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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Weisheiten vom Kuchenbäcker

Matthias Nedoklan | Dienstag, 8. Mai 2012 1 Kommentar

Die ganz große Karriere hat Moritz Volz, heute Profi beim FC St. Pauli und knapp am Aufstieg gescheitert, im  Fußball nicht gehabt. „Unser Mann in London“ -seine Erinnerung an eine Laufbahn, die noch überhaupt nicht beendet ist, dagegen ist definitiv erstklassig.


Moritz Volz, das war für deutsche Fußballfans vor allem ein Name. Moritz Volz sorgte für Schlagzeilen, für Diskussionen, für Krawall am Stammtisch. Denn der gebürtige Siegener wechselte aus der Jugendabteilung des FC Schalke 04 zum Arsenal FC nach London – im damals unerhört zarten Alter von 16.

Die Öffentlichkeit verlor Volz nach dem genauso schnell abebbenden wie aufbrausenden Interesse im Rahmen seines Transfers aus den Augen. Der Verteidiger tauchte nur selten im Kader von Arsenal auf und lief damit deutlich unter der Wahrnehmungsschwelle der ohnehin dürftigen Berichterstattung der ausländischen Profiligen. Volz trat erst wieder in die breite deutsche Fußball-Öffentlichkeit als Gescheiterter, der bei seinem alten Klub Schalke Asyl suchte, sich im Trainingslager fit hielt, von St. Pauli verpflichtet wurde und mit dem Verein in die zweite Liga abstieg. Was für eine vergeudete Laufbahn!

Von Wenger verpflichtet und glücklich in der 2. Liga?

Nahezu erschreckend zufrieden ist Volz jedoch mit sich und seiner Karriere. Nie Champions League gespielt, kein A-Länderspiel, ein einst gefeiertes Talent, von Arsene Wenger verpflichtet, verrottet in der 2. Liga und ist dabei glücklich? Kein Widerspruch, ja wer seine überragende Biographie „Unser Mann in London“ liest, tauscht sogar seine Träume von einer Bundesliga-Karriere gegen Volz‘ Leben ein.

Denn anstatt sich zu grämen, was schiefgelaufen ist, dass aus diesem Talent mit Verlaub kein Weltstar geworden ist, schildert Moritz Volz was in seinem Leben in London alles so passierte, warum ihm auf der Insel ein eigener Song gewidmet wurde und wieso er eine eigene Kolumne in der renommierten Times erhielt.

Moritz Volz, so viel ist schnell klar, verfügt über erfrischende Selbstironie, eine charmante Sicht der Dinge, die das Klischee und damit der gemeine Brite keinesfalls bei Deutschen vermuten: Er lässt Fünfe gerade sein. Statt mit einem Lamborghini zum Training zu erscheinen, radelt Volz auf dem Klapprad. Seine Vorbereitung auf das nächste Spiel besteht nicht aus Videospielen oder den immer gleichen Essen in den immer gleichen Restaurants. Der bekennende David-Hasselhoff-Fan backt vor großen Spielen gegen die Nervosität Kuchen.

Pfefferminzbonbons als Viagra

Diese wunderbare Andersartigkeit zieht sich durchs Buch, gespickt mit humorvollen Anekdoten. Harrod’s Besitzer und Fulham-Eigner Mohammed Al-Fayed zum Beispiel, der den Kickern nach einigen Niederlagen bei einer Krisensitzungen Pfefferminzbonbons in die Hand drückte mit den Worten: „Nehmt eine Viagra. Oder zwei oder drei.“

Egal ob Torjubeltraining mit der Mannschaft oder gemeinsame Friseurbesuche, die Streiche beim Training oder Witze in der Kabine: Volzy – so sein Spitzname beim FC Fulham – zeigt, dass das Traumbild von Profifußballern als überdimensionierten Schülern auf Klassenfahrt zumindest manchmal noch stimmt. Fast schon melancholisch spricht der wiedergeborene Londoner über den Leistungsdruck und Versagensängsten auf dem Platz, die ihm die ganz große Freude am Profifußball nehmen und neben zahlreichen Verletzungen vielleicht ein Grund dafür sind, dass es für die ganz steile Karriere nie gereicht hat.

Sommermärchen 2006 als Fan

Aber, wenn Volz beschreibt, wie er die WM 2006 in Deutschland nicht wie ursprünglich in der Jugend erträumt auf dem Spielfeld sondern beim Public-Viewing erlebt hat, mag man ihn nicht mal bemitleiden. Denn während Schweinsteiger, Podolski und andere Kicker seiner Generation zwar Deutschland begeisterten, gleichzeitig aber im Schlosshotel Grunewald einkaserniert waren, traf Volz die Stürmer-Legende Roger Milla am Hamburger Flughafen und tauschte Panini-Bildchen mit einem Manager von Coca-Cola Arabien – woraus eine Freundschaft mit gegenseitigen Urlaubsbesuchen entstand.

Fußballfans, die an Alter und Intellekt zulegen, erkennen irgendwann zwangsläufig, dass die idealisierten Träume vom Leben als Profifußballer in Wahrheit nicht so rosig sind. Die meisten Spieler verdienen unfassbare Gehälter, verzichten, teilweise recht gerne, auf ein intaktes Beziehungsleben und interessieren sich ausschließlich für Statussymbole wie Frauen, Autos oder Schmuck. Moritz Volz wirkt in seinem Buch „Unser Mann in London“ wie jemand, der zwar nicht das meiste aus seinem Talent, dafür aber das meiste aus seinem Leben gemacht hat. Und ungeheuer sympathisch.

Moritz Volz: Unser Mann in London, rororo, 256 Seiten.

Kommentare

1 Kommentar zu “Weisheiten vom Kuchenbäcker”

  1. Frosch
    Dienstag, 8. Mai 2012 um 09:10

    Habe das Buch vor 2 Wochen gelesen. Kann es uneingeschränkt empfehlen. Sehr leichtfüßig erzählt, trotzdem nicht ohne Tiefe.

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