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Bundesliga

Sammer und der HSV – wer ist Schuld?

Matthias Nedoklan | Montag, 24. Januar 2011 Kommentare deaktiviert für Sammer und der HSV – wer ist Schuld?

Sammer oder der HSV – wer trägt die Schuld an dem öffentlichen Debakel, bei dem es nur Verlierer zu geben scheint. Auch die Presse ist gespalten

Raphael Honigstein (The Guardian) schämt sich für Sammer: „Sammer hat kalte Füße bekommen. Stunden nach seinem Meinungsumschwung wurden Sammer und seine Frau bei einer Weißwurstparty in einer Tiroler Skihütte fotografiert. Seine Glaubwürdigkeit als Sportdirektor hat klar gelitten. Auch aus Wolfsburg wird berichtet, dass der Vorstand von Sammers Wankelmütigkeit frustriert wurde. Man muss sich fast schon für ihn schämen. Und vielleicht etwas Mitleid empfinden. Der Mann, der einst der neue Beckenbauer werden sollte, ist auf dem Weg der nächste Lothar Matthäus zu werden.“

Michael Horeni (FAZ) spart nicht mit Kritik an Matthias Sammer: „Seine krachende Absage für den Sportdirektorposten beim HSV ist selbst in einer Branche, in der Bierdeckelverträge und Managerkündigungen durchs Klofenster Geschichte machten, ein starkes Stück. Nach wochenlangen Verhandlungen und einem schon detailliert ausgearbeiteten Vertrag hat sich ein verunsicherter und ständig telefonierender Sammer, wie Teilnehmer der DFB-Präsidiumssitzung berichten, am Freitag überraschend entschieden, das Angebot in letzter Minute, die ihm der DFB gab, noch abzulehnen. Den HSV hat er mit seiner Absage desavouiert – und sich selbst, davon darf man ausgehen, auf unabsehbare Zeit im Fußballgeschäft unmöglich gemacht.“

Dornröschen HSV

Ralf Wiegand (SZ) schiebt dem HSV den Schwarzen Peter zu: „Womöglich handelt es sich beim Hamburger Sportverein aber auch gar nicht um einen schlafenden Riesen, sondern um Dornröschen. Da holten sich die Ritter aus dem ganzen Land auch so um die hundert Jahre lang eine blutige Nase beim Versuch, das Mädel aufzuwecken. Sie kamen nämlich gar nicht erst rein ins dornenumrankte Schloss. Weder Urs Siegenthaler noch Matthias Sammer durchdrangen die Hecke und zogen, als Ritter von mehr oder weniger trauriger Gestalt, wieder von dannen. Zwei solche Pleiten in der Sparte Personalfindung innerhalb von sieben Monaten sind für ein Unternehmen wie den HSV inakzeptabel – und dabei ist es vollkommen egal, wer wem wann was zugesagt, aber das womöglich ganz anders gemeint hat.“

Christof Kneer (SZ) sieht den DFB-Sportdirektor beschädigt: „Sammer ist weiterhin ein bisschen entmachtet beim DFB, jetzt aber noch ein bisschen entmachteter. Er wird es nicht mehr riskieren, im Fall Adrion öffentliche Widerworte zu geben. Er hält Adrion für gescheitert, aber er weiß, dass es im Moment keine gute Idee wäre, sich an einem Machtkampf zu versuchen. Nicht nur in der öffentlichen Meinung, auch im eigenen Verband gilt Sammer seit Freitag als der Mann, der sich nicht traut.“

Sammer zögerte lange

Jörg Marwedel (SZ) kritisiert die frühzeitige Veröffentlichung der Verhandlungen: „Nicht der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann bekam diesmal die größte Schelte. Er ist ja offiziell auch gar nicht für die Bestellung des neuen Sportchefs zuständig. Das ist der Aufsichtsrat, und der hat ja seit Anfang des Jahres einen neuen Chef. Ernst-Otto Rieckhoff, 59, war früher Handballer und in den neunziger Jahren Schatzmeister beim Hamburger SV. Nun hat er den Job von seinem Freund Horst Becker übernommen, der nach den gescheiterten Sportchef-Fahndungen in den vergangenen anderthalb Jahren meist als Hauptschuldiger hingestellt worden war. Nun also Rieckhoff, für den es jetzt ebenfalls um seinen Ruf in einem Verein geht, der nicht zum ersten Mal zum bundesweiten Gespött der Leute wurde. Abgesehen davon, dass die HSV-Verantwortlichen so unvorsichtig waren, die Fast-Verpflichtung schon vor der Zeit herauszublöken, so konnte man aus ihrer Sicht schon glauben, dass es klappt. Noch am Dienstag hatte Sammer in Hannover einem Teil des Aufsichtsrates sein Konzept in einem vierstündigen Vortrag vorgestellt. Wie es heißt, begannen die konkreten Gespräche vor zweieinhalb Wochen, nachdem man schon drei Wochen zuvor erstmals Kontakt aufgenommen hatte. Und so schien tatsächlich bis zum Freitag alles auf den Abschluss eines Dreijahresvertrages hinauszulaufen, bei dem Sammer angeblich 2,5 Millionen Euro hätte verdienen können.“

Jochen Wille (Berliner Zeitung) greift Sammer an: „Es lässt sich eben leichter weise im Fernsehen reden, wenn auf das Geplapper keine Handlungen folgen, als in einem Bundesligaklub teure Strategie- und Personalentscheidungen zu treffen, die auf Erfolg überprüfbar sind. Da ist der Job beim Deutschen Fußball-Bund unschlagbar: Sportdirektor ohne Mandat, weil wichtige Entscheidungen der Bundestrainer Joachim Löw trifft. Wenn schon Sammer als wankelmütiger Frühstücksdirektor, dann doch lieber beim DFB, dürfen die Hamburger sich denken. Ihnen kann keiner verübeln, dass offensichtlich konkret ausgehandelte Verträge den Anschein weckten, Sammer hätte sich für den HSV entschieden.“

Zuviel Öffentlichkeit

Marcel Reif (Tagesspiegel) zählt den HSV an: „Die Liste der Peinlichkeiten begann mit der SMS-Absage des Oliver Kreuzer. Dann wurde Urs Siegenthaler gehandelt, der inzwischen fast legendäre Scout und Analyst, mit dem die deutsche Nationalmannschaft ein Sommermärchen zelebrierte und einen afrikanischen Winterzauber tanzte. Chapeau, dachten da manche, vielleicht kriegt der HSV ja doch noch einmal die Kurve. Kriegte er nicht, Siegenthaler sagte ab, Bastian Reinhardt durfte sich probieren, musste scheitern, auch weil mit Altmeister Netzer verhandelt wurde, wird weiter scheitern, weil Matthias Sammer auf den Plan gerufen wurde. Und das alles nicht planvoll, nicht als Gedankenspiel, als Austausch von Vorstellungen und Möglichkeiten, sondern coram publico. Hatte sich da wirklich jemand Chancen ausgerechnet, dass Matthias Sammer tatsächlich zusagen würde? Der, der es lieber in Ruhe haben will, mitunter eher konspirativ?“

Jan Christian Müller (FR) glaubt nicht an den Familienmenschen Sammer: „Was an Sammers Darstellung ein wenig verwundert: Die Hamburger, die den DFB erst Donnerstag offiziell über ihr zwei Tage zuvor öffentlich verlautbartes Interesse informierten, hätten problemlos das Wochenende abgewartet. Der Deutsche Fußball-Bund in Gestalt von Präsident Theo Zwanziger ließ dies jedoch aus nachvollziehbaren Gründen am Tag seiner Präsidiumssitzung nicht zu, sondern wollte Klarheit von dem Mann, der einen Vertrag bis 2013 besitzt. Sammers Aussagen in seinen Interviews lassen durchaus den Schluss zu, dass er sich zwei Tage später womöglich anders entschieden hätte, dann aber vermutlich gegen den ausdrücklichen Willen seiner in München Grünwald gut verwurzelten Familie mit zwei Söhnen und einer erwachsenen Tochter.“

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