsten bin ich aber auch der Meinung, dass es eun Fehler im Reglement ist und da auch ein Blick draufgeworfen werden sollte. Die Spieler haben es eben nur ausgenutzt.

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