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Bundesliga

Im Keller scheint kein Licht

Kai Butterweck | Montag, 27. Februar 2012 8 Kommentare

Berlin, Kaiserslautern, Köln – in den Niederungen der Liga herrschen Ernüchterung, Entsetzen und Hilflosigkeit

In Augsburg kam es zum Duell zweier Tabellennachbarn. Am Ende jubelten die Hausherren. Auf der Gegenseite verwandelte sich die keimende Otto-Euphorie in pure Enttäuschung. Claus Vetter (Tagesspiegel) macht es sich neben der Berliner Coaching-Zone gemütlich: „Zunächst verfolgte Rehhagel das Spiel demonstrativ gelassen.  500 Berliner Anhänger beteten ihr übliches Repertoire herunter, kein Wort über den neuen Trainer. Ein wenig Nervosität sei schon im Spiel bei seiner Rückkehr in die Bundesliga, hatte Rehhagel gesagt. Das illustrierte sich nach einer Viertelstunde darin, dass der Trainer kurz an den Nägeln kaute. Dabei wollte er doch mit „meiner Erfahrung Souveränität ausstrahlen“. Rehhagel strahlte nicht, er lief nervös vor der Bank auf und ab. Seine Mannschaft bewegte sich zu lethargisch, dafür bewegte sich Rehhagel immer energischer durch die Coaching Zone. Er formte die Hände zum Schalltrichter, rief, klatschte und bewegte die Arme ruckartig. Er führte den ihm eigenen, bekannten Tanz auf. Wenig später saß er wieder. Bis dann das Augsburger 1:0 fiel und der Trainer sich abwendete. Fortan verfolgte er von der Bank aus, wie seine Mannschaft das Spiel, sich selbst und jeden Rhythmus verlor.“

Michael Jahn und Frank Hellmann (FR) fordern eine große Couch für das Berliner Kollektiv: „Otto Rehhagel  lobte die Kampfkraft und Aggressivität der Augsburger, was einer Schelte seiner Mannschaft gleichkam. Schwer vorstellbar scheint, wie Rehhagel die Mannschaft für die restlichen elf Spiele vor allem psychisch fit machen will. Was in der Verklärung seiner 2004 gewonnenen Europameisterschaft mit Griechenland oft vergessen wird: Schon in seinen letzten Jahren als Nationaltrainer wollte Rehhagel nicht merken, dass er die heutige Spielergeneration nur noch schwer mitnehmen konnte.“

Alles beim Alten

Christoph Ruf (taz) grüßt das Murmeltier: „Im Grunde ist in Berlin alles beim Alten geblieben. Auch unter dem zweiten Trainer seit der Demission von Markus Babbel kurz vor Weihnachten spielt das Team ohne jede Überzeugung Fußball. Unübersehbar sind vor allem die Schwächen in der Defensive, in der sich die beiden Innenverteidiger Roman Hubnik und Mijatovic immer wieder übertölpeln ließen und Linksverteidiger Felix Bastians einen ganz schwachen Tag erwischt hatte. Die Herthaner können von Glück sagen, dass der FCA immer sehr viele Chancen bis zum Torerfolg braucht. Gegen ein Spitzenteam wäre die Niederlage wohl ähnlich hoch ausgefallen wie das 0:5 in Stuttgart, das vor zwei Wochen Michael Skibbe das Amt kostete.“

Sebastian Gierke (SZ) spricht von einer doppelten Niederlage: „Noch nie, bei keiner seiner vielen Trainerstationen, hat Rehhagel sein erstes Spiel verloren. Doch auch im achten Lebensjahrzehnt gibt es für den Altmeister noch schmerzliche Premieren. Das richtungsweisende Spiel gegen Augsburg ging fast ohne Gegenwehr verloren, Hertha stürzte auf den Relegationsplatz ab, die Schwaben zogen in der Tabelle vorbei. Doch was nach diesem Nachmittag wohl am schwersten wiegt: die Aufbruchsstimmung, die Rehhagel in den vergangenen fünf Tage erzeugt hat, sie ist nach nur einem Spiel schon wieder verflogen. Komplett verflogen.“

Wenig Hoffnung auf Besserung

Auch der 1. FC Köln befindet sich nach der Niederlage gegen Bayer Leverkusen mitten im Abstiegskampf. Stephan Seeger (RP Online) sorgt sich um nahezu alle Mannschaftsteile der Domstädter: „Wenn das rheinische Derby zwischen dem Köln und Leverkusen nicht ausverkauft ist, spiegelt das die Gemütslage der enthusiastischen Fans in der Domstadt wider. Ein Teil des Anhangs hat nach den schwachen Ergebnissen in der Rückrunde bereits den Glauben an die Mannschaft verloren – und der Auftritt gegen Leverkusen macht wenig Mut auf Besserung. Im Spiel nach vorne klappt bei den Kölnern derzeit nichts, auch die Rückkehr von Superstar Lukas Podolski, der nach einer Fußverletzung gegen Bayer wieder auf dem Platz stand, brachte nicht die erhoffte Wende. Drei magere Törchen erzielte der FC bislang in der Rückrunde. Und in der Abwehr hagelt es Woche für Woche Gegentore.“

Kurz = Klopp?

Beim 1. FC Kaiserslautern gerät Trainer Marco Kurz zunehmend in die Schusslinie. Jan Christian Müller (FR) zählt die übriggebliebenen Vorschusslorbeeren des Coaches: „Der stocknüchterne 42-Jährige hatte zumindest zwei Jahre lang einen ausgesprochen guten Job in Kaiserslautern gemacht. Er hat natürlich einen erheblichen Anteil daran, dass der FCK überhaupt wieder in der ersten Liga spielt, und er hat ein individuell unterdurchschnittlich besetztes Team vergangene Saison auf Platz sieben geführt. Das ist, man muss das so sagen, eine ähnlich herausragende, wenn auch mit viel weniger überregionaler Aufregung wahrgenommene Trainer-Leistung gewesen wie die von Jürgen Klopp bei Meister Borussia Dortmund oder die von Thomas Tuchel mit den Bruchweg-Boys. Ohne diese Vergangenheit in Kaiserslautern dürfte man getrost davon ausgehen, dass Kurz’ Job noch vor dem Spiel des FCK am kommenden Samstag gegen Wolfsburg akut gefährdet wäre. So aber hat er sich den Vertrauensvorschuss erarbeitet, erst einmal weiterarbeiten zu dürfen.“

Peter Penders (FAZ) stärkt Marco Kurz den Rücken: „Ernsthaft etwas vorzuwerfen hat sich Kurz nicht; er hat keine taktischen Fehler begangen, er hat auch keine Millionen vor der Saison und dann noch einmal in der Winterpause wie sein Wolfsburger Kollege Felix Magath zur Verfügung gestellt bekommen, um den Kader nach seinem Geschmack umzubauen, er hat nicht einmal resigniert und sitzt alles andere als lethargisch an der Linie. Wenn der Erfolg ausbleibt, gerät immer der Trainer ins Visier, und wenn sich ein Team dann in einer prekären Lage so wie nun der 1. FC Kaiserslautern präsentiert, natürlich erst recht. Kurz hat sich danach trotzdem vor seine Mannschaft gestellt. Das mag man als charakterliche Stärke auslegen oder als Zeichen von Führungsqualität. Möglicherweise folgt es aber auch der Erkenntnis, dass es angesichts der Qualität des Kaders und der vorhandenen Möglichkeiten in Kaiserslautern nur geht, wenn alle im Verein einigermaßen die Ruhe und einen Sinn für die Realität behalten.“

Ein Torjäger, der trifft, ist eine Überlebensversicherung

Klaus Hoeltzenbein (SZ) weiß woran es im Tabellenkeller im Allgemeinen hapert: „Abstiegskampf ist überparteilich, er kennt nur eine Gemeinsamkeit: Wer keine Tore schießt, der fliegt. Wer keinen Torjäger hat, ist fast verloren. Ohne Podolskis 15 Saisontore wäre Köln längst ganz unten angekommen. Oder umgekehrt: Vier Spiele, vier Tore – seit Mohamed Zidan zurück ist, fliegt Mainz 05. Ein Torjäger, der trifft, ist eine Überlebensversicherung, nur wird manchmal sogar die versetzt: Freiburg ließ Papiss Demba Cissé ziehen, trotz seiner neun Hinrunden-Tore – auf 13,5 Millionen Euro aus Newcastle wollte der Klub nicht verzichten. Nun wirkt das Spiel wie das der Lauterer: ohne Zuspitzung, ohne Tore, die für Entspannung sorgen. Stürmersuche ist schwerer als Perlentauchen, niemand weiß das so gut wie Stefan Kuntz. Drei Neue holte Kaiserslauterns Manager im Sommer, drei Neue im Winter, keiner trifft. Der FCK bleibt bei der Schreckensbilanz von 18 Treffern aus 23 Spielen. Kuntz geht es wie Rehhagel: Auch seine – 179! – Bundesliga-Tore gelangen nicht in die Wertung.“

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Kommentare

8 Kommentare zu “Im Keller scheint kein Licht”

  1. Pumukel
    Montag, 27. Februar 2012 um 13:07

    Ich wünsche mir mehr mutige Journalisten, die nach einem Windstoß nicht immer gleich den nächsten Orkan erwarten. Und ich wünsche mir mehr mutige Leser, die Journalisten morgen an dem messen, was sie heute sagen.

  2. Nixwisser
    Montag, 27. Februar 2012 um 14:30

    „Ich wünsche mir mehr mutige Journalisten, die nach einem Windstoß nicht immer gleich den nächsten Orkan erwarten.“

    Das ist halt wie bei jedem Stammtisch. Außer beim Fanstammtisch.

    „Und ich wünsche mir mehr mutige Leser, die Journalisten morgen an dem messen, was sie heute sagen.“

    Wie soll das geschehen? Rausschmeißen, mit Eiern beschmeißen oder pöse, pöse Leserbriefe schreiben? Oder etwa nicht mehr lesen? Dann bleibt doch fast nichts mehr übrig!

    Also bitte mal nicht unrealistisch werden!

    Nixwisser

  3. Pumukel
    Montag, 27. Februar 2012 um 16:27

    Nicht mehr lesen. Nicht mehr ernst nehmen. Nicht mehr aufregen. Einfach konsequent sein. Und das ist doch realistisch.

    Musst du meine Aussage denn so plump angreifen? Kannst du nicht erstmal nachdenken -oder besser noch: dir selbst ein Urteil bilden?

    Findest du es denn etwa hinnehmbar, dass ein Rehhagel öffentlich von einem Strunz und vielen anderen Journalisten nach nur einem Spiel schon so bloßgestellt wird?

  4. Nixwisser
    Montag, 27. Februar 2012 um 17:13

    Hallo Pumukel,

    ich kann mir kein eigenes Urteil bilden. Das ist mein Dilemma und deshalb muß ich den ganzen Schmarrn ja lesen!

    Und ja, ich finde es absolut hinnehmbar, daß der Thomas den Otto bloßstellt. In Strunzschen Kategorien gemessen… Falsch. Das mit Otto ist noch unterhalb seines Wertungsbereiches. Aber wenn ich mir die Spieltagsanalyse in Sport 1 gebe (Du siehst, ich schrecke wirklich vor nichts zurück), haut’s mir regelmäßig den Vogel raus. Aber Strunz ist da wenigstens konsequent und macht auch vor sich selbst nicht halt: Er stellt sich gnadenlos selbst bloß: Echter Enthüllungsjournalismus, sozusagen.

    Du siehst: kein Alkohol ist auch keine Lösung – hier nur halt mit Journalisten…

    Nixwisser

  5. Manfred
    Montag, 27. Februar 2012 um 17:14

    Ach, der Otto, der kann nix, ham wa doch alle gewußt. Frag mal nach in Bremen, da hat der nur aus Mitleid die paar Jahre abreißen dürfen und in Griechenland warens froh, daß überhaupt einer den Job macht. Wollten ja erst die Merkel, aber dann hams rausgefunden, daß das gar nicht Maxens Frau war.
    Aber schön, daß Marco Kurz ein stöcknüchterner 42-Jähriger ist. Blöd, daß er sich die Mannschaft nicht regelmäßig schönsäuft.
    K‘lautern, Köln und – wenn ich es mir halbwegs realistisch wünschen darf – endlich mal der HSV als Absteiger, dafür dann Fürth, Paderborn und D‘dorf rauf – hach, was ne Liga das wäre.

  6. Marvin Nash
    Montag, 27. Februar 2012 um 19:26

    Im Doppelpass haben sie sich auch wieder unterboten mit Begründungen, warum das mit Otto ja gar nicht funktionieren konnte.

    Die gleichen Schmierfinken und Experten hätten ein loblied angestimmt, wenn Hertha in der 1. HZ doch ein Ding gemacht hätte und durch das Selbstvertrauen einen Sieg nach Hause geschukelt hätte. Das ist keine hanebüchene Vermutung, sondern simple Berechnung.

    Typischer Fall von Hind-Sight-Bias oder wie das heißt. Typische Journalistenkrankheit.

  7. Manfred
    Montag, 27. Februar 2012 um 23:41

    Beruf schwänzen heißt das, Marvin 🙂

  8. Unter Rehhagel spielt Hertha wie ein Absteiger – Hamburger Abendblatt « samyMEDIA
    Dienstag, 28. Februar 2012 um 05:01

    […] BSC: Rehhagel mahnt – "Es ist drei Minuten vor Zwölf"Berliner MorgenpostIm Keller scheint kein Lichtindirekter-freistoss.deFOCUS OnlineAlle 1.335 […]

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