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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ascheplatz

Geben und Nehmen

Kai Butterweck | Montag, 6. Dezember 2010 1 Kommentar

Die Wirrungen um die WM-Vergaben nach Russland und Katar halten weiter an; die Presse analysiert und erörtert Gründe für die Entscheidungen

Für Peter Sturm (FAZ.net) erschließen sich spätestens durch die WM-Vergaben nach Russland und Katar die wahren Prioritäten der Fifa: „Die russische Delegation bemühte sich bei ihrer Werbetour gar nicht erst um ein soziales Mäntelchen, wie das zum Beispiel der britische Premierminister Cameron tat; sie wedelte verbal ganz offen mit Bündeln von Geldscheinen. Entsprechendes gilt auch für den Ausrichter der WM vier Jahre später. Dem Emirat Qatar bescheinigte die von der Fifa entsandte Gutachterkommission noch vor kurzem, dass in dem mörderischen Wüstenklima Fans und Spieler großen Gefahren ausgesetzt seien. Normalerweise wäre das ein absolutes Ausschlusskriterium für eine WM-Bewerbung gewesen. Aber was ist bei der Fifa noch normal? Die WM-Entscheidungen vom Donnerstag haben den Eindruck zumindest nicht entkräftet, dass bei diesem Verband einiges nicht in Ordnung ist. Nostalgiker werden sagen, `früher` sei alles besser gewesen. Da sei es noch mit rechten Dingen zugegangen. Solchen Gedanken sollte man nicht nachhängen. Wer weiß schon, ob der Fairplay-Gedanke früher wirklich so vorherrschend war? Dass er es heute – außer in Joseph Blatters gefühligen Reden natürlich – nicht mehr ist, steht leider außer Frage.“

Ein undurchdringliches Netz miteinander verwobener Interessen

Jens Weinreich (Spiegel Online) sieht die „Seilschaften des Fifa-Präsidenten“ immer noch auf Hochtouren laufen: „Der Bewerbungsprozess, in dem jene gewannen, die mit Milliardensummen nur so jonglieren, belegt zumindest ein undurchdringliches Netz miteinander verwobener Interessen. Um zu verstehen, was am Donnerstagnachmittag in Zürich geschah, muss man eine kleine Zeitreise machen. Ins Frühjahr 1998 etwa, oder ins Frühjahr 2002. Damals hatte Joseph Blatter zwei schwere Wahlkämpfe zu meistern, über denen der Schatten der Korruption schwebte. Es war der Emir von Katar, der Blatter in jenen Jahren finanziell und mit allerlei nützlichen Tools, etwa seinem Langstreckenjet, unterstützte. Am 2. Dezember 2010 hat Blatter nun seine Rechnung mit dem Emir von Katar beglichen. Nun hat Blatter auf der ganzen Linie gewonnen – und jetzt, nach zweieinhalb absurden Jahren, beweist sich einmal mehr, warum er in einer Nacht- und Nebelaktion mit seinem Generalsekretär Jerome Valcke im Mai 2008 in Sydney überraschend die WM-Doppelbewerbung durchgepeitscht hatte: Weil er dadurch die Binnenpolitik im 208 Nationen umfassenden Dachverband Fifa besser bestimmen konnte. Weil er die Interessen von zunächst 13, dann noch elf Bewerbernationen perfekt mit seinen eigenen Interessen koordinieren konnte. Die WM 2018 in Russland, davon hatte einer von Blatters besten Freunden, das Skandal verfolgte ehemalige Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees Wjatscheslaw Koloskow, in Moskau schon seit Wochen gesprochen. Russland garantiert Blatter jegliche Unterstützung für die Wiederwahl 2011. Und Katar ebenfalls. Es gibt keine Herausforderer. Blatter hat ja sogar schon angekündigt, eventuell 2015 auch eine fünfte Amtszeit anzugehen. Die einzige Gefahr, der er ausgesetzt ist, sind die vielen Korruptionsskandale in der Fifa, die ihm um die Ohren fliegen könnten.“

Der DFB als Dulder und Mitlspieler

Thomas Kistner (SZ) beschäftigt sich mit deutscher Zurückhaltung: „Im deutschen Sport hingegen hält sich die Irritation über da Fifa-Gebaren in Grenzen. Der DFB, als weltgrößter Einzelverband mit enormem Einfluss versehen, fiel in dieser fragwürdigen Verbandslandschaft nie als Korrektiv auf, eher als Dulder oder gar Mitspieler. Schon die affärenreiche Rechtevergabe für die WM 2002/2006 an das damalige Bieterduo ISL/Kirch sah die Deutschen in diskreter Opposition zu einer europäischen Front gegen die Fifa. Auch beim Kongress 20002 in Seoul, als Europas Topverbände unter Lennart Johansson aufbegehrten und in Zürich sogar Klagen gegen Blatter liefen, stand der DFB treu zum Fifa-Boss. Jetzt, in der Debatte um die WM 2022 in Katar, wo die Sommerhitze bei 45 Grad liegt, sucht Franz Beckenbauer bereits nach Auswegen für die Fifa: Er regt Winter-Spiele an. Nicht nur Englands Liga dürfte da kaum mitmachen.“

Neue Kräfteverhältnisse

Michael Ashelm (FAZ) ergründet die Entscheidung wie folgt: „Der Triumph für Russland und Qatar ist auch ein Ergebnis der rasant fortschreitenden Globalisierung des Sports – und damit neuer Kräfteverhältnisse. Die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder im Fifa-Exekutivkomitee kommt aus Entwicklungsländern oder Ländern mit aufstrebenden Märkten. Ihr Selbstverständnis und ihr Einfluss steigen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Das Internationale Olympische Komitee hat für 2014 und 2016 seine Spiele nach Sotschi (Winter) und Rio de Janeiro (Sommer) vergeben. Die nächste Fußball-WM findet 2014 ebenso in Brasilien statt. Die Commonwealth Games wurden zuletzt trotz größter Probleme in Neu-Delhi ausgerichtet, die Formel 1 expandiert in Asien. Die alte Welt des Sports in Europa und Nordamerika hat diesen Weg selbst vorgegeben. Es gilt, das Milliardengeschäft mit Athleten, Sponsoren und Fernsehen anzufeuern, sich neue Kundschaft zu erschließen. Auf der anderen Seite sind die neuen Ambitionen grenzenlos, man will nicht mehr nur teilhaben, sondern bestimmen – mit welchen Mitteln auch immer.“

Kommentare

1 Kommentar zu “Geben und Nehmen”

  1. anderl
    Montag, 6. Dezember 2010 um 22:23

    Michael Ashelm fasst es gut zusammen. Diese Art der Vergabe ist eine Folge der Globalisiserung des Sports.

    Wichtig sind in diesem virtuell vermarkteten System nicht die Zuschauer im Stadion, sondern die Zuschauer auf dem Fernsehsessel.

    Dahinter kann man sehr gerne die Begeisterung für den schnöden Mammon sehen.

    Andererseits aber auch die Begeisterung für diesen Sport, die in neue Regionen getragen wird.

    Die Menschen werden zur WM nach Katar fliegen, und sich begeistert die Technik ansehen wollen. Neugier siegt in solchen Fällen häufig über die Angst.

    Andererseits: Warum sollen nicht zahllose Iraker, Syrer, Saudis und Katarer die Stadien füllen? Es ist doch ein Fest des SPORTS, oder? Oder ist eine Wm nur dann eine WM, wenn zehntausende „Schland“ im Stadion rufen?

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