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Showdown in Zürich

Matthias Nedoklan | Donnerstag, 2. Dezember 2010 3 Kommentare

Heute fällt um 16 Uhr  die Entscheidung in Zürich. Trotz aller Korruptionsskandale gibt Sepp Blatter die Ausrichter der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 bekannt

Andreas Rüttenauer (taz) schaut in die Kristallkugel: „Wichtiger für Blatter und für die Entscheidung der Exekutive ist ein Bericht der Wirtschaftsberater von McKinsey. Aus dem geht hervor, dass sich mit einer WM in England mit Abstand am meisten Geld verdienen ließe. Unter den Bewerbern für 2018 liegt Russland, bislang Favorit bei den Buchmachern, hinter den Doppelbewerbungen von Spanien und Portugal sowie den Niederlanden und Begien auf dem letzten Platz. Schon wird spekuliert, der russische Ministerpräsident Wladimir Putin habe seinen ursprünglich geplanten Auftritt in Zürich abgesagt, weil er am Ende nicht als Verlierer dastehen will. Im Wettbewerb um die WM 2022 führen in der Rentabilitätsrangliste von McKinsey die USA, die sich mit Katar, Australien, Südkorea und Japan um die Ausrichtung bewerben. Wenn es nur ums Geschäft ginge, das Ergebnis stünde schon fest.

Thomas Kistner (SZ) sieht Sepp Blatter schwer angeschlagen : „Der zeitlos elegante Fifa-Boss, 74, der sich hingebungsvoll seinem jugendlichen Erscheinungsbild widmet, sieht derangiert aus; nicht wie ein strahlender Sportführer, sondern eher wie einer, der gleich eine tattrige Über-80-Auswahl aufs Feld führen muss. Ganz so hoch liegt der Altersschnitt seiner Fifa-Exekutive noch nicht, die am Donnerstag die beiden WM-Turniere 2018 und 2022 vergibt, aber es sind auch keine physischen Gebrechen, die dem Chef des Fußball-Weltverbandes in diesen Tagen zusetzen. Ihn peinigen die Bestechungsvorwürfe, die seiner Fifa pünktlich zum Wahltermin aufgetischt wurden. Im Mai 2011 muss er selbst in die Bütt. Deshalb stehen jetzt auch seine Thronchancen auf dem Prüfstand. In Zürich wünschen sich immer mehr einen Wechsel an der Spitze herbei, nicht nur die Topsponsoren. Schon Ende Oktober hatte ja der Elektronikkonzern Sony sein Engagement über die nächste WM 2014 hinaus in Frage gestellt. Grund waren damals die Vorwürfe wegen Korruption und möglicher Absprachen unter den WM-Bewerbern.In Zürich wird jetzt einer als Notretter diskutiert, der diese Rolle aus vielfältiger Erfahrung kennt, kürzlich jedoch seinen Rückzug erklärt hatte: Franz Beckenbauer. Der Zeitpunkt des Abgangs erscheint, wie so oft, perfekt gewählt, das nun tobende Verbandschaos betrachtet der deutsche Fifa-Vorständler entspannt von der Seitenlinie aus. Wobei die bisherige Erfahrung lehrt, dass er manchmal auch wieder aufs Spielfeld zurückkehrt ist, wenn er laut genug gerufen wurde.“

Absolutistischer Machtanspruch

Stefan Hermanns und Friedhard Teuffel (Tagesspiegel) blicken nach Zürich: „Um die WM 2018 hat sich neben England, Holland/Belgien und Spanien/Portugal auch Russland beworben. Im Evaluierungsbericht der Fifa kommt Russland nicht sonderlich gut weg. Von allen Bewerbern um 2018 und 2022 bestehe einzig in Russland ein hohes Risiko beim Verkehrskonzept. Aufgrund seiner Größe benötige Russland für eine WM zuverlässige Flugverbindungen. Die gebe es aber derzeit nicht. Weil 13 der geplanten 16 Stadien neu gebaut werden müssen, sieht das Konzept der Russen hier Investitionen von 3,8 Milliarden Dollar vor. Dass Neubauten bei einer Vergabe für den internationalen Sport auch ein Anreiz sehen können, hat der Zuschlag für Sotschi als Ausrichter der Olympischen Winterspiele 2014 aber ebenso gezeigt wie den entscheidenden Einfluss des russischen Premierministers Putin. Es gewinnt eben nicht immer das beste Konzept. Für sie zählt eher die harte Währung. Die Bewerbung ist in der Evaluierung daher auch nicht allzu gut weggekommen. Es fehle an Hotelbetten, zudem hegt der Weltverband seit der WM 2002 in Japan und Südkorea generelle Zweifel an einer Doppelausrichtung; viel entscheidender aber ist die trotzige Haltung der beiden liberal gesinnten Länder, die sich schwertun, den absolutistischen Machtanspruch des Fußball-Weltverbandes zu akzeptieren. Die Fifa verlangt unter anderem einen weitgehenden Schutz für ihre Werbepartner, Immunität für ihre Mitglieder, eine eigene Fahrspur zwischen den Spielstätten und eine Steuerbefreiung für die Einnahmen während des Turniers. So steht es im Standardvertrag, den alle Bewerber unterschreiben müssen. Der Verband hat die holländisch-belgische Bewerbung im September nachdrücklich auf die Konsequenzen hingewiesen, sollte der Vertrag in irgendeiner Weise verändert werden, worauf die Sportministerin Edith Schippers geantwortet hat, dass die holländische Haltung nichts mit einem Unwillen zu tun habe, die Vorgaben der Fifa zu erfüllen, sondern der Tatsache geschuldet sei, ‚dass die Regierung unausweichlich an ihre eigenen (konstitutionellen) Regeln gebunden ist‘. Demokratische Grundregeln sind bei einer Bewerbung allerdings nicht immer förderlich.

Johannes Leithäuser (FAZ) schätzt die Chancen der englischen Bewerbung ein: „Die Liebesaffäre eines englischen Fußballverbands-Vorsitzenden, enthüllte Indiskretionen seiner Geliebten, zuletzt noch Zeitungsberichte über Bestechungsfälle in der Exekutive des Internationalen Fußballverbandes (Fifa) – das waren einige Stolpersteine auf dem Weg nach Zürich, wo am Donnerstag die Entscheidung fällt. Der gestolperte Verbandschef, Lord Triesman, sah sich im Mai zur hastigen Niederlegung seiner Funktionen gezwungen, nachdem er seiner früheren Freundin, die unterdessen für ein Londoner Sonntagsblatt arbeitete, am Mittagstisch andeutete, ein spanischer WM-Sieg in Südafrika könne womöglich mit russischem Geld gekauft werden, um im Gegenzug der russischen Bewerbung für 2018 spanische Unterstützung zu sichern. Die Freundin nahm diese Spekulationen mit verstecktem Tonband auf und breitete die Geschichte in ihrer Zeitung aus. Im englischen Bewerbungsteam hängen am charmanten Lächeln von Prinz William durchaus ernste Hoffnungen – vielleicht lockt es die Herren der Fifa ja doch, ihren eigenen Namen mit dieser weltweiten Berühmtheit zu verbinden. Hilfsweise ruhen die optimistischen Prognosen aber doch auf den Details des englischen Bewerbungskataloges. In den Unterlagen ist – hinter einem Foto Prinz Williams – zunächst gar nicht so viel von Fußball die Rede (Bescheidenheit!), sondern von England als Heimat und Treffpunkt sämtlicher Kulturen und Nationen der Welt: alle 31 anreisenden Nationen fänden eine Heimatgemeinde von Ausgewanderten auf englischem Boden vor, die sie willkommen heiße, bejubele, unterstütze und die natürlich – so muss der Schluss lauten – auch Eintrittskarten für die Spiele, Fanartikel und alles andere freudig kaufen werde, womit die Fifa während der WM ihr Geld verdient.“

Russland will Großmacht sein

Michael Ludwig (FAZ) kümmert sich um die russische Bewerbung: „Was den Elitefußball im Land angeht, so brachte es die postsowjetische neue Ära mit sich, dass zum einen der Profifußball gang und gäbe wurde und dass zum anderen in der russischen ersten Liga immer mehr Ausländer spielen, während Russen bei ausländischen Klubs anheuern. Diese Art der Integration hat dem russischen Fußball als Ganzem gut getan. Die Aussicht auf eine Weltmeisterschaft im eigenen Land, so glauben die Verantwortlichen in Moskau, werde dem russischen Fußball zusätzlich Auftrieb geben und natürlich auch die Nationalmannschaft beflügeln. Darüber hinaus ist das Vorhaben, die WM in acht Jahren auszurichten, auch Ausdruck der Moskauer Bestrebungen, Russland solle, wie es seinerzeit die Sowjetunion war, eine Sportgroßmacht werden. Um die WM zu realisieren, hat Russland in seiner Bewerbung gar nicht erst den Versuch unternommen, die Spiele gleichmäßig über das ganze Land zu verteilen. Im größten Flächenstaat der Erde soll das Turnier nur an Orten im europäischen Landesteil ausgetragen werden. Darüber hinaus hofft man, die Transportprobleme auch durch noch kleinräumigere geografische Schwerpunktbildung bei der Austragung der Spiele nach dem ‚Cluster‘-Prinzip zu reduzieren. 48 von 64 Gruppenspielen sollen nach diesem Prinzip stattfinden. Demnach spielen die Mannschaften so oft wie möglich in einer Stadt oder zumindest in einem Nachbarspielort. Spieler und Zuschauer müssten sich lediglich in einem begrenzten Raum bewegen, sagt der für die internationalen Medien zuständige Pressesekretär des russischen Bewerbungskomitees, Andreas Herren, ein ehemaliger Fifa-Mitarbeiter. Die russische Regierung hat die finanzielle Garantie übernommen, das alles so läuft wie in der Bewerbung für die Austragung der Weltmeisterschaft versprochen. Putin hat zudem zugesagt, dass alle, die Eintrittskarten für eines der Spiele besitzen, ohne Einreisevisum beantragen zu müssen, ins Land gelassen werden. Der Transport der Zuschauer am Boden – auf der Schiene oder im Bus – erfolgt zum Nulltarif.“

Jens Weinreich (Financial Times Deutschland) geht auf die Absprachen im Hintergrund ein: „Ja, die Absprachen zwischen der iberischen Allianz und den Katarern, die seit Langem bekannt sind, irritieren die Russen sehr. Dabei wissen auch sie: Bilaterale und sogar multilaterale Absprachen gehören bei der Vergabe von Megaevents zur Tagesordnung.  Deutschland etwa war 2000, als es die WM 2006 bekam, sehr froh darüber, dass der damalige DFB-Präsident Egidius Braun gemeinsam mit Uefa-Boss Lennart Johansson ein Agreement gegen die englische Bewerbung geschmiedet hatte. Damit war Südafrika geschlagen. Noch ein Beispiel: Der DFB hatte zuletzt einen Deal mit Australien geschlossen – das Land zog seine Bewerbung für die Frauen-WM 2011 zurück, wodurch Deutschland Gastgeber wurde. Dafür versprachen die Deutschen, sich für die WM 2022 in Australien starkzumachen. Abgestimmt wird am Donnerstag. Es wird nicht so weit kommen, wie Anne Schwöbel gefordert hat, die Chefin der Schweizer Sektion von Transparency International. Sie möchte die flächendeckende Korruption in der Fifa von unabhängigen Instanzen überprüfen und die WM-Vergabe verschieben lassen. Die Fifa aber hält an ihrem Zeitplan fest – unbeirrbar, wie immer.“

Internationales Wettrüsten

Peter Birrer (NZZ) rechnet vor: „Die Fußball-WM ist Staatsangelegenheit und dreht immer hochtouriger, die daran Beteiligten montieren Scheuklappen, die Kritikfähigkeit ist eingeschränkt, und Differenzierungen sind ohnehin unerwünscht. Wenn am Donnerstag die 22 im Exekutivkomitee verbliebenen Mitglieder in Zürich die WM-Turniere 2018 und 2022 vergeben, hat sich am Befund aus dem Jahr 2007 nichts geändert. Die WM generiert dank den Fernseheinnahmen Milliarden, die nicht zum Veranstalter fließen, sondern via Fifa größtenteils in die ihr angeschlossenen 208 Mitgliedsverbände auf allen Kontinenten .Vor den Wahlen wird der Eindruck vermittelt, die ganze Welt bewerbe sich um die WM. Diesmal wollen Russland, England, Holland/Belgien, Spanien/Portugal, die USA, Katar, Südkorea, Japan und Australien die Fifa-Kriterien erfüllen. Die meisten Länder unterwerfen sich ohne Einschränkung dem Rechts-Diktat des Weltverbands, geben Staatsgarantien ab, erlassen Steuern und erfüllen seine Forderungen für die Sportinfrastruktur. Die meisten Bewerber für 2018 und 2022 budgetieren allein für die Stadien 2 bis 3 Milliarden Franken, Russland rechnet mit 13 neuen Arenen und gegen 4 Milliarden. Das irrationale Wettrüsten kann der Fifa nur recht sein. Sie kurbelt den Wettbewerb zusätzlich an, weil die WM ihr ein und alles ist. Je mehr Länder und Regierungen dafür weibeln, desto mehr Publizität haben die Fifa und ihr Premium-Produkt, dessen volkswirtschaftlicher Nutzen für die Veranstaltungsländer allerdings höchst umstritten ist. Wer darauf hinzuweisen wagt, hat Gewähr, im Geschrei unterzugehen.“

freistoss des tages

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Kommentare

3 Kommentare zu “Showdown in Zürich”

  1. anderl
    Donnerstag, 2. Dezember 2010 um 15:09

    Freistoss des Tages: Supr, Seppi! Hosch gua gmacht!

  2. anderl
    Donnerstag, 2. Dezember 2010 um 18:36

    ein typischer Putin:

    Ich beweise meine eigene Unabhängigkeit…

    und die Unabhängigkeit der FIFA.

    Und bekomme die WM aus freiem Willen.

    Klasse, Vladimir!

    Der Beckenbauer ist dafür, um die ganze Welt geflogen… tsts…

  3. Der Salon /// Meinung, Analyse, Externa / WM der Zukunft – Korruption der Gegenwart
    Samstag, 4. Dezember 2010 um 17:55
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