indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Dortmund im Rausch

Kai Butterweck | Montag, 23. April 2012 6 Kommentare

Die Presse gratuliert Borussia Dortmund zur Titelverteidigung und hievt den Klopp-Klub auf die Pole Position der Liga. Außerdem: Fassungslosigkeit in Berlin

Hendrik Buchheister (SZ) lobt den Willen und die Bereitschaft der Dortmunder: „Es war eine knifflige Prüfung, die Klopps Männer am Samstag bewältigen mussten. Sie bekamen ja mit, dass der FC Bayern früher am Nachmittag lange in Rückstand lag gegen Werder Bremen. Bis zu Ribérys 2:1 in der Nachspielzeit sah es aus, als wären die Dortmunder schon vor dem Spiel gegen Mönchengladbach Meister. Sie mussten dann aber doch gewinnen, um den Titel schon an diesem Tag sicher zu stellen, und dass ihnen das gelang, deuteten sie als Zeichen für eine gefestigte Moral.“

Klaus Bittermann (taz) glaubt an eine Wachablösung im deutschen Fußball: „Man kann sich darüber streiten, welchen Einfluss ein Trainer auf eine Mannschaft hat. Jupp Heynckes beispielsweise hat in den neunziger Jahren mit Eintracht Frankfurt die damals beste europäische Vereinsmannschaft zerstört. Und ich behaupte, dass Real Madrid die Champions-League auch ohne Heynckes gewonnen hätte. Klopp aber hat durch kluge und anfänglich durchaus unpopuläre Personalentscheidungen eine junge Mannschaft geformt, die die Dominanz der Bayern im deutschen Fußball brechen wird.“

Der Erfolg ist in Dortmund keine Eintagsfliege

Oliver Fritsch (Zeit Online) sieht das ähnlich: „Die Dortmunder Meisterschaft im Vorjahr war eine große Leistung. Sie zu verteidigen, und das mit einer solchen Dominanz, ist eine noch größere. Sie belegt, der Erfolg ist in Dortmund keine Eintagsfliege. Wenn nicht alles täuscht, wird der Verein dem FC Bayern in den nächsten Jahren ein mindestens ebenbürtiger Kontrahent sein, zumal man in dieser Saison den Eindruck gewann, dass die BVB-Elf nicht immer am Limit spielte.“

Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) erhofft sich nun auch internationale Präsenz der Mannen von Jürgen Klopp: „Und dennoch haben die Bayern den Dortmundern etwas Wichtiges voraus: das internationale Ansehen. In England und Spanien wird der BVB kaum wahrgenommen, da hilft ihnen die Titelverteidigung auch nicht entscheidend weiter. Die Titelverteidigung sollte den Dortmundern nun das nötige Selbstvertrauen geben, auch in der Champions League aufzutrumpfen. Anderenfalls erklären sich ausländische Beobachter die Erfolge der Borussia womöglich bald mit einem Desinteresse des FC Bayern an der Bundesliga.“

Wir stellen alles auf Anfang, drehen alles auf Null und fangen von vorne an

Marcel Reif (Tagesspiegel) blickt weit zurück: „Vor vier Jahren kam Jürgen Klopp nach Westfalen. Das lief zu Anfang keineswegs rund, das ruckelte, das zwickte und zwackte, und dass dieser Klopp sich mal gleich von den Publikumslieblingen Petric und Frei trennte, verbesserte die Stimmung auch nicht. Aber dem lag ein Plan zugrunde, und in den Plan passten die beiden eben nicht. Der Plan: Wir stellen alles auf Anfang, drehen alles auf Null und fangen von vorne an.“

Michael Baltes (Spiegel Online) berauscht sich an der Entwicklung von Robert Lewandowski: „Im schnellen Umschaltspiel von Verteidigung auf Angriff überbrücken die Abwehrspieler das Mittelfeld mit Zuspielen auf den Polen, dieser legt auf die nachrückenden Teamkollegen ab, startet durch und wartet auf den Pass in die Gasse. Neben seiner Trefferquote hat sich besonders Lewandowskis Fähigkeit, Bälle zu behaupten, im Vergleich zur Vorsaison stark verbessert. Weitgeschlagene Pässe kann der Pole mittlerweile wie fast kein Zweiter in der Bundesliga in Bedrängnis verarbeiten und verteilen.“

Widerstand wie eine Gummipuppe

Während in Dortmund gefeiert wird, herrscht in Berlin Endzeitstimmung. Nach der katastrophalen Leistung gegen Absteiger Kaiserslautern glaubt kaum noch einer in der Hauptstadt an die Rettung. Michael Jahn (FR) schüttelt fassungslos den Kopf: „Eine Szene nach 38 Minuten war typisch für dieses Trauerspiel aus Berliner Sicht und konnte für die gesamte Rückrunde der müden und ideenlosen Mannschaft stehen. Adrián Ramos, der seit Wochen vielleicht zehn Prozent seines Leistungsvermögens erreicht, ließ sich am Mittelkreis den Ball von Pierre de Wit locker abnehmen, leistete Widerstand wie eine Gummipuppe, sackte auf die Knie und schaute staunend zu, wie nach seinem Fehler das 2:0 für den Absteiger Kaiserslautern entstand.“

Michael Rosentritt (Tagesspiegel) findet deutliche Worte: „Hertha spielte tranig und träge. Selbst in einer kurzen Phase Mitte der ersten Halbzeit, als die Berliner ein paar Mal bis vor das gegnerische Tor kamen, gelang ihnen nicht ein einziger Abschluss. Das, was die Mannschaft gegen Kaiserslautern bot, war die Höhe, die Höhe einer an Tiefpunkten so reichhaltigen Saisonrückrunde. Nach einem derart leidenschaftslosen Auftritt hat der Klub nichts mehr in der höchsten Spielklasse zu suchen. Sprachlos schlichen die Spieler vom Feld. Sie wirkten leer und müde, so ganz ohne Aussicht. Sie sind erschöpft.“

freistoss des tages

Kommentare

6 Kommentare zu “Dortmund im Rausch”

  1. woki
    Montag, 23. April 2012 um 11:56

    http://www.tagesspiegel.de
    Matze Reif „spricht“

    das er sich dazu „herab“ gelassen hat

    schon ein „Wunder“ !

    dieser UnTyp von einseitigem Fußball-Reporter

    VG aus dem Pott

  2. reflexo
    Montag, 23. April 2012 um 12:47

    „Jupp Heynckes beispielsweise hat in den neunziger Jahren mit Eintracht Frankfurt die damals beste europäische Vereinsmannschaft zerstört.“

    Die Epoche der Eintracht als beste europäische Vereinsmannschaft ist irgendwie an mir vorbei gegangen.

  3. stoked
    Montag, 23. April 2012 um 13:43

    Die Sportberichterstattung speziell zum Thema Fußball ist seit 2, 3 Jahren nichts anderes mehr als eine belanglose Aneinanderreihung von Banalitäten und persönlichen Befindlichkeiten der jeweiligen Autoren. Mittlerweile ist jeder Artikel durch die Vereinsbrille geprägt. Jeder.
    Hochjubelarien gefolgt von Schwarzmalerei. Selbst Marcel Reif, den ich frühers sehr schätzte, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
    Auch diese Seite lohnt leider keinen Seitenblick mehr. Aus oben genannten Gründen.
    Ich habe fertig.

  4. Frosch
    Montag, 23. April 2012 um 14:21

    Stoked: Dein Gefühl teile ich, dass die Fußball-Berichterstattung in den letzten drei, vier Jahren beliebig, oberflächlich geworden ist – und frage mich: Wie kann das sein? Ist das der viel zitierte Einfluss des Internets, dass jeder Journalist meint, auf einmal über alles schreiben zu können, weil er sich doch Informationen aus dem Netz holen kann (und dann natürlich in seiner Analyse oberflächlich bleibt)?
    Oder sind plötzlich die guten Schreiber ausgestorben?
    Eine Ausname ist für mich das 11 Freunde Magazin (nicht online!), da sind die Texte tiefer, thematisch interessanter geworden und besser geschrieben, finde ich. Aber die Tagespresse, die ich im Büro oder im Café lese (taz, SZ, auch mal FAZ plus lokal das Abendblatt) ist seicht geworden, gilt vor allem für SZ und FAZ.

  5. MS
    Montag, 23. April 2012 um 23:43

    reflexo hat es schon geschrieben. Auch ich kann mich beim besten Willen an diese dominante Epoche Eintracht Frankfurts in Europa nicht erinnern. Der Üfa-Cup Sieg gegen Gladbach fand ungefähr eineinhalb Dekaden vorher statt – und läutete wohl auch nicht eine solche Epoche ein.

    Wenn man einen Trainer scheiße findet, weil man ihn eben scheiße findet, dann sollte man das auch schreiben. Solch einen verfälschenden Schwachsinn kann man aber mMn. vermeiden. Und der Freistoß sollte vermeiden, diesen auch noch zu verbreiten. Nachher glaubt der Bittermann noch, er wäre Jounalist. Unfassbar.

  6. Pumukel
    Dienstag, 24. April 2012 um 09:44

    Die zunehmend schwindende Identifikation mit dem eigenen Beruf wiegt schwer. Oberste Priorität ist der Lebenserhalt. Was zählt ist deshalb oft nur noch die Position, die sichere Anstellung. Mutige Artikel werden zudem schneller verbreitet als früher. Dies kann Chance für den Autoren sein, aber auch unmittelbar zu seinem beruflichen Aus führen. Der Mensch möchte alles haben, erkennt aber zu selten, dass er auch etwas geben muss. Der Preis, den er dafür bezahlt, ist oberflächlich gewordene Berichterstattung! Da kann der gute Kai Butterweck noch am wenigsten dafür. Die besten Texte aus der Tagespresse stehen schon noch hier beim Freistoß! – auch wenn sich Herr Bittermann hier natürlich wenig Mühe gegeben hat. Weiter so!

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

121 queries. 0,483 seconds.