indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

EM 2012

Eine überfällige Debatte

Erik Meyer | Donnerstag, 31. Mai 2012 3 Kommentare

Die BBC dokumentiert in der Sendung „Euro 2012: Stadiums of Hate“ Antisemitismus und Rassismus in polnischen sowie ukrainischen Arenen und hat damit eine Diskussion ausgelöst.

Johannes Aumüller (SZ) wehrt sich gegen die Ignoranz der Sportverbände gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen in den Gastgeberländern: „Dabei hätte der Sport durchaus Möglichkeiten, Einfluss auszuüben: Wenn er Großveranstaltungen vergibt, zwingt er den Bewerbern nach Belieben seine Bedingungen auf. Man könnte ja mal darüber nachdenken, in diese Liste Punkte wie Menschenrechte und Meinungsfreiheit aufzunehmen – oder eben einen glaubwürdigen Kampf gegen Rassismus.“

Erik Peter (taz) bringt die TV-Doku in einen Zusammenhang mit dem Verhalten der englischen Fans:  „Die Mehrheit der sonst so reisefreudigen Three-Lions-Anhänger hat bereits reagiert und verweigert sich einer Reise in die Ukraine. Für die drei Vorrundenspiele in Donezk und Kiew hat der englische Fußballverband lediglich 7.000 von 21.000 Tickets abgesetzt.“

In einem Interview mit dem Magazin France Football hat der italienische National-Stürmer Mario Balotelli im Hinblick auf mögliche fremdenfeindliche Attacken derweil angekündigt: „Wenn mich jemand auf der Straße mit einer Banane bewirft, werde ich ins Gefängnis gehen müssen, weil ich denjenigen umbringen werde.“

Mario Balotelli ist auch der Ausgangspunkt des interessantesten Beitrags zum Thema, der uns aus den USA erreicht. Tony Karon beginnt im Blog „Keeping Score“ der Time mit diesem Werbespot:

Nach einer lesenswerten Interpretation des Videos lässt Karton diverse europäische Mannschaften und ihre multiethnischen Zusammensetzungen Revue passieren, um mit einer positiven Einschätzung zu enden: „Der Grund, warum Fußball Rassisten und Nazis provoziert, ist, dass er die Utopie einer egalitären Gesellschaft entwirft, in der Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe (oder Augenfarbe, oder in diesem Fall ihrer Frisur) beurteilt werden. Statt dessen zählt die Qualität ihrer Schüsse, das Timing ihrer Tacklings, der Bogen ihrer Pässe, das Timing ihrer Jumps und Runs, die Intelligenz und List ihrer Bewegung, und ihre Bereitschaft zu laufen und für ihre Teamkollegen zu kämpfen. Zumindest auf dem Spielfeld repräsentiert der Fußball ein post-rassistisches Europa.“

Offensichtlich ist diese Perspektive noch nicht beim Spielzeug-Hersteller Playmobil angekommen. Darauf weist Olga Wendkte von der Initative „Netz gegen Nazis“  mit Blick auf die Fußballspielerkollektion mit den verschiedenen Nationaltrikots der EM-Mannschaften hin: „Alle Fußballspieler der europäischen Nationalmannschaften werden als weiß wahr genommen. Diese Tatsache ist nicht nur rassistisch, sondern verschiebt auch die Realität in den weltweiten Fußballstadien. Dass Fußballspieler wie Jerome Boateng oder Mesut Özil zur deutschen Nationalmannschaft gehören, wird im Kinderspiel von Playmobil verschwiegen und verdrängt.“

„In der Ukraine kocht die Wut hoch“, titelt schließlich die FTD. Im Artikel von Nina Jeglinski geht es aber nicht um die Rassismus-Vorwürfe, sondern um Repressionen gegen die Einheimischen: „Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat in der vergangenen Woche alle Studenten und ‚jungen Leute‘ davor gewarnt, sich an Demonstrationen oder anderen Protestaktionen zu beteiligen. Im Internet kursiert der Brief des Staatsanwalts schon als ‚chinesische Warnung‘, in Anlehnung an den gewaltsam beendeten Studentenprotest 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.“

freistoss des tages

Kommentare

3 Kommentare zu “Eine überfällige Debatte”

  1. Frank H
    Donnerstag, 31. Mai 2012 um 14:14

    Wunderbar! Ein Freistoß in der Qualität, wie ich sie von früher kenne. Bitte mehr davon, Herr Meyer.

  2. lateral
    Donnerstag, 31. Mai 2012 um 22:47

    dito.

  3. Christoph
    Freitag, 1. Juni 2012 um 18:09

    Schließe mich meinen Vorkommentatoren an.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

113 queries. 0,509 seconds.