indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Der Leidensweg des Mario Gomez

Kai Butterweck | Donnerstag, 31. März 2011 15 Kommentare

Die Presse beschäftigt sich mit den kritischen Äußerungen von Mario Gomez hinsichtlich seines schweren Standings bei den deutschen Fans. Außerdem: Der DFB in der Präsentations-Kritik, sowie Licht und Schatten nach der Niederlage gegen Australien

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) steht Mario Gomez zur Seite: „2008 hat Gomez bei der Europameisterschaft im Vorrundenspiel gegen Österreich den Ball aus 40 Zentimetern Entfernung nicht ins Tor geschossen, sondern in die Höhe geschaufelt. Dass Gomez diese Szene noch immer im Kopf hat, dass er glaubt, sie beeinflusse seine Karriere, zeigt, wie sensibel er ist. Lange tat er Fragen nach seinem Reservistendasein im Nationalteam mit Floskeln ab. Was überheblich klang, wirkt nun, im Lichte seiner jüngsten Aussagen, wie mühsam kaschierte Unsicherheit. Man kann Gomez‘ Worte in eigener Sache egoistisch nennen, weil er nur über sich sprach, nicht über sein Team. Man kann in ihnen aber genauso gut den Hilferuf eines Mannes sehen, der nicht nur Millionär ist, sondern auch Mensch.“

Erinnerungen an Kevin Kuranyi werden wach

Michael Ashelm (FAZ) erinnert sich an einen ähnlichen Fall vor einigen Jahren: „Vom Wiener Blackout 2008 hat er sich als Stürmer der Nationalmannschaft jedoch nie erholt. Wichtige Tore hat er fürs deutsche Team bisher keine erzielt. Wenn er in den 43 Partien traf, dann meistens in relativ unbedeutenden Länderspielen außerhalb großer Turniere. Ein wenig erinnert der unglückliche Gomez an einen anderen Nationalstürmer. Auch für Kevin Kuranyi wurde die Fußballauswahl nie zur großen Liebe. Aber seine Koffer endgültig packen – davon ist Gomez weit entfernt. Noch glaubt er an den Durchbruch.“

Jan Christian Müller (FR) wünscht sich ein dickeres Fell für Mario Gomez: „Er ist ein ziemlich erfahrener Fußballspieler, aber er ist auch ein extrem sensibler Mensch, dessen Ausstrahlung oft als arrogant empfunden wird. Er ist daran gewiss nicht schuldlos, vor allem dann, wenn er lieber hadert, statt nachzusetzen. Immer, wenn er für Deutschland spielt, hat er so viel mit sich selbst und seinem Verhältnis zu den eigenen kritischen Fans zu tun, dass er den jungen, unerfahrenen Mitspielern keine Hilfe sein kann. Es wäre eine fatale Fehlinterpretation, von seiner stattlichen Statur auf eine widerstandsfähige Mentalität zu schließen. Zu den Eigenarten des Bayern-Stürmers gehört es, dass es jeder sehen kann, wenn er Frust schiebt. Es gibt Profisportler, die Abneigung von den Rängen in Energie umwandeln, Oliver Kahn war so ein Typ, Mario Gomez ist es nicht.“

Es geht nur noch um die Show

Wigbert Löer (stern.de) erzürnt sich an der Art und Weise wie der DFB seit einiger Zeit Länderspiele präsentiert: „Man muss kein Griesgram sein, um sich daran zu stören: Der Verband macht sich fröhlich daran, die Länderspiele kaputt zu inszenieren. Es geht nur noch um Show, und die Regie führt man selbst – die Stimmungsmache soll auf keinen Fall den Spielern und dem Publikum überlassen werden. Warum ballert man die Reaktion der Fans einfach weg? Hat man Angst vor ihr? Vor echten Emotionen, die aus dem sportlichen Geschehen erwachsen? Ist das Selbstbewusstsein beim DFB so gering, die Furcht vor Pfiffen so groß? Zurecht fühlt man sich als eine der besten Fußballnationen, zurecht wohl lobt man seine Fans. Warum nur verbietet man ihnen im Stadion quasi den Mund?“

Profit ist kein verwerfliches Motiv im Profifußball

Philipp Selldorf (SZ) fordert den Blick in den Spiegel von Uli Hoeneß: „Das Poltern des Bayern-Präsidenten über den angeblich überflüssigen Test hat in der öffentlichen Wahrnehmung viel Gewicht erhalten, gerechtfertigt war es nicht. Hoeneß hat dem DFB vorgeworfen, an einem offiziellen Länderspieltermin ein Länderspiel auszutragen, und er hat dem Verband unterstellt, damit Geld verdienen zu wollen. Profit ist kein verwerfliches Motiv im Profifußball, auch der FC Bayern arbeitet täglich am Ausbau seines Geldspeichers. Und um mehr über den sportlichen Reiz des Abends zu erfahren, sollte sich der Präsident an Bastian Schweinsteiger wenden, der lieber beim Nationalteam blieb, als an einem der spannenden Trainingskicks des FC Bayern teilzunehmen.“

Der Durchbruch von André Schürrle

Ulrich Hartmann (SZ) prophezeit André Schürrle eine rosige Zukunft im National-Dress: „Gerade die Bereitschaft zur selbstlosen Rückwärtsbewegung haben die Trainer gerne. Schürrle setzt nicht nur Akzente im Offensivspiel, sondern leistet auch stets seinen Defensivdienst ab. Sein Auftritt am Dienstag nannte er `einen Meilenstein`. Der Makel, dass dieser Durchbruch im Rahmen einer Niederlage gelang, wird sich in seinen Gedanken mit den Jahren verflüchtigen.“

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Der mannschaftliche Bezug fehlte

Philipp Selldorf (SZ) zeigt sich enttäuscht von Jürgen Klopps Zöglingen: „Der Auftritt der drei Dortmunder Hummels, Schmelzer und Bender gab Löw eher recht mit seiner Einschätzung, die sich vom Einfluss aktueller und modischer Verhältnisse lossagt. Die Spieler des designierten Meisters vermochten ihre Souveränität und Dynamik aus dem Ligabetrieb nicht ins Nationalteam zu übertragen, ihnen fehlte der mannschaftliche Bezug, vielleicht auch die leibhaftige Motivationsdroge Jürgen Klopp.“

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Kommentare

15 Kommentare zu “Der Leidensweg des Mario Gomez”

  1. Gunther
    Donnerstag, 31. März 2011 um 11:31

    Zuständig für Länderspiele und allem was dazu gehört, ist der DFB.
    Und wenn nicht bald von unten nach oben ausgemistet wird, wird sich nie was ändern.
    Auffällig ist, welch dicke Lippe Herr Bierhoff riskiert, seitdem im Schlepptau von Löw sein Vertrag verlängert worden ist. Und wenn Herr Löw nicht endlich Rücksicht auf die Vereine nimmt, von denen beispielsweise sein horrendes Gehalt finanziert wird, wird Höneß das Fallbeil einsetzen müssen.
    Er rühmt sich dauernd mit der WM in SA. Hat er vergessen, dass seine Truppe nicht mal im Finale war? Das ist ja nicht schlimm, aber er soll nicht so tun, als wäre er der Größte.

  2. Christoph
    Donnerstag, 31. März 2011 um 15:17

    @Gunther

    Wenn Löw tatsächlich auf die Vereine hören würde, stünde es um die Nationalmannschaft anders. Löw soll sein Ding machen. Warum bitte soll denn ein Herr Hoeneß das Fallbeil einsetzen? Ist Herr Hoeneß ein Fußballgott? Hat er die alleinige Verantwortung für den Zustand des deutschen Fußballs? Wenn dem so ist, dann sind wahrlich schwere Zeiten angebrochen.

    Was heisst denn hier „nicht mal im Finale“? Spanien war halt die bessere Mannschaft im Halbfinale und hat das Turnier verdient gewonnen, das muss man anerkennen. Deutschland wird nicht immer alles gewinnen können, wer das fordert ist größenwahnsinnig.

  3. tafelrunde
    Donnerstag, 31. März 2011 um 21:54

    Was durch die beiden letzten Länderspiele offenkundig wurde, ist exemplarisch und zeigt die fundamentale Veränderung im Spitzen-Fußball im Verhältnis zwischen Aktiven (Spieler, Trainer) und Passiven (Zuschauer, Funktionäre). Dabei soll die prinzipielle Rückgratlosigkeit der Funktionäre momentan nicht das Thema sein, da die Erfolge, sprich Punkte ja da sind, also bei der Nationalmannschaft. Hier ist zurzeit ein weit verbreitetes Verhaltensmuster en vogue, nämlich ein Ausreizen des positiven Images bis zum Letzten, also Geld abgreifen.

    Die Problematik ist vielschichtig. Selbstverständlich weiß heutzutage (fast) jeder, dass es immer auch ums Geld geht. Doch der große Reibach basiert auf einer Emotionalität, die nie rational erfasst werden kann. Deshalb beißen sich rational begründete Argumente (wir brauchen Tests; die Punkte zählen, etc.) mit den offensiv geschürten, stets immanenten Emotionen (wir wollen begeisternden Fußball; wir zahlen, also 100% Einsatz, etc.). Das kann nicht gut gehen.

    Wenn dann noch die emotionale Erwartungshaltung im Vorfeld angeheizt und zudem noch durch eine entsprechende Preisgestaltung unterstrichen wird, dann gibt es zwangsläufig Konfliktpotential. Genau das greifen ja einige hier zitierte Autoren auf.

    Die Frage ist, inwieweit der medial aufgebaute Hype sich mit der dadurch erzeugten Erwartung in Einklang bringen lässt – gerade auch preislich. Dabei ist der DFB zweifelsohne in der Bringschuld.

    Die andere Seite der Medaille ist die Pfeiferei im Allgemeinen und im Besonderen gegen Spieler wie Gomez oder Schweinsteiger. Da bahnt sich eine Mentalität Bahn, die mit dem früher gewohnten Support bzw. der Teilhabe am Spiel aber so gar nichts mehr gemein hat. Das ist nur noch deppert.

    Das verleitet dann eher dazu anzunehmen, die Zuschauer wollten wohl eher auf eine Demo, als ein Fußballspiel zu verfolgen. Oder etwas provokanter: Ich kann nicht in ein klassisches Konzert spazieren und habe aber vorher nur und einmalig bei Dieter Bohlen von Paul Potts die Arie Nessun dorma von Giacomo Puccini gehört. Wenn ich dann anfange zu pfeifen, weil die Protagonisten auf der Bühne das anders interpretieren als einmalig gewohnt, dann habe ich irgendwas nicht so ganz verstanden. Emotion hin oder her.

    Konklusio: Der Fußballsachverstand in der Breite war in Deutschland noch nie großartig ausgeprägt, im Gegensatz zur Insel. Zuletzt wurde das mehr als deutlich unter Beweis gestellt. Vor allem im Fall Gomez!

  4. anderl
    Freitag, 1. April 2011 um 00:47

    @tafelrunde:
    Ich verneige mich!

  5. Christoph
    Freitag, 1. April 2011 um 11:15

    @tafelrunde:

    Sehr guter Kommentar, dem nicht viel hinzuzufügen ist. Nur die Konklusio ist so nicht richtig. Der Fußballsachverstand in der Breite ist sicher genauso in UK wie in D-Land. Er ist genauso wie in D-Land sehr emotional geleitet und sogar noch einen Zacken schärfer in meinen Augen. Die Fußballdebatte in UK ist nur schon sehr viel älter, da Fußball dort schon sehr viel länger einen großen Platz in der Mitte der Gesellschaft einnimmt. In D-Land werden Fußballfans, und Sachverständige ja immernoch etwas schräg angeguckt, sehr zum Leidwesen der Diskussion.

  6. Ulfert
    Freitag, 1. April 2011 um 11:17

    @tafelrunde: Sehr schöner Beitrag, ich stimme fast überein. Generell fand ich die Pfiffe am Samstag auch blöd, die eigenen Spieler auszupfeifen (und das bei nem 4:0) gehört sich imho nicht. Dass einige schlecht (oder arrogant) gespielt haben rechtfertigt (für mich) keine Abkehr von dem Prinzip.

    Auf der anderen Seite hat Löw ein Spektakel versprochen. Setzt man vorraus dass einige Besucher das wussten und evtl sogar deshalb die Tickets gekauft haben wären Pfiffe schon angebracht, aber nicht unbedingt gegen die Spieler, sondern gegen den Trainer. Schließlich hätte er ja sein Versprechen gebrochen bzw ein unhaltbares Versprechen gegeben (um Zuschauer ins Stadion und vors TV zu locken?). Und eine andere Art der Unmutsäußerung bleibt dem Besucher ja nicht – wenn sogar der Fanclub Nationalmannschaft dem DFB untersteht.

    Daher nochmal mein Interesse an Aussagen von pfeiffenden Fans. Vllt waren da ja einige dabei die explizit gegen Löw gepfiffen haben. 😉

  7. Dirk
    Freitag, 1. April 2011 um 12:18

    @tafelrunde

    Ich denke, die Erwartungshaltung führt leider fast „zwangsläufig“ zu Unmutsäußerungen.

    Als erstes wird (auch gegen ein hohes Eintrittsgeld) ein Spektakel versprochen, eben mit positiven Emotionen beim Zuschauer.

    Dann vermag das Spiel aber keine positiven Emotionen zu entfachen. Als Ersatzbefriedigung (der bestehenden Erwartung) kommen dann negative Emotionen zum Vorschein; denn negative Emotion ist immer noch besser als keine Emotion.

  8. prazzomoto
    Freitag, 1. April 2011 um 14:06

    Gomez könnte alleine schon einmal seinen blöden Torero-Jubel sein lassen, damit würde er ein kleines bischen weniger hassenswert werden.

  9. anderl
    Freitag, 1. April 2011 um 23:15

    @ Dirk und Ulfert:
    Hat Löw nicht von seiner Mannschaft ein Spektakel VERLANGT???

  10. Ulfert
    Samstag, 2. April 2011 um 13:35

    @anderl: Sie haben recht. Allerdings (und das sage ich nicht um mich zu verteidigen) hat er damit dann dennoch die Messlatte gesetzt. Tut mir leid für die Quelle, aber die darin verwedente Schlussfolgerung aus der Aussage Löws habe ich auch im ZDF gehört:

    http://www.bild.de/sport/fussball/jogi-loew/jogi-spielt-mit-klose-und-oezil-17092274.bild.html

    Das erinnert mich ein wenig an die Panikforschung: Wenn man eine Panik vermeiden möchte sollte man nicht „Keine Panik“ sagen, weil dann die Menschen nur „Panik“ hören und das sofort umsetzen. Statt dessen sollte man „bleiben sie ruhig“ sagen. Ähnlich verhält es sich wohl auch hier: Löw sagt „Ich möchte Spielwitz sehen“ und viele (inklusive mir scheinbar) verstehen „Löw verspricht Spielwitz“ 🙂

  11. anderl
    Samstag, 2. April 2011 um 13:38

    @ulfert:
    nennt man das nicht irgendwie kognitive Dissonanz? 😉

  12. Ulfert
    Samstag, 2. April 2011 um 13:47

    @anderl: Ich glaube, ich würde es eher Missverständnis nennen. Kongnitive Dissonanz ist ja (so wie ich es verstehe) sehr auf sich selber bezogen, und nicht so sehr auf die Wahrnehmung anderer.

  13. anderl
    Samstag, 2. April 2011 um 23:28

    @ulfert: Können wir uns einfach auf das hier einigen: „Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedanken.“

  14. Ulfert
    Sonntag, 3. April 2011 um 02:45

    @anderl: Wenn Sie die Medien und die Zuschauer meinen: Ja 🙂

  15. anderl
    Sonntag, 3. April 2011 um 11:48

    @ulfert: Na, klar! 😉

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