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DFB-Pokal

Die letzten Entscheidungen

Kai Butterweck | Mittwoch, 22. Dezember 2010 6 Kommentare

Kurz vor dem Weihnachtsurlaub bittet das DFB-Pokal-Achtelfinale nochmal zum vorerst letztmaligen Stelldichein. Für einige Vereine und deren Angestellte geht es dabei um weit mehr als nur um das Erreichen der nächsten Runde

Für Udo Muras (Welt Online) hat der DFB-Pokal in diesem Jahr eine untypisch hohe Bedeutung für die Bayern: „Wer bei 14 Punkten Rückstand auf Borussia Dortmund immer noch an die Meisterschaft glaubt, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann oder ist ein ziemlicher Trotzkopf – wie Kapitän Mark van Bommel. Der soll sich zu Weihnachten einen Taschenrechner gewünscht haben, um seine These – „Ich gehe davon aus, dass wir Meister werden“ – noch möglichst lange aufrecht erhalten zu können. Auch die potenziellen Zugänge werden in den nächsten Monaten fleißig rechnen, denn so ganz sicher sind sie sich derzeit alle nicht, ob ein Wechsel nach München wirklich eine sportliche Verbesserung ist. Denn läuft es weiterhin so seltsam könnten die Bayern erstmals seit 18 Jahren das internationale Geschäft verpassen. In der Champions League wartet bekanntlich schon im Achtelfinale Titelverteidiger Inter Mailand, und danach werden die Gegner auch nicht schwächer. Falls es ein Danach gibt. Und so schauen die Verantwortlichen heute mit Bangen nach Stuttgart. Was noch nie vorgekommen ist in der Geschichte des FC Ruhmreich, wird jetzt womöglich uraufgeführt: Die Bayern betrachten den DFB-Pokal als Rettungsanker, als vielleicht einzigen Weg ins internationale Geschäft.“

Abschiedsspiel von van Bommel?

Moritz Kielbassa (SZ) bereitet sich auf die möglicherweise letzten Grätschen von Mark van Bommel im Trikot der Bayern vor: „Für den Kapitän könnte die schwäbische Pokalnacht das Abschiedsspiel sein. Van Gaals Beziehung zum Spielführer soll erkaltet sein, seit van Bommel im Oktober von Hollands Nationalelf eine – aus Sicht der Bayern – vermeidbare Verletzung mitbrachte. Zudem war der Vorstand befremdet, als der 33-Jährige unlängst mit einem forschen neuen Berater, Mino Raiola, zum Perspektivgespräch erschien. Die überbrachte Nachricht, man plane – Stand heute – ab Juli 2011 ohne ihn, soll van Bommel damit gekontert haben, seinen Abschied schon im Winter zu erwägen.“

Vertrauensverlust in Stuttgart

Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) sorgt sich bereits jetzt um Bruno Labbadia: „Bruno Labbadia hat sich gleich im seinem ersten Spiel als VfB-Trainer angreifbar gemacht. Seine Entscheidung, den 20 Jahre alten Innenverteidiger Ermin Bicakcic auf die rechte Abwehrseite zu stellen, erwies sich als fataler Fehlgriff. So ungestört durfte der Gegenspieler Franck Ribéry in der Bundesliga noch nie wirbeln. Labbadia muss nun schon nach einem Spiel fürchten, dass ihm allein durch diese Entscheidung, einiges an Vertrauen innerhalb und außerhalb der Mannschaft abhanden kommt.“

Walter Brühl (derwesten.de) sieht den VfB-Coach vor allem aufgrund seiner Vergangenheit in einer schwierigen Situation: „Trainer Bruno Labbadia kommt bei den VfB-Anhängern überhaupt nicht an. Seine Verpflichtung hat jedenfalls nicht das Geringste zur Beruhigung beigetragen. Ganz im Gegenteil. Erstaunlich eigentlich, dass ein 5:1-Europapokalsieg gegen Odense und eine – wenn auch außergewöhnliche – Pleite gegen Bayern München schon ausgereicht haben, um jeden Kredit aufzubrauchen. Aber Bruno Labbadia hat wahrscheinlich von Anfang an keinen Kredit genossen. Er kam nicht nur mit den Altlasten seiner gescheiterten Engagements bei Bayer Leverkusen und dem HSV ins Schwabenland. Schwerer noch als die sportlichen Talfahrten mit diesen beiden Klubs wiegt vielleicht sein berüchtigtes Interview am Vorabend des Pokalfinales 2009, als er das eigene Bayer-Team vor einem so wichtigen Spiel in Grund und Boden rammte. Seine damaligen Spieler werden ihm das wohl nie vergessen – und viele Fußball-Fans vergessen diesen bislang einmalig gebliebenen Akt der Illoyalität offenbar auch nicht.“

Kommunikationsprobleme zwischen McClaren und seinen Spielern

Frank Hellmann (FR) dankt Pierre Littbarski in Wolfsburg für seine sprachlichen Fähigkeiten: „Erst hieß es aus dem Umfeld des konzernalimentierten Klubs, der Brite sei bei einem Pokal-Aus nicht zu halten, nun aber ist immerhin von anderer Seite zu hören, der VW-dominierte Aufsichtsrat würde selbst dann nicht die Daumen senken. Noch nicht. Denn: Geht der Start in die Rückrunde so daneben wie das Ende der Hinrunde, ist der 49-Jährige auch von Vorstandschef Dieter Hoeneß nicht zu halten. Kein leichtes Arbeiten für den Hoeneß-Protegé, dessen Liga-Gegner dann Bayern, Mainz, Dortmund und Leverkusen heißen. Insofern droht McClaren ein Schicksal wie Armin Veh, der vor einem Jahr in ähnlicher Situation angeschlagen überwinterte, um dann in einer der ersten Amtshandlungen von Hoeneß nach zwei Rückrundenpleiten entlassen zu werden. Viele Anhänger glauben nicht mehr, dass der erste englische Trainer in der Bundesliga mit seinem für fast 40 Millionen Euro verstärkten Ensemble noch die Kurve bekommt. Die Trainingszeiten bei McClaren dauern selbst im Winter oft zwei Stunden, doch wer beobachtet, in welch ulkigem Kauderwelsch sich der Fußballlehrer verständigt, dem kommen Zweifel, ob das wirklich ein passendes Konstrukt ist. Zumal ohne die Unterstützung des dolmetschenden Assistenten Pierre Littbarski oft gar nichts geht. Grundsätzliche Fragen sind zu stellen. Entweder macht hier ein Trainer mit den richtigen Spielern das Falsche. Oder ein ambitionierter Trainer leitet die falschen Spieler an.“

240 Stunden im Monat auf dem Bau

Matthias Hendorf (Tagesspiegel) befasst sich mit dem außergewöhnlichen Werdegang von Duisburgs Trainer Milan Sasic: „Eigentlich wollte Milan Sasic damals nur drei Tage bleiben. 1991 war das, Sasic besuchte seine Schwester in Deutschland, im ehemaligen Jugoslawien tobte der Krieg. Sasic entschied kurzerhand, in Deutschland zu bleiben. Mittlerweile ist Sasic 52 Jahre alt und Trainer beim Zweitligisten MSV Duisburg. Als Sasic damals nach Deutschland kommt, spricht nichts für einen solchen Werdegang. Hier interessiert es niemanden, dass Sasic beim NK Karlovac einen passablen Zweitliga-Torhüter gegeben hatte. Sasic braucht Geld, er muss seine Frau und zwei Söhne versorgen. Sozialhilfe will er nicht. Also geht er auf den Bau, 240 Stunden pro Monat, wie Sasic erzählt. Er fährt LKW und sitzt stundenlang auf dem Bagger. Mitte der 90er Jahre spricht ihn ein Landsmann an, er brauche einen Trainer, der einen angeschlagenen Amateurklub flottmacht. Sasic sagt zu, ohne eine Ahnung, was ihn erwartet. Die DJK Gebhardshain-Steinebach spielt B-Klasse, tiefster Amateurfußball in der Kreisklasse. Aber Sasic hat Erfolg, der Verein steigt in die A-Klasse auf. Nach seiner Zeit in Gebhardshain trainiert er zunächst die Reserve des VfL Hamm, später die erste Mannschaft in der Oberliga Südwest, bis ihn schließlich 2002 der Liga-Rivale TuS Koblenz holt. 2008 soll er den 1. FC Kaiserslautern retten, der Richtung Dritte Liga taumelt. Sasic und die Mannschaft schaffen den Klassenerhalt. Als der FCK in der folgenden Spielzeit aber die Aufstiegsplätze zusehends aus den Augen verliert, ist Sasic wieder weg. Auch wegen seines rüden Umgangstons. Auch beim MSV Duisburg, den er Ende 2009 übernimmt, gibt es anfangs Probleme. Es kommt zur Aussprache mit der Mannschaft, Sasic ist seitdem etwas ruhiger geworden.“

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Kommentare

6 Kommentare zu “Die letzten Entscheidungen”

  1. Heffer
    Mittwoch, 22. Dezember 2010 um 16:08

    Die Bayern stehen 4 Punkte hinter dem Zweitplatzierten und noch sind erst 17 Spiele gespielt. Wie kommt man dann darauf, den Pokal als Rettungsanker zu bezeichnen?

    Inter Mailand ist bei weitem nicht so gefährlich wie vor einem Jahr und die möglichen Zugänge (wahrscheinlich denkt man hier an erster Stelle and Gustavo und Neuer) verbessern zweifelsohne ihre sportliche Perspektive.

    Dass die Bayern nicht zufrieden sind mit ihrer Situation ist ja klar, aber was Herr Muras hier erzählt ist schon ziemlicher Schwachsinn.

    Den Abstand, den Dortmund inzwischen hat, muss man als Ausnahmesituation sehen und in jedem anderen Jahr hätten die Bayern mit ihrer bisherigen Punkteausbeute sehr wohl noch Chancen auf die Meisterschaft.

  2. anderl
    Mittwoch, 22. Dezember 2010 um 18:47

    ich kann mich Heffers Kommentar trotz Bayernbrille nur anschließen. Wer glaubt denn bitte, dass Bayern nochmal so einen Start hinlegt?

  3. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 22. Dezember 2010 um 19:15

    Udo Muras ist Bayern-Fan.

  4. Ulfert
    Donnerstag, 23. Dezember 2010 um 01:08

    Ich fand den Beitrag auch etwas seltsam. Bayern „überwintert“ (wenn man das bei einer Winterpause von maximal 3 Wochen noch so sagen kann) auf Rang 5 und damit auf einem Euro-League-Platz. Als Rettungsanker hätte man den Pokal vllt für Wolfsburg bezeichnen können, oder für Stuttgart. Aber das war einmal.

    Klasse Spiel grad eben btw, und erstaunlich tote Stimmung bei der Auslosung.

  5. anderl
    Donnerstag, 23. Dezember 2010 um 08:55

    @Oliver Fritsch:
    Ich kenne Bayernfans, die bei jedem Gegentor einen Tobsuchtsanfall bekommen und den Rausschmiss von Louis van Gaal fordern. Das sagt also gar nichts.

  6. Sportwissenschaft
    Sonntag, 2. Januar 2011 um 19:52

    Man merkt, dass Udo Muras Bayern-Fan ist. Trotzdem ist der Bericht ja recht objektiv geschriebebn. Aber die Bayern haben indirekt gerade Rangnick mit entlassen. Klar ist das Präsidium in 1. Linie schld: Hinter dem Rücken des Trainers einen Spieler im Format eines Gustavo abzugegen – kopfschüttel! Aber hätten die Bayern nicht auch mit Rangnick sprechen sollen?

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