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Bundesliga

Schalke, Hamburg, Wolfsburg – keiner blickt mehr durch

Kai Butterweck | Montag, 14. März 2011 3 Kommentare

Die halbe Liga versinkt derzeit im Trainerchaos. Die Presse amüsiert und erzürnt sich zugleich über die wirren Verhältnisse innerhalb vermeintlicher Top-Vereine

Uwe Marx (FAZ) beobachtet eine neue Entwicklung: „Armin Veh steht für die trotzige Gelassenheit bei Trainern ohne Zukunft, zusammengesetzt aus Stolz, Ermattung und Realitätssinn. In den Gesichtern steht Süffisanz, ein souveränes Lächeln, und das ist bei Felix Magath in Schalke nicht anders. Er begegnet seinem größten Problem, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies, mit einer ähnlichen Attitüde. Alle drei wissen, dass sie ohne ihre Vereine gut leben können, dass aber nicht sicher ist, ob diese Vereine auch ohne sie besser dastehen werden.“

Die Sichtweise muss sich ändern

Christof Kneer (SZ) gibt Tipps für die Trainersuche: „Vor allem wirtschaftsnahe Klubbosse (Hoffmann, Tönnies, Staudt) haben in der Vergangenheit zu sehr darauf geachtet, ob ein Trainer schon Titel gewonnen oder – wie sie sagen: generiert – hat. Der Fall Klopp lehrt, dass es schlauer sein kann, einen umgekehrten Blick auf die Trainer zu werfen: Es geht darum, früh zu erkennen, welcher Coach Titelpotenzial entwickeln könnte – in der Zukunft.

Michael Horeni (FAZ) fordert mehr Zusammenhalt: „In dieser Saison wird angesichts des ganzheitlichen Teamspirits, der Klubs wie Dortmund, Mainz und Freiburg von ganz oben bis unten durchzieht, offensichtlich wie nie: Die Traditionsklubs FCB, HSV und S04 scheitern nicht am falschen Trainer, sondern an sich selbst.“

So könnte es im März 2012 aussehen

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) bewirbt sich demnächst als Hellseher: „März 2012: Michael Ballack gründet mit Torsten Frings die Gewerkschaft zu Unrecht aufs Abstellgleis geschobener Nationalspieler (GzUaAgN). Ihre Kernforderungen sind: mehr Respekt, weniger Löw – und ein Recht auf schlechte Laune für alle. Leider können sie keine weiteren Profis überzeugen, ihrer Gewerkschaft beizutreten. So wird Ballack Vorstandsvorsitzender, Personalchef und Pressesprecher der GzUaAgN, Frings kümmert sich um die Finanzen und die Mitgliederwerbung. Das GzUaAgN-Duo will Sammer mit einem Posten im Aufsichtsrat ködern. Sammer sagt kurzfristig ab. Er weiß nicht mehr, wo ihm vor lauter Angeboten der Kopf steht.“

Eine weitere Zusammenarbeit mit Magath ist unwahrscheinlich

Richard Leipold (Tagesspiegel) verabschiedet sich von einer Beziehung, die nie eine war: „Auch die Vorstandsmitglieder Peter Peters und Horst Heldt hielten sich zu lange zurück, sogar noch, nachdem sie am Donnerstagabend ohne sein Wissen den Kommunikationsdirektor Rolf Dittrich entließen – einen engen Vertrauten Magaths. Diese Personalie gilt als Signal dafür, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Magath unwahrscheinlich sein würde. Letztlich aber hat es eine Zusammenarbeit zwischen Magath und Schalke, wenn überhaupt, nur in Fragmenten gegeben.“

Marcel Reif (Tagesspiegel) versteht die Schalker Welt nicht mehr: „Trotz des Sieges über Valencia, trotz der nicht geringen Chance auf den Pokalsieg gegen einen Zweitligisten, trotz der drei Punkte gegen die Frankfurter. Er muss schon eine Menge verbrannt haben, der Felix Magath, dass Fans und, wie es aussieht, auch der Verein sich nicht befrieden lassen. In einem aber hat Magath unbedingt recht. Wenn er sagt, dass der Verein sich in diesen Tagen wieder verhält wie in all den Jahrzehnten zuvor. Doch ja, das Schalke dieser Tage ist das Schalke, das man kennt: chaotisch, unstrukturiert, voller Leidenschaft und ohne Ratio.“

Ein Gag für Kenner

Philipp Selldorf (SZ) schmunzelt über Magaths Humor: „Schon am Freitag vor dem Spiel   war ihm ein genialer Witz gelungen, den aber leider niemand verstanden hatte. Magath hatte die Pressekonferenz  mit den Worten eingeleitet, er werde `nur Fragen zum Spiel beantworten – damit Sie sich schon mal dran gewöhnen können`. Die Reporter hielten das für eine kleine Boshaftigkeit, dabei war dieser Prolog eine Anspielung auf Otto Rehagel, seinen möglichen Nachfolger im Traineramt. Rehhagel hat vor vielen Jahren das Urheberrecht auf den inzwischen häufig genutzten Allgemeinplatz `Nur Fragen zum Spiel` erworben – es war ein Gag für Kenner.“

In Hamburg hat eine neue Zeitrechnung begonnen

Birger Hamann (Spiegel Online) verspricht dem Hamburger SV eine bessere Zukunft: „Der HSV ist an diesem desaströsen Wochenende endgültig am Tiefpunkt angelangt. Das ist das Beste, was dem Club passieren konnte. Die sportlichen Ergebnisse hatten die chaotischen Zustände in den vergangenen Wochen zunächst noch halbwegs kaschiert. Aber ein 0:6 kaschiert nichts mehr. Es legt vielmehr offen, dass nicht nur der Club im allgemeinen, sondern auch die Mannschaft im speziellen kopflos ist. Ohne Führung, ohne Plan. Daher ist der radikale Schnitt zum jetzigen Zeitpunkt nur konsequent. In Hamburg hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Eine des Aufbruchs, weil der Verein nicht mehr tiefer fallen kann.“

Jan Christian Müller (FR) prophezeit Michael Oenning einen schweren Gang: „Ihn als Interimslösung vorzustellen, künftig unterstützt von U23-Coach Rodolfo Cardoso, drängte sich auf. Oenning wird nun auch die gewiss nicht einfache Aufgabe erledigen müssen, dass tief abgekühlte Betriebsklima den frühlingshaften Temperaturen anzunähern.“

Magath hat Wolfsburg bis auf den letzten Blutstropfen leergesogen

Peter Ahrens (Spiegel Online) blickt vorwurfsvoll zurück: „Magath hat den VfL innerhalb von zwei Jahren aus der Fußball-Provinz in die Champions League befördert. Mannschaft und Verein waren mit diesem Rollenwechsel letztlich überfordert. Die Ansprüche, die nicht zuletzt der Volkswagen-Konzern aus der Meisterschaft von 2009 ableitete, waren zu groß für eine Mannschaft, die Magaths Kreation war. Der Meistermacher ging, die Mannschaft blieb zurück. Manchmal hatte man das Gefühl, Magath hat dieses Team bis auf den letzten Blutstropfen leergesogen, anschließend war nur noch die Hülle da.“

Christian Otto (FAZ.net) leidet mit Pierre Littbarski: „Wer wissen möchte, wie es um das Nervenkostüm der Hauptdarsteller beim VfL Wolfsburg bestellt ist, braucht im Grunde nur Pierre Littbarski bei der Arbeit zu beobachten. Der Trainer für den Übergang, den jedes noch so kleine Erfolgsbilanz länger im Amt hält, trat an der Außenlinie wieder einmal in Rumpelstilzchen-Manier auf. Die Wolfsburger Spieler, die sich viele Fehler leisteten, und der oft überforderte Referee gönnten dem ärgerlichen Cheftrainer keine Pause und machten ihn zu einem verzweifelten Mann.“

Eintracht Frankfurt, das Trainer-Eldorado

Ingo Durstewitz (FR) wundert sich über hessische Standhaftigkeit: „Je mehr Trainer entlassen werden, je mehr die Öffentlichkeit den Kopf von Michael Skibbe fordert, desto entschlossener stärkt Heribert Bruchhagen den erfolglosen Coach. Aus Überzeugung? Oder Trotz? Oder weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Eintracht Frankfurt, das Trainer-Eldorado − dank Dickkopf Bruchhagen.“

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Kommentare

3 Kommentare zu “Schalke, Hamburg, Wolfsburg – keiner blickt mehr durch”

  1. augelibero
    Montag, 14. März 2011 um 13:21

    Der Blick in die Zeitungen zeigt einmal mehr, dass der Fußballfeuilleton sich längst vom Wettkampfcharakter seines Gegenstandes abgekoppelt hat.

    Harte Faktoren – Ergebnisse und Tabellenstände – spielen keine Rolle mehr, weiche Faktoren werden zu Trends „hochsterilisiert“ (B. Labbadia). Dass die FAS am Sonntag „Das Ende der Leitwölfe“ ausgerufen hat, sagt alles: Wenn Trainer wie Slomka oder Tuchel als Wachablösung für Magath ausgerufen werden, ist das schon ein Gesellenstück der Trottelei. Dass man daraus noch einen übergeordneten Trend konstruiert, grenzt schon als Fanverblödung – dafür einen Meisterbrief!

    Egal, was FAS-Sportchef Horeni aus den Fingern in die Tasten rutscht, der große Fußball wird in Wirklichkeit und auch in Zukunft von „Leitwölfen“ auf der Trainerbank beherrscht.
    Hier zwei Namen, die in dem Artikel (kommischerweise) fehlten:
    1. Mourinho, Leitwolf
    2. Ferguson, Leitwolf

    Und in der Bundesliga ist gerade die Tabellenspitze das beste Beispiel:
    1. Klopp, Leitwolf und charismatischer Alleindarsteller, der einen ganzen Verein mit Macht umgekrempelt hat
    2. Heynckes, „el autisto“ (Spitzname bei Real), Diktator ganz altere Schule

    Auch die SZ geht in Sachen Trainer mit der Zeit, schließlich muss sie ja jeden Tag die Spalte füllen und hat keine Verantwortung.

    Also, warten wir einfach ein paar Wochen (und Ergebnisse) ab, und dann ruft Herr Horeni die „Rückkehr der Leitwölfe“ aus. Und die Bravo-Girl-Fußballfans freuen sich über den nächsten Trend. Mal sehen, ob sich in ein paar Jahren noch jemand an den Trainer Slomka erinnert. Die Listen von Meistern oder Poikalsiegern werden jedenfalls nicht an ihn erinnern.

    Über Fußball wird in Deutschland derzeit wenig relevantes publiziert.

  2. Manfred
    Montag, 14. März 2011 um 14:19

    Wirklich schlimm finde ich ja den Zwang, dem ja auch die Mitarbeiter der IF erlagen: irgendwas schreiben zu müssen zu glauben (oder so ähnlich).
    Dieses mittlerweile tägliche Sau durchs Dorf-Getreibe hat mit ernsthaftem Journalismus nichts mehr zu tun, denn dort, so die Fabel, seien ja verantwortungsbewußte Menschen, die ihren Beruf richtig erlernt haben und zB wissen, was Recherche ist und wie sie funktioniert, am Werk; Menschen also, die erst dann einen Artikel oder eine Geschichte abliefern, wenn das eine oder andere völlig wasserdicht ist und sich nicht in wilden Spekulationen und -auch extrem beliebt- Allgemeinplätzen und ähnlichem -sorry- Dünnschiß ergehen.
    Mir ist völlig schleierhaft, wieso sich so ziemlich alles, was neuerdings publiziert wird, an einem möglichst niedrigen Niveau (aka BILD) orientiert und dabei jegliche Qualität ignoriert.
    Die Gefühle von Peter Ahrens interessieren doch kein Schwein. Und wenn Herr Horeni schon sowas wie das oben zitierte schreibt, dann möge er auch bitte darauf hinweisen, daß er das -vermute ich einfach mal- ohne Frank Rosts samstägliches Interview alleine kaum bemerkt hätte.
    Ja, das ist hämisch, aber auch nichts anderes als das, was diese Herrschaften von sich geben, man paßt sich halt an.

  3. anderl
    Montag, 14. März 2011 um 21:42

    @augelibero:
    Hat schon mal jemand von dem Systemzwang bei Barca gesprochen? Ist das nicht auch Leitwolf? Und der Herr Guardiola wird auch kein sanftes Kätzchen sein.
    Es ist allgemein eine irrige Annahme, dass im Spitzensport „weiche“ Trainer irgendwas erreichen könnten: In einem dermaßen von talentierten Sportlern angefüllten Sportbetrieb kann nur derjenige mit Erfolgen herausstechen, der das letzte Quentchen Willen und Leistungs“lust“ aus dem Spieler herausholt.
    Und das kann niemand ohne Leistungsdruck und einer gewissen psychischen Voraussetzung.

    Noch ein bescheidener Hinweis: es muss „el autista“ heißen.

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