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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Prost Neujahr!

Kai Butterweck | Montag, 3. Januar 2011 5 Kommentare

Bei der TSG Hoffenheim beginnt das neue Jahr mit einem wahren Paukenschlag: Die Hintergründe des Rücktritts von Ralf Rangnick versetzen die Presse in helle Aufregung.

Moritz Kielbassa (SZ) vermisst eine klare Linie in Hoffenheim: „In Rangnicks Vita ist es der zweite ungewöhnliche Abschied nach jenem von Schalke 2005, mit einer kurios anmutenden Arena-Ehrenrunde. Viele kleine, nebulöse Dissonanzen führten im früheren Musterdorf zum Riss, letzter Tropfen ins Fass war jetzt der Verkauf Luiz Gustavos – nach einem Gespräch, zu dem Mäzen, Manager und Spielerberater nach München reisten, ohne den Trainer zu informieren. Auf diesen rüden Vertrauensbruch reagierte der leitende Angestellte so konsequent, wie es den Handelnden eigentlich klar sein musste. Denn Rangnick mag im Arbeitsalltag oft unbequem sein. Er ist aber auch: immer emotional und ehrlich, bis zur Schmerzgrenze. Zur Bruchstelle wurde die ungeklärte Frage, was Hoffenheim eigentlich vorhat: Von einem gehoben mittelmäßigen Erstligisten zu einem guten zu werden? Mit dem Ziel Europa, das Trainer und Team längst hatten, um den Standort auch für Topspieler attraktiver zu machen? Oder bleibt man bei allem Erfolgsstreben, wie Hopp sagt, ein eher „kleiner Verein“, der mit seinem Talentkonzept auch Transferüberschüsse erzielen will?“

Diese Machtdemonstration dürfte für einige Kritik sorgen

Für Jan Reschke (Spiegel Online) bewegt sich Dietmar Hopp auf einem schmalen Grat: „Rangnick ist in Hoffenheim vor allem an seiner Erfolgsbesessenheit gescheitert. Seit 2006 lenkte er das Bundesliga-Projekt Hoffenheim entscheidend mit, stieg mit seinem Team von der Regionalliga Süd in die zweite Bundesliga auf, schließlich in die Bundesliga. In dieser Zeit formte er Schritt für Schritt eine Mannschaft, die sich zuletzt im oberen Drittel der Liga etabliert hat. Doch nun hält die Entwicklung des Clubs seinen Erwartungen nicht mehr stand. Der Abgang von Rangnick sagt einiges über die Verhältnisse bei Hoffenheim aus. Wenn Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zum Gustavo-Transfer erklärt, `wir haben uns mit Dietmar Hopp geeinigt`, dann verdeutlicht das die Einmischung durch den größten Geldgeber des Clubs in das Tagesgeschäft Bundesliga. Hopp wollte diesen Transfer, Hopp hat ihn möglich gemacht, Hopp ist Hoffenheim. Diese Machtdemonstration dürfte für einige Kritik sorgen. Die `50+1-Regelung` in den DFL-Statuten besagt, dass es Kapitalanlegern nicht möglich ist, die Mehrheit in von Fußballvereinen gegründeten Kapitalgesellschaften zu übernehmen, also die Kontrolle über einen Club.“

Sven Flohr (Welt Online) erwartet eine Reaktion der Liga: „Mit dem Verkauf von Luiz Gustavo wurde Rangnicks Wirken jegliche Grundlage entzogen. Zum einen will der Klub nicht um jeden Preis etwas gewinnen, sonst hätte er nicht ohne Not den besten Spieler in der Winterpause abgegeben. Zum anderen wurde dem Trainer die sportliche Kompetenz entrissen – Hopp hat das Geschäft ohne Rangnicks Beteiligung oder Zustimmung getätigt. Das konnte sich dieser nicht gefallen lassen. Interessant wird nun sein, ob sich die Bundesliga Hopps Tätigkeiten gefallen lässt. Mit dem Verkauf des Spielers konterkariert der Milliardär die 50+1-Regel der DFL, die die Einmischung von Investoren ins operative Geschäft verhindern soll. Nichts anderes ist hier passiert.“

Possenspiel in der Provinz

Oliver Trust (Tagesspiegel) tadelt das provinzielle Schmierentheater im Kraichgau: „Was wie ein launiger Rückblick auf die schöne gemeinsame Zeit mit bunten Geschichten begann, wurde zur peinlichen Aufarbeitung einer Trennung, die schnell an ein Possenspiel in der Provinz erinnerte. Nachdem die TSG Hoffenheim in ihrem Trainingszentrum in Zuzenhausen nach viereinhalb Jahren die sofortige Trennung von Cheftrainer Ralf Rangnick bestätigt, der scheidende Coach wehmütig an den rasanten Aufstieg aus der Regionalliga in die Bundesliga erinnert hatte und mit dem bisherigen Assistenten Marco Pezzaiuoli sein Nachfolger vorgestellt war, entglitt dem badischen Klub die Pressekonferenz am Sonntag völlig. Die vorgespielte Harmonie verpuffte unter dem Eindruck von allerlei peinlichen Enthüllungen. Verlegen und kleinlaut mussten Manager Ernst Tanner, Präsident Peter Hofmann und Geschäftsführer Jochen A. Rotthaus eingestehen, ihren bisherigen Cheftrainer gemeinsam mit Dietmar Hopp, dem mächtigen Gesellschafter im Hintergrund, quasi weggemobbt zu haben. Hinter Rangnicks Rücken hatten sie den Verkauf von Luiz Gustavo für rund 15 Millionen Euro an Bayern München abgewickelt.“

Der Gönner ist und bleibt ein Geschäftsmann

Michael Horeni (FAZ) sieht eine allgemein kursierende Ahnung als nun bestätigt an: „Hopp hat immer betont, dass sich Bundesligafußball auch finanziell lohnen kann. Er wollte nie ein Abramowitsch sein, der nur die Schecks zückt. Der Ausbildungsverein de Luxe, der junge Spieler auch für Topvereine anbietet, ist sein Hoffenheimer Geschäftsmodell. Vor Gustavo ist der Klub auf diese Weise auch schon so mit Carlos Eduardo verfahren. Gustavo kostete eine Million Euro und bringt nun fünfzehn, Eduardo erzielte ein nicht ganz so gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis – aber genau so soll Hopps Refinanzierung dauerhaft funktionieren. Der Gönner ist und bleibt auch Geschäftsmann. Hoffenheim reagiert auf den Interessenkonflikt geschäftlich kühl wie eine Firma, die bundesligataugliche Nachwuchskräfte für den deutschen und europäischen Markt produziert. Der sportliche Leiter quittiert angesichts von unterschiedlichen strategischen Vorstellungen den Dienst, sein Assistent übernimmt. Widerspruch in der Organisation ist nicht zu vernehmen. In einem Fußballverein, in dem es Opposition und Tradition gibt, würde ein Fall Gustavo/Rangnick, der eigentlich ein Fall Hopp ist, nicht ohne demokratische Turbulenzen abgehen. Geahnt hat man immer, nach welchem Grundsatz das Reich Hopp in mitten einer demokratischen Fußballwelt regiert wird: Der Verein bin ich.“

Was haben sie nicht alles erzählt

Nach Ansicht von Stefan Hermanns (Tagesspiegel) haben die Hoffenheimer weit mehr verloren, als nur ihren Trainer: „Mit Ralf Rangnick ist der TSG nicht nur der Architekt des Wunders abhanden gekommen, sein unfreiwillig freiwilliger Abschied hat das gesamte Selbstverständnis des Klubs zum Einsturz gebracht. Was haben sie nicht alles erzählt: Dass der Klub eben nicht das Spielzeug eines eitlen Milliardärs ist, der ein paar überschüssige Millionen zuschießt und dafür bestimmt, wo es langgeht. Nein, Dietmar Hopp hat sich natürlich jegliche Einmischung ins Tagesgeschäft versagt. Wer’s geglaubt hat … Hopp höchstselbst war es, der den Verkauf von Luiz Gustavo zu den Bayern massiv vorangetrieben und Rangnick damit indirekt vom Hof gejagt hat. Man könne dem Brasilianer diese Chance doch nicht verbauen, hatte Hopp gesagt. Wie rührend. Und wie dämlich! Während Rangnick noch um seinen wichtigsten Spieler kämpft, hat Hopp ihn längst zum Verkauf freigegeben. Er ist eben doch nur ein ganz normaler Mäzen, ein Fan, der sich in eine Glitzerwelt eingekauft hat, sich geschmeichelt fühlt, Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer zu seinen Freunden zählen zu dürfen, und dessen Ego Polka tanzt, wenn die großen Bayern sich für einen Spieler seines Klubs interessieren. Da kann man doch gar nicht Nein sagen.“

Frank Hellmann (FR) sieht in Hopps Handeln eine klares Ziel: „Hopp ist es in erster Linie anzulasten, Rangnick aus dem Kraichgau vergrault zu haben, weil der Mäzen den vorzeitigen Verkauf von Luiz Gustavo eigenmächtig abgewickelt hat. Art und Weise lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass Hopp den oft quengeligen, ungeduldigen, ja nervigen Übungsleiter loswerden wollte. Vielsagend, dass Hopp plötzlich darauf verweist, dass sein neureicher Dorfverein das Uefa-Reglement zum finanziellen Fairplay nicht aus den Augen verlieren dürfe. Es wäre zuvor jedoch nicht die schlechteste Idee gewesen, auch Fairplay mit einem der verdientesten Angestellten der jüngeren Vergangenheit walten zu lassen.“

freistoss des tages

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Kommentare

5 Kommentare zu “Prost Neujahr!”

  1. Marvin Nash
    Montag, 3. Januar 2011 um 17:42

    Hier ein guter Bericht vom WDR. Zwar schon was älter, aber wieder brandaktuell 😉 .

    Leider schmiert Hopp den DFB zu sehr, alsdass es Konsequenzen durch seine Einmischungen geben würde.

  2. prazzomoto
    Montag, 3. Januar 2011 um 18:33

    Psst, das darf man nicht so laut sagen, sonst wird man wieder der reflexhaften Hoffenheimhetze verdächtigt …

  3. indirekter freistoss
    Montag, 3. Januar 2011 um 18:53

    […] wer interesse hat, die gesammelten kommentare aus der fussballwelt zum kraichgauer jahresbeginn zu lesen, der darf dies bei den freunden des indirekten freistosses tun. hier ist der link. […]

  4. Bundesliga-Rückrunde – Das wars, so isses, so hättes sein können | Spreeblick
    Freitag, 7. Januar 2011 um 16:34

    […] aber: Hätte Ragnick gekonnt, wie er gewollt hätte, wäre Hoffenheim ein Fussballclub und kein Investitionsprojekt.Hamburger SVPrognose: Achter.Wenn Hamburg könnte, wie es könnte, wär Fußball nicht, was es ist. […]

  5. Bundesliga-Rückrunde – Das wars, so isses, so hättes sein können | SHOUTing GORIlla
    Freitag, 7. Januar 2011 um 17:00

    […] Oder aber: Hätte Ragnick gekonnt, wie er gewollt hätte, wäre Hoffenheim ein Fussballclub und kein Investitionsprojekt. […]

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