indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Mit aller Macht

Martin Hauptmann | Freitag, 17. Dezember 2010 5 Kommentare

Der moderne Fußball ist in gewisser Hinsicht zeitgenössischer Krieg, die Befriedigung des männlichen Strebens nach Erfolg und Ehre; doch die Realität zeigt manchmal auch, wie unbarmherzig ein solch schonungsloser Drang sein kann

Christof Kneer (Sueddeutsche.de) verwundert das Interesse der Bayern am Hoffenheim-Brasilianer Luis Gustavo Dias vor dem Aufeinandertreffen am Wochenende nicht: „Sie kennen ihren Brasilianer ja am besten, sie wissen, dass er der wohl beste Balleroberer der Bundesliga ist, […]. Nach den Regeln des Geschäfts ist diese Personalie jetzt auf dem Markt und darf dort eine herrliche Eigendynamik entwickeln. In Hoffenheim haben sie aber beschlossen, diese Kriegslist mit eiserner Entschlossenheit zu kontern.“ Und Rangnick warf die Frage auf, wie das denn in seinem Team ankäme, wenn sie Luiz einfach so weggäben. Sie hätten ihre eigenen Ziele; deshalb halte er es für ausgeschlossen, dass sie ihn im Winter gehen ließen. Anders sei dies in sechs Monaten, da könne man ‚immer noch weitersehen’. Und er ergänzte, dass sie in Hoffenheim schließlich nicht den wirtschaftlichen Zwang hätten, Spieler abgeben zu müssen. Der Autor schreibt: „Wer die Branche kennt, weiß, dass eine barsche Absage oft die erste Einladung zum Pokerspiel darstellt. Wir! Geben! Unseren! Spieler! Niemals! Her! wird dann immer kämpferisch gerufen, und in einem für die Öffentlichkeit geschwärzten Subtext steht meistens: Es sei denn, ihr überschüttet uns mit Geld!“

Mit der Macht des Kalküls

Wann zählt sportliches Auftreten? Und wann ist es einfach nur clever, Regelverstöße zu begehen, wenn sie voraussichtlich nicht geahndet werden? Ronald Reng (FR) blickt noch einmal nach Sevilla zurück und betrachtet dabei die Rolle des Schiedsrichters kritisch: „Mit wehendem Mantel […] sprintete Jürgen Klopp mit dem Abpfiff auf den Fußballrasen und erfand spontan die Schutzumarmung. […] Trainer Klopp hielt Borussia Dortmunds Fußballer davon ab, sich nach dem Ausscheiden in der Europa League beim FC Sevilla mit dem Schiedsrichter anzulegen. Tatenlos hatte der Referee zugesehen, wie Sevilla mit Zeitschinden im großen Stil das für sie ausreichende 2:2 ins Ziel rettete.“

Mit der Macht der Kritik

Wann ein Trainer sein Handtuch werfen muss, entscheiden heute in der Regel die Spieler, indem sie den Trainer öffentlich kritisieren oder in Gruppen ihre Leistung nicht mehr abrufen. Die Anliegen, die den Spielern eigentlich auf der Seele brennen, treten durch den hervorgerufenen Vertrauensbruch dann meist in den Hintergrund. So hatten sich in jüngster Vergangenheit Lahms und Podolskis öffentliche Kritik an ihren Vorgesetzten zwar als reinigend, aber eben auch als verletzend für alle Beteiligten dargestellt. So nun auch im Fall Daniel Beichler. Der 22jährige Österreicher im Diensten der Hertha, immerhin Nationalspieler seines Landes und Berlins zweitteuerster Sommereinkauf, war in dieser Saison erst einmal überhaupt im Kader gestanden. Auch am Freitag wird er nicht mit nach Augsburg fahren. Eine Disziplinarmaßnahme? Am Donnerstag gab Beichler ein Interview in der Boulevardzeitung „BZ“. Offenbar gebe es ein Zerwürfnis zwischen Markus Babbel und dem Spieler, deutet Stefan Hermanns (Tagesspiegel) an, denn dieser habe sich ‚über seine Situation beschwert, mangelnde Kommunikation mit dem Trainer beklagt (‚Wir reden nicht viel miteinander’) und mehr Vertrauen angemahnt. ‚So geht das nicht im Profifußball’, hat Herthas Manager Michael Preetz auf Beichlers Vorwürfe erwidert. ‚Der Weg ist der falsche: Erst kommt die Leistung, dann das Vertrauen.’“

Mit der Macht der Überschätzung

Maik Rosner (Berliner Zeitung) vergleicht die unvernünftige Einkaufspolitik vieler Zweitligisten mit einem Besuch im Casino. München Sechzig greift er sich exemplarisch heraus: „Bis zum 13. Januar muss der Zweitligist bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) einen Liquiditätsnachweis für den Rest der Saison in Höhe von 5,3 Millionen Euro erbringen. […] diesmal geht es ums nackte Überleben. Oft schon hat sich der Verein von der Grünwalder Straße mit waghalsigen Finanzkonstrukten in den vergangenen Jahren verhoben. Rettungspakete und Hilfeleistungen gab es zuhauf, allein der Stadtrivale Bayern München griff mehrfach unter die Arme. In der größten Not hat sich nun die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Weiter-so den Ruin bedeutet. ‚Wir haben uns nie davon verabschiedet, Erstligist zu sein. Doch diese Denke muss jetzt hier raus. Wir räumen jetzt auf’, verspricht Geschäftsführer Robert Schäfer, seit November im Amt. […] Der aktuelle Profikader beispielsweise, zusammengestellt von Sportdirektor Miroslav Stevic, kostet 3,5 Millionen Euro mehr als vor drei Jahren.“ Man begebe sich leichtfertig in die Hände des Leichtsinns: „Das Überleben von 1860 München hängt auch vom umstrittenen Großgläubiger Nicolai Schwarzer ab. Der Immobilienhändler und Spielerberater hat rund zwei Millionen Euro in eine Tochterfirma des Klubs investiert, die er mit einem Sonderkündigungsrecht sofort geltend machen könnte. […] Für Professor Tobias Kollmann von der Universität Duisburg-Essen ist all das zusammen ein weiterer Beleg für die enorme Risikobereitschaft in vielen Vereinen. ‚Die Vernunft in der Vereinsführung zu bewahren, ist unglaublich schwierig. Weil der Druck von außen, Erfolgsgeschichten zu schreiben, unglaublich groß ist’, sagte der Sport-Wirtschaftsexperte: ‚Das ist wie beim Roulette. Man setzt auf Schwarz, und wenn dann Rot kommt, hat man Pech gehabt.’

… und mit den richtigen Mitteln

Nicht nur der Klub, sondern auch der eigene Körper soll mehr leisten, als er naturgemäß im Stande ist. Und so bleibt das Thema Doping in unserer Höher-Schneller-Weiter-Welt auch eines des Fußballs.  Mathias Klappenbach (Zeit Online) wünscht sich einen sauberen Fußballweltmeister Spanien: „Fußballprofis können ruhig schlafen. Sie müssen nicht damit rechnen, um halb sieben aus dem warmen Bett geklingelt zu werden, weil der Dopingkontrolleur vor der Tür steht und eine Probe haben will, und sie haben auch nichts gemein mit den 100 deutschen Sportlern, die sich nun organisiert haben, weil sie durch die strengen Meldeauflagen ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen. Fußball gehört nicht zur höchsten Meldekategorie, überraschende Kontrollen gibt es nur selten, und wenn, dann nur beim Training. Es werden nur Urinproben abgegeben, ihr für vernünftige Kontrollen relevanteres Blut behalten die Fußballer. Ihr Sport stellt eine eigene Kategorie bei Ansehen und Bedeutung dar. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. In Spanien wurden vor ein paar Tagen 14 Menschen in der „Operación Galgo“ (Operation Windhund) vorläufig festgenommen, unter ihnen auch der Dopingarzt Eufemiano Fuentes. Er ist seit 2006 bekannt, aus der bisher größten und trotz vieler Beweise weitgehend folgenlosen Affäre „Operación Puerto“ (Operation Bergpass). Er soll im Gefängnis laut seinen kurzzeitigen Zellengenossen damit geprahlt haben, dass Spanien ‚vielleicht weder den EM- noch den WM-Titel’ im Fußball hätte, wenn er auspacke. […] Gegen den Fußball könne man nicht gewinnen, weil der zu mächtig sei, er sei auch mit dem Tode bedroht worden. […]

Zwar ist Fußball keine klassische Kraft- und Ausdauersportart. Wer es nicht besser kann, schießt mangels Können oder Koordination an den Pfosten. Doch um vor den anderen da zu sein, wo der Ball hinkommt, kann etwa Blutdoping natürlich helfen, ebenso wie bei der Regeneration nach der Verlängerung im Pokal oder nach einer Verletzung. […] Seit Toni Schumachers Buch Anpfiff aus dem Jahr 1987 kann man wissen, dass auch im deutschen Fußball gedopt wird. Paul Breitner, Jens Lehmann, Peter Neururer und andere haben von den alten Zeiten berichtet, in denen beispielsweise das Aufputschmittel Captagon in der Kabine herumgereicht wurde. Bei Juventus Turin ist systematisches Doping in den neunziger Jahren nachgewiesen worden.“ So lässt sich dann auch die Aussage des spanischen Nationalspielers Xavi besser einordnen, der zu den Vorwürfen folgendes sagte: „Wir haben den Weltmeistertitel in der Gewissheit gewonnen, dass es im Fußball kein Doping gibt.“

freistoss des tages

Kommentare

5 Kommentare zu “Mit aller Macht”

  1. tafelrunde
    Freitag, 17. Dezember 2010 um 23:31

    @Martin Hauptmann: Klasse! Diese Art der Zusammenfassung ist neu hier.

    Gute Einleitung, meinungsstark zu den Zitaten, einfach lesenswert. Weiter so.

    Im Wechsel mit den bisher ebenfalls guten Kollegen hier im if eine neue Farbe. Und dabei nicht die schlechteste Herangehensweise an das Medien-Potpourri.

  2. Sascha
    Samstag, 18. Dezember 2010 um 01:42

    Eine wirklich gute Seite aus du hier. Bin gerade zum erstten Mal ier, werde mir diese Seite aber Bookmarken. Ist wirklich sehr informativ

  3. Der Teufel
    Samstag, 18. Dezember 2010 um 20:51

    Super Artikel! Endlich mal ein neuer Denkanstoß, der es auf den Punkt bringt und größere Dimensionen erkennen lässt. So stelle ich mir kritischen Fußballjournalismus vor!

  4. lateral
    Sonntag, 19. Dezember 2010 um 11:31

    Häh? Habt ihr eine andere Presseschau gelesen?! Ich finde, dass das diesmal keinen roten Faden, sondern eher etwas von Gemischtwarenladen hat…

  5. tiffany
    Montag, 20. Dezember 2010 um 03:17

    sehr gut Artikel.Sehr aufschlussreich.

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